"Die folgende Serie soll unterhalten und informieren, keine medizinische Beratung darstellen. In Gesundheitsfragen oder vor Beginn einer Behandlung sollten Sie immer Ihren Arzt konsultieren." Mit diesem hübschen Disclaimer beginnt jede Folge von Gwyneth Paltrows sechsteiliger Dokusoap The Goop Lab mit Gwyneth Paltrow, die am 24. Jänner auf Netflix startet, und das nicht ohne Grund. In insgesamt sechs einzelnen Folgen unterziehen sich Paltrow, genannt "G._P.", und ihr Team unterschiedlichen "Therapien" von unterschiedlichen "Experten".

Die weltbekannte Schauspielerin (2008 immerhin laut Forbes-Magazin die viertbestbezahlte der Welt) und Oscarpreisträgerin (Shakespeare in Love) lebt nämlich längst nicht mehr vom Kino, sondern hat 2008 mit ihrer Firma Goop ein Lifestyle -Imperium aus dem Boden gestampft.

Man nimmt also auf Jamaika unter dem treu sorgenden Blick der begleitenden älteren Hippies gemeinsam Schwammerln als Teil einer "psychedelischen Psychotherapie". Man macht mit einem ältlichen Herren, der es besonders gut besonders lang im Kalten aushält, Atemübungen, lässt sich zu Push-ups verdonnern, lenkt "den Atem in jede Körperzelle", um danach Yoga im Schnee zu machen, ins kleschkalte Wasser zu springen und "Ängste zu überwinden".

Foto: Netflix

Viva la vulva!

Man lässt ohne Berührung Energieflüsse bearbeiten – bis in subatomare Partikel, Emotionen ändern auch die Zellen! –, und Laura, das fröhliche Medium, kommt zu Wort und liest Energien ("It’s so amazing!").

Hier werden Blockaden überwunden, die "Mindfulness" gefeiert und Phrasen gedroschen, dass es eine Freude ist, es wird gemeinsam geweint, gefühlt, Traumata werden verarbeitet und einander auf die Schulter geklopft, als gäb’s kein Morgen. (Warum nur haben diese Gurus immer Haare, die über Glatzen kleben, und eine Spur zu wenig körperliche Distanz?)

Alles albern? Nicht ganz. Immerhin widmet sich eine Folge unter der Leitung von Orgasmuslegende Betty Dodson ausschließlich dem weiblichen Orgasmus – und das tatsächlich ziemlich mutig. Gwyneth Paltrow wird also erst einmal geduldig erklärt, dass es Vulva heißt und nicht Vagina, dass die Klitoris samt ihren 8000 Nervenenden erst 2005 erforscht wurde, es werden in Workshops klug, furchtlos und mit viel Schmäh Anatomie, Körperakzeptanz und sexuelle Eigenständigkeit unterrichtet, die Scham nach Hause geschickt und allerhand Kluges über unser verzerrtes Bild der eigenen Genitalien erzählt, samt tatsächlichen Bildern unterschiedlicher Vulven, ein revolutionärer Akt in einer TV-Serie.

Charme trotz Kohlsuppe

Der dann aber doch darunter leidet, wenn eine Folge später über Chia-Pudding, fünftägige reinigende Diäten und das durch Bluttest bestimmte biologische (nicht chronologische!) Alter gesprochen wird und damit in Kombination auch noch mehr oder weniger "sanftere" Schönheitsmaßnahmen ausprobiert werden. Wobei die ungeschminkte, nach der Behandlung rotgesichtige Paltrow samt Hungergrant trotz Kohlsuppe und Gemüsepulver durchaus gewissen Charme hat ("Am dritten Tag fühle ich mich seltsam schwach" – fühle, Gwyneth, fühle!).

Auch mit den besten Absichten fällt es schwer, lang ironiefrei zu bleiben, nicht umsonst nennt Vice Goop Lab nach den zahlreichen Skandalen um pseudowissenschaftliche ausgepriesene Produkte vom Vagina-Ei bis zum Antidepressionstee "die neueste True-Crime-Serie auf Netflix".

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Machen uns mehr Fitness glücklich?

Doch so einfach ist es natürlich nicht. Dokusoaps über Selbst- und Fremdverbesserung haben ihre ganz besondere Anziehungskraft, das beweisen Serien über Modeberatung genauso wie über Verkehrskon trollen. Wie sieht die graue Maus aus, wenn man ihr nur das richtige Kleid und die richtige Frisur verpasst? Wird das Leben des Paares mit fünf Kindern besser, wenn nur die Wohnung neu eingerichtet ist? Wird die arme Hausfrau glücklicher, wenn sie schöne Zähne hat und 15 Kilo leichter ist?

Wenn ich zwei kalorienarme Gerichte kochen kann und weiß, wie man ein T-Shirt richtig vorn in die Hose steckt, habe ich dann mein Leben im Griff? Und, die Frage aller Fragen: Machen uns mehr Fitness, ein anderes Aussehen, eine andere Ernährung bittebitte endlich glücklich?

"Ich würde mich gerne verstehen im Kontext eines größeren Universums", sagt eine Teilnehmerin mit einer gewissen Ernsthaftigkeit – und ja, würden wir das nicht alle? Stärker werden nach dem Motto "Jeder kann das"? Den inneren Schweinehund besiegen? Endlich das Gefühl haben, irgendeine Form von Kontrolle über das eigene Dasein auszuüben?

Foto: goop

Luxusprobleme?

Bei allem Hohn für Paltrow steht fest, dass die Frau den Markt für Eso-Heils versprechen nicht erfunden hat, ihn aber erfolgreich bedient. Das Bedürfnis nach körperlicher und seelischer Gesundheit, die bei Einnahme der richtigen Lebens mittel- und Denkzusätze gegen teures Geld risikolos selbst herstellbar ist, im Grunde der Traum vom dadurch verlängerten Leben, ist so alt wie die konsumierende Menschheit. Der Markt für dementsprechende Magazine boomt und hierzulande lassen sich sogar in Apotheken Raumsprays mit dem Titel "Beschütze mich" erwerben.

Die Zielgruppe von Paltrows 2008 lancierter Lifestylewebsite goop.com sind vor allem wohlhabende Menschen mit Selbstoptimierungsambitionen. Die Gründerin selbst bezeichnet ihre Produktauswahl als "aspirational", soll meinen, man kann sich so ambitioniert einen anderen Lebens standard immerhin wünschen, wenn schon nicht durchgehend leisten, und tada, die gesunden Hendlrezepte seien schließlich gratis. Dass eine Luxusmarke teure Produkte verkauft, ist mäßig überraschend.

Wer sich auf goop.com in die Untiefen des Lifestylewohlfühlens begibt, landet bei vernünftigen Biobaumwollkleidern ebenso wie beim Spray gegen Energievampire, findet schicke Vibratoren genauso wie "Sprouts IO", den Hydrokultur-"Smart garden" für zu Hause zum wohlfeilen Preis von 800 Dollar samt App um läppische 29 Euro pro Monat, mit der man die Pflänzlein auch vom Handy aus beobachten kann ("Cute, right?").

Bienenpollen als Garnitur

Es gibt eine Rolex um 19.558 Dollar und eine Kelly Bag von Hermès um 13.500 Dollar als "Style resolution". Es gibt Tipps zur aufwandslosen Haarpflege (samt Haarmaske um 58 Dollar), dazu Nudelmaschinen, abenteuerliche und ordentliche Dessous.

Bei einem Rezept steht schon einmal "nach Wunsch mit Bienenpollen garnieren", die Wasserflasche mit Quarzkristall um 80 Dollar kommt gleich mit. Bei Workout-Clips fehlen natürlich nicht die passenden Produkte. Es gibt Tarotkarten, Meditationspolster (Mit Buchweizenschalen und getrocknetem Lavendel! Der Überzug ist Handwäsche!). Und natürlich die medial vielbeschriebene – und bereits ausverkaufte – Duftkerze mit dem Namen "This smells like my vagina", duftend nach Geranium, Bergamotte, Zeder und Rose, um wohlfeile 75 Dollar.

Foto: goop

Dazwischen finden sich Texte, Interviews und Podcasts zu Themen wie "Wie abwesende Väter unsere erwachsenen Beziehungen prägen" oder die durchaus sinnvolle Forderung auf Instagram, psychische Erkrankungen ernst zu nehmen. Eine Expertin betont im Interview, nicht viel Make-up zu tragen, und betet dann ihre fünf sündteuren Hautpflegeprodukte runter, die sie vorm Schminken benützt, insofern unterscheidet die Website wenig von einschlägigen Frauenmagazinen.

"Selfcare", das dezidierte Kümmern um das eigene Wohl, hat einen ganz besonderen Reiz in einer Zeit zunehmenden Tempos und des Zwangs, wirklich alles im Leben erreichen zu müssen. Natürlich ist es sinnvoll, über das eigene Leben, die eigenen Ziele, Familienkonstrukte und Traumata nachzudenken und mit Experten Lösungen zu finden. Doch ein als Magazin getarntes Werbeumfeld ist dafür wohl nur ein mäßig guter Ort.

Dass viele Frauen etwa oft "so fucking tired sind", hat seinen Grund fix auch im System, Stichwort Doppelbelastung, Altersarmut, ungleiche Vermögensverteilung, Gläserne Decke etc. Doch Goop hat sich eben nicht dem Kampf gegen den Kapitalismus verschrieben, behauptet das auch nicht, sondern schlicht dem Verkauf von Produkten. Und so ist der Skandal wohl nicht, dass ein Luxusschuhdesigner wie Louboutin exklusiv für das Portal sündteure Babyschuhe entwirft, sondern die zunehmende Schere zwischen Arm und Reich, über die es auf goop.com verständlicherweise nur sehr wenig Inspirierendes zu lesen gibt.

Also nein, Weltrevolution wird es durch eine Vagina-Duftkerze keine geben. Und ebenfalls nein, an der Mindfulness liegt es auch nicht, dass reiche Menschen älter werden und gesünder leben. Aber Antworten auf die Klassenfrage sucht hier ebenfalls niemand.

Was also tun mit diesem Sammelsurium an einigen echten Wahrheiten und sehr vielen Binsenweisheiten? Vielleicht eines: sehr achtsam dahinter sein, dass "die wichtigste Erfahrung meines Lebens" am Ende keine Detoxkur ist. (Julia Pühringer, 19.1.2020)

Netflix

Info:

Paltrows Imperium Goop begann 2008 als kostenloser Newsletter, ein damals eigentlich totgesagtes Format, in dem Gwyneth Paltrow aus ihrem Leben und über Lieblingsprodukte berichtete, deren Quellen und Rezepte empfahl. Der dazugehörige Onlineshop wurde 2012 eröffnet, bereits 2014 gab es 700.000 Newsletter-Abonnenten und.

Hinzu kam ein eigener Verlag, die Website bespielt die Neuen Medien gekonnt und mit Profis, die teils von Medienunternehmen abgeworben wurden. Wellnessherrlichkeit auf Insta und ein Podcast gehören dazu. Eine eigene Modelinie entstand 2016, seit 2017 werden auch Nahrungsergänzungsmittel verkauft, der Home- und der Dekosektor werden bedient, Fitnessprodukte angeboten. Newsletter und Website samt "Gratis"-Tipps in Sachen Lebensführung, Wellness und Mode fungieren als Werbeumfeld für den hauseigenen Shop.

"Gesundheitsgipfel"

Dazu gibt es jährliche "Gesundheitsgipfel", auf denen auch "Medien" und Impfgegner ein Podium bekommen. 2018 wurde Goop nach Beschwerden von der Verbraucherschutzorganisation "Truth in Advertising" verklagt, man musste u. a. wegen der Behauptungen, ein in die Vagina einzuführendes Ei aus Jade und Rosenquarz würde "Hormone in Balance bringen, den Menstruationszyklus regulieren, Gebärmuttervorfall verhindern und die Blasenkontrolle verbessern" sowie ein Badezusatz könne Depression verhindern, 145.000 Dollar Strafe zahlen. Eine Magazinkooperation mit Condé Nast soll laut "New York Times" gescheitert sein, da Goop-Artikel der Überprüfung des Fact-Checker-Teams von Condé Nast nicht standhielten und im letzten Moment durch Reiseberichte ersetzt werden mussten.

Empfohlene Praktiken wie "Bienen-Akupunktur", Kaffeeeinläufe oder ein Vaginaldampfbad zur "Reinigung der Gebärmutter" werden regelmäßig kritisiert. Stand 2018 soll die Firma 250 Mio. Dollar schwer sein. Bei der neuen Show auf Netflix fungiert Paltrow auch als Produzentin.

Foto: Netflix