Die Gewissheit früherer Generationen, dass es ihre Kinder einmal besser haben würden, gibt es nicht mehr, meint Ökonom Sustala.
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Florian hatte sich das alles ganz anders vorgestellt. Mit seinem Studium der Finanzwirtschaft, seinen Mathekenntnissen und Programmierskills wollte er vor zehn Jahren die große Karriere als Banker in London starten. Doch die globale Finanzkrise 2008 machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

Als junger Analyst bei einer Investmentbank verdiente er nur mehr ein Drittel dessen, was seine Vorgänger dort als Einstiegsgehalt bekommen hatten. Bei ihm war alles anders: Regelmäßig wurden sogar junge Kollegen für ein paar Wochen entlassen, damit sie die Bank nicht fest anstellen musste. Florian wechselte erst in ein anderes Investmenthaus und schließlich die Branche. "Wir sind einfach zu spät gekommen", resümierte er schon damals und meint damit seine ganze Generation: die Millennials.

Zu spät zur Party

Diese Anekdote beschreibt der Ökonom Lukas Sustala in seinem Buch "Zu spät zur Party". Seine These: Die Gewissheit früherer Generationen, dass es ihre Kinder einmal besser haben würden, gibt es nicht mehr. Die Millennials, zwischen 1982 und 2000 geboren, haben das rauschende Fest des langen Wirtschaftsaufschwungs verpasst.

Während die Babyboomer ausgelassen feierten, bleiben Millennials nur noch schal schmeckendes Bier und Chipsbrösel übrig. Die globale Finanzkrise 2008 machte Karriereleitern morsch, die Sprossen brachen unter den Füßen der Millennials weg, als diese gerade zu klettern anfingen.

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Die Party der Babyboomer ist vorbei, argumentiert der Vizedirektor der Agenda Austria.
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Dabei sei der stärkste Wirtschaftseinbruch seit der Großen Depression der 1930er-Jahre bloß ein Katalysator gewesen, sagt Sustala im Gespräch mit dem STANDARD. Die Krise habe gezeigt, dass der gesellschaftliche Wandel die Jungen in der westlichen Welt strukturell benachteilige. Erstmals sieht man in vielen Industrieländern bei jungen Alterskohorten stagnierende oder sinkende Einkommen im Vergleich zur Elterngeneration.

Das gilt besonders für die von der Wirtschaftskrise am härtesten getroffenen Staaten wie Spanien oder Griechenland. Dort war zum Höhepunkt der Krise rund die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos, und auch heute noch ist ein rekordhoher Anteil von ihnen weder in Jobs noch in einer Ausbildung gelandet. Aber nicht nur im Süden Europas, auch in Österreich haben sich die Chancen der Millennials im Vergleich zu denen ihrer Eltern schlechter entwickelt.

Einkommen gesunken

Anhand einer Sonderauswertung für den STANDARD hat der Ökonom Sustala anhand von Daten der Statistik Austria die mittleren Einkommen der Generationen über mehrere Jahre vor und nach der Krise verglichen. Dass steigende Preise die Kaufkraft aushöhlten, wurde dabei berücksichtigt.

Fazit: Jede der Altersgruppen in Österreich hatte 2017 ein geringeres Medianeinkommen als 2004. Am größten ist der Unterschied bei den unter 30-Jährigen. Junge Beschäftigte hatten im Jahr 2017 um 16 Prozent geringere Einkommen als junge Arbeitnehmer 2004. Bei der Altersgruppe der 50- bis 60-Jährigen sind die Einkommen im selben Zeitraum nur um rund ein Prozent gefallen.

Senioritätsprinzip schlägt zu

Die Frage ist nun, wie das sein kann – wo doch in Österreich flächendeckend Kollektivverträge abgeschlossen werden, die Gehälter regelmäßig deutlich stärker anheben, als die Inflation sie entwertet hat?

Sustala erklärt das mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt: "Wir haben ein Insider-Outsider-Problem." Auf der einen Seite stehen alteingesessene Arbeitnehmer mit stabilen Erwerbskarrieren. Ihnen kommen die sogenannten "wohlerworbenen Rechte" älterer Kollektivverträge zugute.

Das ausgeprägte Senioritätsprinzip in Österreich führt dazu, dass ältere Arbeitnehmer besser entlohnt werden, weil sie länger im Job sind – unabhängig von der erbrachten Leistung. "In manchen Branchen, wie etwa Medien oder Banken, die besonders stark vom digitalen Wandel durchgebeutelt wurden, sitzen heute zwar 30- und 50-jährige Kollegen nebeneinander im Großraumbüro. Zwischen deren Arbeitsverträgen liegen aber Welten", sagt Sustala.

Ältere werden zu teuer

Aber nicht nur die Jungen haben einen Nachteil: Ältere, die ihren Job verlieren, sind oft aufgrund der höheren Lohnkosten weniger attraktiv für potenzielle Arbeitgeber, sie landen häufig in der Langzeitarbeitslosigkeit.

Der Bonus einer stabilen Erwerbskarriere zeigt sich klar in den Daten: Betrachtet man nur Vollzeitbeschäftigte, zeigt sich, dass deren Einkommen in allen Altersgruppen gestiegen sind. Wiederum profitierten ältere Jahrgänge mehr. Während ein Vollzeitbeschäftigter unter 30 im Jahr 2017 im Schnitt rund vier Prozent mehr verdiente als ein junger Arbeitnehmer im Jahr 2004, war der Anstieg bei der Gruppe der 50- bis 60-Jährigen doppelt so groß.

Barrieren für Karrieren

Dass junge Arbeitnehmer noch keine "wohlerworbenen Rechte" haben, ist aber nur ein Teil der Erklärung. Einen Arbeitgeber zu verlassen gilt in Krisenzeiten als eher riskant, das Angebot ist überschaubar. Die stärksten Einkommenssprünge bringen aber Wechsel des Arbeitgebers, zeigen internationale Studien.

Für junge Österreicher ist die Schieflage bei den Einkommen zudem nicht die einzige Sorge am Arbeitsmarkt. Trotz vergleichsweise schlechterer Bezahlung sind die Ansprüche an Berufseinsteiger nämlich deutlich gestiegen. "Der heutige Master-Abschluss ist die Matura von früher", zitiert Sustala einen Gesprächspartner aus der Finanzbranche.

Aussieben an den Unis

Gleichzeitig wird es für junge Menschen schwieriger, durch höhere Qualifikationen hervorzustechen. War früher etwa das Medizinstudium in Wien für alle frei zugänglich, werden mittels Eignungstest neun von zehn Kandidaten ausgesiebt. Mittlerweile absolvieren ambitionierte Bewerber ganzjährige Vorbereitungskurse für den Test. Immer mehr Studienfächer haben Eignungsverfahren.

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Feiern ohne Laune?
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Wer in den vergangenen Jahren sein Studium erfolgreich absolvierte, bekam trotzdem nicht mehr so einfach wie früher eine unbefristete Stelle. Sogar die öffentliche Verwaltung hält zum Teil mit befristet angestellten Praktikanten den Betrieb in Ministerien aufrecht. Manche von ihnen, meist fertige Akademiker, erfüllen die Aufgaben pensionierter Referenten. Von den Gehältern langjähriger Büroassistenten können sie nur träumen. Gerne wird auch auf freie Dienstnehmer zurückgegriffen, die weder Anspruch auf Urlaub noch auf Überstundenvergütung haben. In vielen Branchen hat es sich durchgesetzt, hochqualifizierte Bewerber günstig über Volontariate und Praktika auszuprobieren.

Künftige Kosten

Millennials sind nicht nur die erste Generation seit dem Zweiten Weltkrieg, für die der Karriereweg mühsamer ist als für die ihre Eltern. Es gibt noch mehr Probleme:

  • Sie haben höhere Kosten.
  • Eine schrumpfende Zahl wirtschaftlich Aktiver steht künftig immer mehr Pensionisten gegenüber. Die großen Pensionierungswellen der Babyboomer stehen Österreich erst bevor.
  • Erspartes wirft wegen der Nullzinsen weniger ab.
  • Der staatliche Schuldenrucksack ist zwar leichter geworden, der Hang der Politik, heute Geld auszugeben und morgen dafür die Rechnung zu begleichen, hält an.
  • Der Traum vom Eigenheim rückt, trotz günstigerer Kredite, wegen des Immobilienbooms in weite Ferne.

Bleibt den Millennials und der soeben heranwachsenden Generation Z also nur noch, das Licht im Partyraum auszuknipsen? Nein, meint Sustala:, "Wir können ein neues Fest feiern."

Wichtig wäre, dass sich junge Menschen stärker für ihre Interessen einsetzten. Derzeit lobbyieren vor allem Ältere, wie etwa der Seniorenbund und der Pensionistenverband, effektiv in eigener Sache. Die Jugendorganisationen der meisten Parteien seien weniger Sprachrohr ihrer Generation als Instrumente, um die jeweilige Ideologie unter Schülern und Studierenden anzupreisen, sagt Sustala.

Stimmen für Kinder

"Ein gemeinsames Ziel für Jungpolitiker könnte sein, dass Eltern zusätzliche Wahlstimmen für ihre Kinder abgeben dürfen, schlagen Ökonomen immer wieder vor." Auch bei notwendigen Pensionsreformen ließe sich die Last besser über die Altersgruppen verteilen. Gehälter sollten weniger die Dienstjahre und stattdessen mehr berücksichtigen, wie produktiv ein Mitarbeiter ist.

Einen positiven Effekt der morsch gewordenen Karriereleiter sieht der Ökonom: Viele junge Talente wollen neuerdings selbstständig werden. Der Start-up-Boom der vergangenen Jahre sei auch eine Reaktion auf die verkrusteten Strukturen in alteingesessenen Branchen. Statt als Physikabsolvent in der Investmentbank anzuheuern, versuchen mehr Junge mit eigenen Ideen durchzustarten. Davon dürften alle in der Gesellschaft profitieren – egal welchen Alters. (Leopold Stefan, 18.1.2020)