Viktor Szilagyi: "Der deutsche Kader ist breit genug, es wird schwer für uns."

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Liveticker: Handball-EM: Österreich vs. Spanien, Sa. 18.15 Uhr

"Entweder wir lösen eine Euphorie aus, oder der österreichische Handball spielt auf lange Sicht überhaupt keine Rolle mehr in der Öffentlichkeit." Das sagte Viktor Szilagyi vor zehn Jahren, vor der ersten Heim-EM 2010. Es wurde dann bekanntlich eine Euphorie, Handball verschwand nicht aus der Wahrnehmung, die Fortsetzung folgt mit der Heim-EM 2020. Szilagyi ist Österreichs Jahrhunderthandballer, absolvierte 203 Länderspiele, ist mit 907 Toren zweitbester Werfer hinter Andreas Dittert (1089). "Die Leistungen sind trotz der 23:27-Niederlage gegen Kroatien beeindruckend. Die Fitness der Spieler, die taktischen Varianten in der Abwehr, das hat in Fachkreisen für Aufsehen gesorgt", sagt Szilagyi zum STANDARD.

Die Stadthalle war bisher bei allen ÖHB-Spielen gut besucht. Gibt es ein Handballpublikum in Österreich? "Durchaus. Aber es gibt auch ein verstärktes Eventpublikum, besonders bei uns. Das ist sportartübergreifend." Das ÖHB-Team trifft am Montag in der Hauptrunde auf Deutschland. Ein ungleiches Duell. Handball ist in Deutschland hinter Fußball Sportart Nummer zwei, hat die stärkste Liga der Welt, der Verband knapp 800.000 Mitglieder. "Das ist so, wie wenn jeder zehnte Österreicher Handball spielen würde." So ist es natürlich nicht. Der ÖHB hat 22.000 Mitglieder.

"Die Belastung für die deutschen Teamspieler ist enorm"

Szilagyi ist seit 2018 Sportvorstand beim deutschen Bundesligisten Kiel. "Die Belastung für die deutschen Teamspieler ist enorm, wir hatten mit Kiel im ersten Halbjahr 34 Pflichtspiele, Ländermatches nicht eingerechnet. Der deutsche Kader ist trotzdem breit genug, es wird schwer für uns." Der von Europa dominierte Handballsport ringt um globale Aufmerksamkeit, kämpft um neue Märkte und mehr Geld. Die EM wurde bereits von 16 auf 24 Teams aufgestockt, die WM 2021 in Ägypten werden erstmals 32 statt wie bisher 24 Mannschaften schmücken. Wird das sportliche Niveau dadurch verwässert? "Turniere aufzublähen ist sicher nicht der richtige Weg", sagt Szilagyi, der sich viel mehr Sorgen macht um die Gesundheit der Spieler. "Wir pressen die Topspieler aus mit Liga, Champions League, Pokal. Dazu ist 2020 ein Jahr mit einer EM und Olympischen Spielen. Wir reden schon lange darüber, aber es passiert nichts. Ich erwarte mir in Zukunft, dass namhafte Spieler Turniere absagen. Die Qualität sinkt, die Hauptrunde der EM ist ein Abnützungskampf."

Die Olympischen Spiele in Tokio sollen Handball in Asien pushen, in den USA fristet der Sport ein Schattendasein, viele Amerikaner wissen gar nicht, dass es Handball gibt. "Diese Märkte müssen uns wichtig sein, aber das geht nicht von heute auf morgen." In Kiel kennt jedes Kind den Handballverein. Szilagyi bezeichnet Kiel als die "reinste Handballmarke der Welt". Jedes Liga-Heimspiel ist mit mehr als 10.000 Zuschauern ausverkauft, Saisonkarten werden in der Familie vererbt. Der Verein hat einen großen regionalen Sponsorenpool, ist im Gegensatz zu anderen europäischen Topvereinen nicht von Mäzenen oder staatlichen Förderungen abhängig. Kiel ist mit 20 Titeln deutscher Rekordmeister, drei davon gelangen mit Szilagyi als Spieler. Die Erwartungen sind hoch, auch an Nikola Bilyk, der seit 2016 bei den Norddeutschen engagiert ist. "In Kiel hat er nicht die dominante Rolle wie im österreichischen Nationalteam, aber er ist gereift, seine Leistungsexplosion überrascht mich nicht."

Als Kandidat für den ÖHB-Teamchefposten galt Szilagyi nicht, "meine Karriere geht in eine andere Richtung". Einen Job als Trainer schließt er nicht aus, dem Verband dient er als Berater. Vor Deutschland wartet am Samstag noch Spanien (18.15, live ORF eins), der regierende Europameister. "Das wird Schwerarbeit für unsere Abwehr. Aber das ist in einer Hauptrunde zu erwarten." (Florian Vetter, 17.1.2020)