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Der Vulkan Taal auf den Philippinen spuckt Asche und Lava, der Flughafen Manila ist schon gesperrt. Reiseanbieter rund um den Globus fahren den Krisenmodus hoch.

Foto: ap

Im Moment ist es ein Vulkan namens Taal, der Bewohner auf der philippinischen Hauptinsel Luzon die Flucht ergreifen lässt und Touristiker in Alarmbereitschaft versetzt. Beim weltgrößten Touristikkonzern Tui ist Ulrich Heuer Chef des Krisenzentrums. DER STANDARD traf ihn zum Gespräch in Wien.

STANDARD: Im Tourismus gibt es so gut wie nichts, was es nicht gibt. Selbst für Reisen ins All werden schon Anmeldungen angenommen. Was kommt auf Sie als Krisenmanager da noch zu?

Heuer: Bis das kommt, bin ich in Rente (lacht). Bei Pauschalreisen haben wir Reiseleiter vor Ort, das ist im Krisenfall ein zentraler Vorteil bei uns. Anders sieht es aus, wenn Gäste individuell reisen. An die kommt man nicht so leicht ran. Während der Messerattacke auf der London Bridge vor Weihnachten hatten wir 191 Gäste vor Ort ...

STANDARD: ... Sie wissen auf Knopfdruck, wie viele Gäste wo sind?

Heuer: Ja, inklusive der Gäste aus Österreich. Genauso haben wir das Weltgeschehen auf dem Schirm und prüfen permanent, wo es für unsere Gäste kritisch werden könnte.

STANDARD: Wie oft waren Sie bzw. Ihr Team im Vorjahr gefordert?

Heuer: Wir haben im Schnitt sechs bis neun Fälle pro Jahr, bei denen wir die gesamte Krisenorganisation hochfahren, 2019 achtmal. Alles andere regeln wir im Tagesgeschäft.

STANDARD: Die Welt ein einziger Krisenherd?

Heuer: Bis vor vier Jahren war die Zahl der Ereignisse relativ konstant – 280 bis 320 pro Jahr. 2018 waren es deutlich mehr, rund 380, im Vorjahr 370. Von Hurrikans sind wir 2019 eher verschont geblieben, dafür gab es viele Waldbrände, Demonstrationen, verbunden mit Unruhen wie in Hongkong oder Chile. Dennoch ist die Wahrnehmung durch die vielen zur Verfügung stehenden Medien, sozialen Netzwerke und Videos manchmal stark verzerrt. Der ganz überwiegende Teil unserer Gäste verbringt ganz entspannt mit uns den wohlverdienten Urlaub.

STANDARD: Wie wägen Sie ab, ob Alarm auszulösen ist oder nicht?

Heuer: Kommt darauf an, was das Ereignis bewirken kann. Ein lang anhaltender Streik, der Gäste an Flughäfen oder in den Urlaubszielen festhält, ist unangenehm, aber kein Risiko für Leib und Leben. Ähnlich wie der viele Schnee im vorigen Winter. Gäste konnten wegen geschlossener Straßenverbindungen ein, zwei Tage lang ihr Urlaubsdomizil nicht verlassen, andere konnten nicht hin – unangenehm. Es gibt aber Ereignisse, die eine andere Qualität haben, bei denen wir die versprochene Reiseleistung nicht erbringen können.

Im Ernstfall steht dem Tui-Team ein Krisenraum in Hannover zur Verfügung.
Foto: TUI / Christian Wyrwa

STANDARD: Beispiele?

Heuer: Ein Hurrikan ist über Kuba gezogen, Hotels zerstört. Da kann ich niemanden hinschicken. Oder politische Ereignisse lassen uns zur Erkenntnis kommen, dass die Sicherheitslage für die Gäste kritisch werden könnte. Da richten wir uns strikt nach den Meldungen des Auswärtigen Amtes in Berlin oder des Außenministeriums in Wien.

STANDARD: Welches Jahr war für Sie das schwierigste?

Heuer: Man muss unterscheiden zwischen emotionaler Belastung und logistischer Herausforderung. Emotional nahe gehen Ereignisse, bei denen wir unserem Auftrag nicht gerecht werden, nämlich unseren Gästen einen schönen Urlaub zu bereiten und sie anschließend wieder heil nach Hause zu bringen. Der Tsunami 2004 war emotional sehr belastend, auch der Brandanschlag 2002 auf Djerba oder der Terrorüberfall 2015 auf ein Hotel in Tunesien mit fast 40 Toten. Dann gibt es Ereignisse wie die Aschewolke nach Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull 2010 auf Island, die logistisch unglaublich intensiv sind. 40.000 Gäste sind in ihren Urlaubszielen hängengeblieben, weil der Luftraum gesperrt blieb. Ebenso viele saßen zu Hause auf gepackten Koffern.

STANDARD: Naturkatastrophen werden wegen der Erderhitzung wohl eher zu- als abnehmen.

Heuer: Das lässt sich schwer vorhersehen, darum überlasse ich diese Prognosen anderen. Für Tui ist wichtig, dass wir auf jede Situation in allen erdenkbaren Ausmaßen vorbereitet sind. Das kann ich mit Fug und Recht behaupten.

STANDARD: Hat Tui eine Krisenkassa für den Fall, dass Gäste vorzeitig zurückzuholen sind?

Heuer: Wir sind gegen so etwas nicht versichert, das wird aus den laufenden Einnahmen bestritten.

STANDARD: Ist Ihnen deswegen schon einmal ein Controller auf die Füße gestiegen?

Heuer: Die stehen mir regelmäßig auf den Füßen und sagen, deinen Job möchte ich nicht machen. Es muss aber so sein. Zum einen geht es um den Schutz der Gäste, zum anderen ganz klar auch um das Image als Reisekonzern. Im Krisenhandbuch sind genau die Verantwortlichkeiten festgeschrieben. Dort steht, dass der Krisenstab autark entscheidet und sich keine Rückversicherung durch die Geschäftsführung holen muss.

STANDARD: Wie viel kostet das den Tui-Konzern in guten Jahren, wie viel in schlechten?

Heuer: In guten Jahren nichts, in schlechten – hängt davon ab. Die Aschewolke beispielsweise hat den Konzern sieben Millionen Euro gekostet – pro Tag. Das war aber schon ein Extremfall.

STANDARD: Was sollten Urlauber machen bzw. auf keinen Fall tun, wenn sie sich in einer brenzligen Situation wiederfinden?

Heuer: Zuallererst sollten sie uns ihre Mobiltelefonnummer geben, am besten direkt bei der Buchung, spätestens vor dem Abflug, damit wir sie auf eventuelle Risiken hinweisen können. Wenn sie beobachten, dass sich irgendwo Menschen zusammenrotten, sollten sie einen großen Bogen darum herummachen, Kontakt mit dem Veranstalter aufnehmen und fragen, was das bedeutet. Dafür haben wir Reiseleiter vor Ort. Darüber hinaus empfehlen wir Urlaubern, sich vor Antritt ihrer Reise mit den Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes bzw. des Außenministeriums vertraut zu machen.

STANDARD: Fühlen Sie sich manchmal ohnmächtig?

Heuer: Man muss eine gewisse Resilienz aufbauen und akzeptieren, dass man Dinge nicht verhindern kann. Wenn ein Attentäter mit einer Handfeuerwaffe ins Hotel rennt und um sich schießt, wie verhindert man das? Ich kann schlecht einen Panzer vor die Tür stellen, wer will da noch Urlaub machen? (Günther Strobl, 19.1.2020)