Die virtuelle Welt ist Teil unseres Alltages geworden. Daher sollten Kinder frühzeitig die richtige und gesunde Nutzung lernen.

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Unter dem Titel "Schöne digitale Welt?" tagen an diesem Wochenende mehr als 300 Expertinnen und Experten aus dem Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie in Innsbruck. Im Fokus des Kongresses stehen Fragen wie "Kann das Handy süchtig machen?", "Wie wirkt sich Medienkonsum bei Kindern aus?" oder auch "Kann Virtual Reality bei der Behandlung eingesetzt werden?". Denn während das Internet längst zum Teil unseres Alltags geworden ist, stehen die Forschungen zu möglichen negativen Auswirkungen der Online-Welt noch am Anfang.

So auch im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort unterscheidet man zwischen stoffgebundenen Süchten, mit denen die Abhängigkeit von klassischen Substanzen wie Alkohol, Nikotin oder anderen Drogen gemeint ist, und stoffungebundenen Süchten. Zu letzteren zählt auch das Internet. Ein gesellschaftspolitisch höchst aktuelles Themengebiet, wie Kathrin Sevecke, die Kongressgastgeberin und Leiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Tirol-Kliniken in Hall und Innsbruck, erklärt.

"Gerade für Jugendliche ist das Handy einer der wichtigsten privaten Gegenstände. Online können sie unter sich sein, haben eigene Codes und ihre eigene Sprache", erklärt die Expertin. Dieses Abgrenzen sei schon immer wichtig für Jugendliche gewesen, heute funktioniere es eben auch online. Daher liege der Schlüssel zu einem gesunden Umgang mit der virtuellen Realität in Beratung und Aufklärung. Denn es kursieren viele Vorurteile und Falschmeinungen zum Umgang mit Onlinemedien. "Dass etwa gewalthaltige Computerspiele allein Gewalthandlungen hervorrufen, ist natürlich Quatsch. Allerdings wissen wir, dass aggressionsbereitere Jugendliche deutlich häufiger gewalthaltige PC-Spiele spielen. Und wir beobachten bei Kindern mit psychischen Problemen ein durchaus ungesundes Verhältnis zum Medienkonsum. Sowohl was die Menge als auch die Art der Medien betrifft", sagt Sevecke.

Erste Therapieplätze in Tirol

Dass problematische Nutzung des Internets krankhafte Züge annehmen kann, beweist die Aufnahme von "Gaming Disorder" als Krankheit in das ICD-Klassifikationsmodell der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das weltweit anerkannte System für medizinische Diagnosen. Diese elfte Überarbeitung des ICD-Modells wird in gut einem Jahr veröffentlicht, beim Innsbrucker Kongress will man sich daher schon jetzt intensiv mit dem Thema befassen. Denn eine Folge wird sein, dass die Behandlung von Onlinesucht künftig über die Krankenkasse abgerechnet werden kann.

In Hall in Tirol existiert bereits eine eigene Station für jugendliche Abhängigkeitspatienten. Von den insgesamt sechs stationären Plätzen sind bereits jetzt durchschnittlich 20 Prozent mit Betroffenen nichtstoffgebundener Süchte belegt, erklärt Sevecke. Wobei der Bedarf durchaus höher sein könnte, wie die Ärztin anmerkt: "Aber es ist oft schwer, diese Jugendlichen überhaupt zu einer Behandlung zu bewegen." Insgesamt, schätzen Fachleute, stehen zehn Prozent aller Jugendlichen "an der Schwelle zum suchtartigen Internetgebrauch", bei drei Prozent ist er bereits manifest.

Süchtig nach Belohnung

Sinn und Zweck der Therapie sei nicht, die jungen Patienten gänzlich vom Internet fernzuhalten, wie Sevecke betont. Vielmehr gelte es, einen gesunden Umgang damit zu finden: "Daher führen wir zum Beispiel bestimme Mediennutzungszeiten für die Patienten ein, zu denen sie ihre Handys nutzen dürfen." Diese Regeln werden auch gut angenommen. Das große Problem sei jedoch die Zeit außerhalb der Klinik.

Dort kommt den Eltern eine zentrale Rolle zu. Sie müssen als Vorbilder im Umgang mit Onlinemedien agieren. Wenn die Erwachsenen ständig im Netz surfen, wird es schwierig, die Kinder von nötigen Auszeiten zu überzeugen, mahnen die Experten. Denn gerade in jungen Jahren wird die Grundlage für einen vernünftigen Umgang mit Onlinemedien geschaffen, wie die Fachleute betonen. So empfiehlt die WHO, Kinder bis zwei Jahre gänzlich vom Medienkonsum fernzuhalten. Für Kinder von zwei bis sechs Jahren wird maximal eine Stunde vor dem Bildschirm pro Tag als Grenzwert genannt.

Grenzen seien im Zusammenhang mit Internetkonsum besonders wichtig, erklärt Sevecke: "Onlinespiele lösen einen Belohnungseffekt im Gehirn aus. Den Umgang damit muss man trainieren, sonst wollen gerade Kinder immer mehr davon." Neben möglichen negativen Folgen übermäßigen Internetkonsums geht der Innsbrucker Kongress auch auf positive Einsatzmöglichkeiten ein. So wird virtuelle Realität bereits versuchsweise zur Behandlung von Kindern mit ADHS eingesetzt. Sie sollen im digitalen Umfeld lernen, ihre Impulsivität zu kontrollieren. Solche Therapie-Ansätze will man künftig auch in der Klinik Hall ausprobieren. (Steffen Arora, 18.1.2020)