Alexandra Henkel als Freud.

Foto: Matthias Horn

Das Ensemble huscht vor Beginn des Abends durch die Reihen und wirbt mit sanften Worten um das Zutun der weiblichen Gäste. Eine von ihnen wird während des Stücks auf die Bühne kommen und den Rest des Abends dort verbringen müssen. Sie soll dort von einem Traum erzählen, Freud selbst wird ihn für sie deuten. Welch Gelegenheit!

In Wien ein Stück über Sigmund Freud zu inszenieren ist, als würde man am Ende der Mathematikhausaufgabe eine Musterzeile in das Heft malen: etwas kitschig, gut gemeint, reißt einen aber auch nicht heraus, wenn man sich oben verrechnet hat.

Die irische Truppe Dead Centre malt Musterzeilen gewohnheitsmäßig. Das von Martin Kušej erstmals ans Burgtheater geholte irische Regieduo Ben Kidd und Bush Moukarzel geht in seinen Produktionen gern auf Eigenheiten der Städte ein, in denen es sie stemmt. So erfreuen sie die Wiener in Die Traumdeutung von Sigmund Freud mit deren eigener Geschichte.

Furore über Träume

Es ist kuschelig im zu dem Zweck ins Akademietheater verpflanzten Salon des berühmten Psychoanalytikers. Teppiche auf dem Boden und überm Sofa (Nina Wetzel) verströmen gediegenen Charme. Was Freud hier in seinen Sitzungen von Patienten hört, findet nicht selten Eingang in sein Buch Die Traumdeutung (1899). Es sorgt mitsamt der neuen Wissenschaft für Furore in Wien und unter Freuds Freunden, denn er anonymisiert sie nur schlampig.

So erfahren wir, dass Ludwig (Johannes Zirner) seine Patientinnen mehr als nötig abtastet. Auch weiters trifft sich da ein illustres, aber kein edles Grüppchen am Tischchen Freuds zum Bayerischen Tarock. Der Arzt Oskar (Tim Werths) hat herausgefunden, dass man das von "Sigi" propagierte Kokain auch schnupfen kann, und zieht sich eine Line nach der anderen die Nase hoch. Die Animiertheit fährt ihm stracks in den hibbeligen, zuckenden Körper.

Nicht nur der Chauvinismus blüht zwischen roten Tapeten, auch Antisemitismus grassiert. Bürgermeister Lueger schwingt in der Zeitung Hassreden, Bühnenarbeiter dringen als Ungeist in Freuds Salon und tragen dessen Mobiliar fort. Dennoch weilt das Publikum in Hochstimmung.

Taschenspielertrick

Neben dem Herrentrio (Philipp Hauß komplettiert) liegt das am Coup des Abends, der Darstellerin aus dem Zuschauerraum: Andrea mit einer träumerischen Vorliebe für schwarzen Kaffee und den Musiker Alice Cooper bot sich bei der Premiere erstaunlich rasch an. Ihr Traum ist aber eher Nebensache, vor allem stolpert sie, zur Hauptfigur Freud aufgewertet, mit falschem Bart eineinhalb Stunden lang meist stumm durchs Stück.

Im Spiel lenkt das Ensemble sie sacht hierhin und dorthin oder drückt ihr einen Brief zum Vorlesen in die Hand. Martha Freud (Alexandra Henkel) beschwört den stummen Gatten, mit dem Sex aufzuhören, die Verhütung per Rückzieher funktioniert nicht, sie hat genügend Kinder. Findet Andrea die Spielkarten im Schreibtisch nicht, gibt das Anlass zur Spekulation, ob der verwirrte Freud "ein Fremder im eigenen Haus" sei. Kenner kichern.

Am Ende packt die Videoabteilung mit Greenscreentechnik an, um Hannibal mit Elefanten in den Alpen über uns hinwegrauschen zu lassen. Das ist höchst sympathisch, von einem tollen Ensemble gespielt und unterhaltsam. Die Zuschauerin als Darstellerin kaschiert als Taschenspielertrick aber auch, wie inhaltlich belanglos die zwei Stunden geraten sind. (Michael Wurmitzer, 17.1.2020)