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Musikalischer – und friedlicher – Protest vor der Pariser Oper.

Foto: Reuters / Charles Platiau

Bei einer in Krawall umgeschlagenen Kundgebung verhaftete die französische Polizei am Samstag 60 Demonstranten. Dabei gab es auf beiden Seiten Verletzte; gegen einen mobilen Einsatzpolizisten wurde eine Untersuchung eingeleitet, weil er laut Videoaufnahmen einen bereits blutüberströmten Demonstranten am Boden weiter geschlagen hatte. Innenminister Christophe Castaner hatte vergangene Woche erstmals in aller Form die Polizeigewalt verurteilt.

In der Nacht zuvor hatten Unbekannte Feuer an die bekannte Pariser Brasserie La Rotonde gelegt. Emmanuel Macron hatte dort 2017 seine Wahl gefeiert und besucht das Etablissement im Montparnasse-Viertel regelmäßig. Am Freitagabend störten zudem drei Dutzend Gegner der Pensionsreform eine von Macron besuchte Vorstellung im Pariser Theater Bouffes du Nord, indem sie reformfeindliche Slogans skandierten. Die Sicherheitskräfte evakuierten das präsidiale Ehepaar. Macron kehrte allerdings später zurück, um das Ende des Stücks La Mouche ("Die Fliege") zu verfolgen.

Kritik an Störung

Die Störung des Theaterbesuchs stieß in Frankreich auf breite Kritik. Auch wenn Macron an Popularität eingebüßt hat, bleibt die symbolische Funktion des Staatschefs in Frankreich sakrosankt. Auch die Rechtspopulistin Marine Le Pen eilte ihrem politischen Gegner zu Hilfe und gab sich staatstragend moderat. Für Macron sind die Bilder von der Störaktion umso verheerender. Sein Versuch, sich aus der medialen Schusslinie zu nehmen, erweist sich als vergeblich.

Die diversen Vorfälle vom Wochenende zeugen von einer Radikalisierung der Protestbewegung. Die Kundgebungen und Streikposten sind zwar seit Jahresbeginn dünner gesät als zuvor, doch dies verleitet die militanteren Gegner offenbar nur zu gewalttätigen Aktionen. Auch Auftritte von Regierungs- und Parteivertretern des Macron-Lagers werden gestört oder verhindert. Die Ministerin für Gleichheit und Frauenrechte, Marlène Schiappa, spricht von einem "beunruhigenden Klima der Gewalt und des Hasses".

Tatsache ist, dass Frankreich seit Beginn der Gelbwestenproteste im Herbst 2018 sozialpolitisch nicht zur Ruhe kommt. Die Proteste bewirken ökonomische Schäden in Milliardenhöhe und geben extremistischen Kräften Auftrieb. Le Pen rechnet bei den Kommunalwahlen im März mit Erfolgen. Die Entschlossenheit der Reformgegner stützt sich auf Umfragen, laut denen 51 Prozent gegen Macrons Vorhaben sind; nur 33 Prozent wollen sich damit abfinden.

Am Samstagnachmittag gaben Musiker und Chormitglieder auf dem Vorplatz der altehrwürdigen Opéra Garnier ein rauschendes Gratiskonzert. Es richtete sich gegen Macrons Absicht, auch ihre Spezialkasse mit berufsspezifischen Vorrechten in ein universelles Pensionssystem zu überführen. Das viel besuchte Konzert mit populären Werken Verdis und Bizets sowie der obligaten Marseillaise zeigte auf jeden Fall auf, dass die Proteste auch friedlich bleiben können. (Stefan Brändle aus Paris, 20.1.2020)