Teheran – Es war das erste Mal seit acht Jahren, dass Irans oberster Führer Ayatollah Ali Khamenei das Freitagsgebet persönlich leitete – ein deutliches Zeichen für die Tiefe der Krise, in der sich die Islamische Republik befindet. Zuletzt hatte Khamenei das Freitagsgebet im Februar 2012 geleitet. Damals war der Konflikt um das iranische Atomprogramm auf einem Höhepunkt. Kurz zuvor hatte die EU scharfe Sanktionen gegen Teheran beschlossen.

Khamenei nutzte die religiöse Zeremonie in der Mosalla-Moschee in Teheran für Angriffe gegen die USA und die europäischen Partner des Atomabkommens mit dem Iran und rief sein zigtausendköpfiges Auditorium zur nationalen Einheit auf.

Ayatollah Khamenei wollte mit dem Auftritt beim Freitagsgebet ein Zeichen setzen – ist ihm das gelungen? Andreas Pfeifer analysiert Lage und Stimmung im Iran.
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Der vergangene Mittwoch, an dem der Iran von den USA genutzte Militärbasen im Irak angegriffen hatte, sei ein "Tag Gottes" gewesen, erklärte Khamenei. Dass der Iran einer "arroganten Macht ins Gesicht schlagen" könne, zeige die "Hand Gottes". Dass wenige Stunden nach dem Angriff die iranischen Revolutionsgarden einen gerade vom Flughafen in Teheran gestarteten ukrainischen Passagierflieger abgeschossen und dabei alle 176 Menschen an Bord getötet hatten, bezeichnete Khamenei als "tragischen, sehr traurigen Vorfall" – Worte der Entschuldigung sparte er jedoch aus. Die seit Tagen andauernden Proteste wegen des "Flugzeugabsturzes" hätten zum Ziel, von der "Ermordung General Soleimanis" abzulenken.

Die USA hatten Anfang Jänner den General der zu den Revolutionsgarden gehörenden Quds-Brigaden, Ghassem Soleimani, im Irak mit einer Drohne getötet. Tage später führte der Iran einen Revancheangriff im Irak durch. Aus Angst vor einer direkten Bestrafung durch die USA wurde die Luftabwehr in Alarmbereitschaft gesetzt, was schließlich zum Abschuss führte. Tagelang versuchte das Regime die Wahrheit zu verschleiern, doch das Eingeständnis, das Flugzeug mit zahlreichen Iranern und iranischen Doppelstaatsbürgern an Bord selbst abgeschossen zu haben, entfachte eine neue Welle des Protests gegen die Machthaber. Das Regime reagierte mit Gewalt auf die Proteste.

Irans geistlicher Führer Ayatollah Ali Khamenei leitete am Freitag erstmals seit acht Jahren wieder das Freitagsgebet in Teheran.
Foto: APA/AFP/IRAN PRESS

Soleimani sei einer der mächtigsten Kommandanten der "Widerstandsfront" gewesen, seine Tötung beweise die "terroristische Natur" der USA, erklärte Khamenei. Die Quds-Brigaden schützten "unterdrückte Nationen" und seien "Kämpfer ohne Grenzen", die als "humanitäre Organisation mit menschlichen Werten" gesehen werden müssten. Feinde des Iran nutzten den "Absturz" zur Schwächung der Revolutionsgarden.

An Großbritannien, Deutschland und Frankreich äußerte Khamenei scharfe Kritik: Diesen könne man nicht vertrauen. Sie dienten nur den Interessen der USA, doch weder die Europäer noch die USA könnten den Iran in die Knie zwingen, erklärte der Achtzigjährige, der seit mehr als drei Jahrzehnten die Macht in Händen hält.

Die Regierungen in London, Berlin und Paris hatten zuletzt den im Atomdeal JCPOA mit dem Iran vorgesehenen Streitschlichtungsmechanismus aktiviert, um so vielleicht das Abkommen doch noch retten zu können. Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, versicherte am Freitag, das Vorgehen der Europäer sei nicht der Vollzug der Forderungen der USA nach einer Aufkündigung des Abkommens. Der Schlichtungsmechanismus diene auch nicht per se der Reaktivierung der Iran-Sanktionen.

Trump warnt Khamenei

US-Präsident Donald Trump reagierte auf Khameneis Rede mit einer scharfen Warnung. Khamenei solle "sehr vorsichtig mit seinen Worten" sein, schrieb Trump im Kurzbotschaftendienst Twitter. Khamenei habe in seinem Freitagsgebet "böse Dinge" über die USA und Europa gesagt.

Fast alle Opfer identifiziert

Mittlerweile sind fast alle Opfer des Abschusses identifiziert. Ein Sprecher des iranischen Außenministeriums forderte am Freitag, den "tragischen Vorfall" nicht zu politisieren. Kanada, Großbritannien, Schweden, die Ukraine und Afghanistan hatten ein unabhängiges Gerichtsverfahren gegen den Iran gefordert. Für Freitagabend war ein Treffen des kanadischen Außenministers François-Philippe Champagne mit Irans Chefdiplomat Javad Zarif geplant. Nun will der Iran die Blackbox des abgeschossenen Flugzeugs an die Ukraine übergeben. Auch sollen Experten aus den USA, Frankreich und Kanada sollen die Daten des Flugschreibers auswerten.

Bei dem iranischen Angriff sind entgegen ursprünglichen Angaben doch elf US-Soldaten verletzt worden. Sie erlitten durch die Explosionen mit einer Gehirnerschütterung vergleichbare Symptome und wurden sicherheitshalber ausgeflogen. (Michael Vosatka, 17.1.2020)