Bei der Hauptversammlung am 5. Februar sollte sich Siemens-Chef Joe Kaeser auf Widerstand aus den eigenen Reihen gefasst machen.
Foto: im

Für Siemens-Chef Joe Kaeser war der Start ins neue Jahr ein holpriger. Wegen des Festhaltens an einem umstrittenen Kohleprojekt in Australien, für das Siemens Zugsignalanlagen beisteuern will, ist der Chef des Industriekonzerns nicht nur bei vielen Klimaaktivisten unten durch – auch unter den eigenen Aktionären formiert sich zunehmend Widerstand. Sie werfen Kaeser einen "unverzeihlichen Fehler" vor, der "sowohl dem Klima als auch der Reputation der Siemens AG einen irreparablen Schaden zugefügt" habe. Daher wollen sie Kaeser auf der Hauptversammlung am 5. Februar die Entlastung verweigern.

Tatsächlich gingen zu Wochenbeginn Bilder um die Welt, die Keasers Ankündigung, Siemens wolle "der Gesellschaft dienen", konterkarieren. Klimaaktivisten der Fridays-for-Future-Bewegung demonstrierten zu Wochenbeginn in Berlin sowie vor dem Münchener Hauptsitz gegen die Entscheidung, an dem australischen Kohleprojekt festzuhalten. Auch in Medienkommentaren musste sich Keaser vorwerfen lassen, eine Chance verpasst zu haben, mit einem Ausstieg Siemens einen Reputationsgewinn zu verschaffen. Stattdessen habe er den Konzern einen Imageverlust eingebrockt, der die Kosten eines Rückziehers aus dem Vertrag übersteige.

Vertrag einhalten

Anders stellt sich die Lage aus Kaesers Sicht dar: Er will aus Vertragstreue an dem Kohleprojekt des Adani-Konzerns festgehalten haben – und pocht damit in gewissem Sinn auf Verlässlichkeit als deutsche Tugend. Im Umkehrschluss kann man dies aber auch dahingehend deuten, dass der 62-Jährige die Umwelt- und Klimarisiken des Aufbaus eines der größten Kohlebergwerke der Welt geringer gewichtet.

Intern durchgewinkt wurde das Mitwirken an dem Adani-Projekt von dem 14-köpfigen Nachhaltigkeitsausschuss. Nach anfänglichen Bedenken soll sich der Standpunkt durchgesetzt haben, das man ja bloß Signaltechnik für den Abtransport beisteuere. Pikantes Detail am Rande: Geleitet wird das Gremium von Roland Busch, der erst im September zum stellvertretenden Vorstandschef aufstieg und als Kaesers Nachfolger gehandelt wird.

Keine Konsequenzen

Direkte Konsequenzen müssen weder Kaeser noch Busch bei einer möglichen Nichtentlastung durch die Hauptversammlung fürchten. Es wäre allerdings ein richtungsweisendes Signal, wenn die Eigentümer offenbar den Kurs der Führungsspitze nicht mittragen. Ob es tatsächlich dazu kommt, bleibt abzuwarten – zumal die kritischen Stimmen bisher hauptsächlich von Kleinaktionären stammen. Auf eine eindeutige Entlastung wie im Vorjahr durch mehr als 96 Prozent der Eigentümer – insgesamt 5600 Aktionäre waren in der Münchener Olympiahalle zugegen – sollte Kaeser heuer aber nicht wetten.

Fridays for Future demonstrierte in Berlin vor einem Siemens-Gebäude.
Foto: EPA

Denn auch der ungelenke Versuch, die Dinge durch ein Jobangebot für die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer wieder ins Lot zu bekommen, werden Kaeser angelastet. Diese winkte umgehend ab und ersuchte stattdessen, den offerierten Aufsichtsratsposten bei einer Siemens-Energietochter stattdessen an Scientists for Future, eine Initiative von Wissenschaftern zur Unterstützung von Fridays for Future, weiterzuleiten. Es bleibt das Bild einer gescheiterten Zwangsumarmung von Kritikern.

Fridays for Future will übrigens auch am 5. Febuar rund um die Olympiahalle Stimmung machen. Allerdings weder gegen Siemens im Allgemeinen noch gegen Kaeser im Speziellen, erklärt Neubauer. Vielmehr gehe es darum, auf Systemfehler und Strukturen aufmerksam zu machen, "die unweigerlich Leben zerstören", betont die 23-jährige Klimaaktivistin. (aha, 18.1.2019)