Budapest/Brüssel/Wien – Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán sieht seine Partei knapp an einem Austritt aus der Europäischen Volkspartei (EVP) vorbeigeschrammt. Das sagte er am Freitag im ungarischen Radio angesichts der jüngste Entschließung des Europaparlaments zu Ungarn. Gleichzeitig drohte er erneut mit einem Austritt aus der EVP.

"Wir waren nur einen Zentimeter davon entfernt, aus der Europäischen Volkspartei auszutreten", sagte Orbán, denn die Mehrheit der Parteienfamilie "hat uns verraten". Die Resolution zur Bekräftigung des Artikel-7-Verfahrens gegen Ungarn war am Donnerstag mit den Stimmen zahlreicher EVP-Abgeordneter beschlossen worden. Die ungarische Regierungspartei Fidesz, deren EVP-Mitgliedschaft derzeit suspendiert ist, habe den Austritt nur deswegen nicht vollzogen, weil die Franzosen, Spanier und Italiener "eindeutig hinter uns standen" und das in der Debatte der EVP nachdrücklich klargemacht hätten.

Droht mit neuer "christdemokratischer Bewegung"

Hinsichtlich dessen habe er auch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verhandelt, sagte Orbán. Die beiden hatten einander am Donnerstag in Prag beim Visegrád-Gipfel getroffen. Zudem wolle er mit EVP-Chef Donald Tusk, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer über eine "Entscheidung" sprechen.

Orbán betonte zugleich, wenn sich die EVP nicht hinter Ungarn stelle, "müssen wir eine neue europäische Bewegung mit christdemokratischem Charakter gründen, für die wir Verbündete finden werden". Erst jüngst hatte er nach einem Besuch in Polen die dortige rechtsnationale Regierungspartei PiS, die der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) angehört, als möglichen Bündnispartner genannt.

Neue Angriffe gegen Soros

Orbán griff auch erneut den ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros an, der hinter allem stehe. Soros sei weltweit der "Oligarch Nummer eins", der seine Tätigkeit über ein "mafiaartiges Netzwerk" ausübe und die europäische Politik beeinflusse.

Hinsichtlich der türkis-grünen Regierung erklärte Orbán, diese sei nach der türkis-blauen "eine weitere erste Schwalbe" in der europäischen Politik. In ihrer Zusammensetzung spiegle sie nämlich die beiden großen Herausforderungen, vor denen die Welt stehe, wider: die Migration und den Klimawandel. In der Vorwoche hatte Orbán gesagt, dass er selbst eine Regierung mit den Grünen nicht anführen würde. Die ungarischen Grünen seien nämlich wie Wassermelonen: "Außen grün und innen rot." (APA, 17.1.2020)