Im Oktober und November 2019 waren es gleich zwei voneinander unabhängige Vorfälle, die die mediale Aufmerksamkeit auf die Fakultät für Physik der Universität Wien lenkten: Ein Student, der mit einer Schusswaffe im Hörsaal saß, betrat Tage später das Fakultätsgebäude erneut mit einem Messer in der Tasche, worauf die Universität Wien schließlich mit einem Hausverbot reagierte. Die Tatsache, dass jener Student bis 2018 auf seinem Twitter-Account rassistische Beiträge veröffentlichte, Posts rechtsextremer Gruppen und Personen retweetete und das antisemitische Attentat in Halle nur ein paar Tage zurücklag, erfuhr in ihren möglichen Zusammenhängen sowohl von Seiten der Universität als auch auf medialer Ebene wenig Beachtung.

Kurze Zeit später war es eine WhatsApp-Gruppe von mindestens 80 Teilnehmenden (allesamt Physik-Studierende), in welcher antisemitische, rassistische und sexistische Inhalte geteilt wurden, die für weiteres Aufsehen sorgte – die ÖH brachte daraufhin eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft ein, das Rektorat erstattete Anzeige. Das erinnert an die Vorfälle 2017 im Rahmen der ÖH-Wahlen rund um die "AG-Leaks", als unter anderem Mitglieder der ÖVP-nahen Studierendenfraktion "Aktionsgemeinschaft" (AG) NS-verherrlichende und antisemitische Inhalte via WhatsApp miteinander teilten, was damals bis auf ein paar Fraktionsausschlüsse weitestgehend folgenlos blieb.

Kampf den Kontinuitäten

Aktuell sieht sich auch der außerordentliche Geschichte-Professor und "Kenner des Dritten Lagers", Lothar Höbelt, mit Protesten gegenüber seiner Position als Lehrender an der Universität Wien konfrontiert. Höbelt ist unter anderem für seine Nähe zur FPÖ, dem BZÖ – trotz harter Kritik an der damaligen Spaltung und dem damit verbundenen Stimmenverlust für die FPÖ – und auch zur ÖVP bekannt. Er bezeichnete 2010 das NS-Verbotsgesetz "in einer Demokratie als systemwidrig", da dies der "Meinungsfreiheit widerspreche", publizierte für die (mittlerweile eingestellte) rechtsextreme Zeitschrift "Die Aula" oder steuerte einen Beitrag für die Festschrift des verurteilten Holocaust-Leugners David Irving bei.

Die Proteste gegen Höbelts Vorlesungen wurden im November vergangenen Jahres wiederbelebt – doch bereits in den 1990ern und Anfang der 2000er-Jahre kam es immer wieder zu Aktionen von Seiten kritischer Studierender und der Hochschülerschaft gegen Höbelts Professur und Lehre. Auslöser für die aktuellen Interventionen war Höbelts Teilnahme an der vom rechtsextremen "Freiheitlichen Akademikerverband Steiermark" (FAV) und dem ebenfalls rechtsextremen "Institut für Staatspolitik" (IfS) organisierten vierten "Herbstakademie". Das IfS wurde unter anderem von Götz Kubitschek gegründet, Ziehvater der "Identitären Bewegung" und zentraler Protagonist der "Neuen Rechten" in Deutschland – jener (gegen-)intellektuellen Strömung, die den Faschismus von Hitler zu befreien und an das 21. Jahrhundert anzupassen versucht.

Hauptgebäude der Universität Wien.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Völkisches Weltbild auf universitärem Boden

In Reaktion auf die Anti-Höbelt-Proteste rief Anfang Dezember der "Identitären"-Sprecher Martin Sellner zur "Verteidigung" von Höbelts Vorlesungen auf, es gelte sie nämlich vor den "bolschewistischen Angriffen" zu schützen. Gegen Sellner und andere wird laufend wegen des Verdachts der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung ermittelt, es gilt die Unschuldsvermutung. Dem Ruf des rechten Influencers folgend finden sich seitdem immer wieder zahlreiche Burschenschafter, "Identitäre" und andere einschlägige, dem rechtsextremen Spektrum zuordenbare Aktivisten unter dem Motto "Linksextreme raus aus der Uni" vor Ort wieder.

Am Dienstag vergangener Woche wurde Höbelts Vorlesung von antifaschistischen Aktivistinnen und Aktivisten – unter anderem von der Jüdischen Hochschülerschaft – und deren Blockaden vor dem Hörsaal verhindert. Exemplarisch für das Publikum von Höbelts Lehrveranstaltungen und deren ideologische Ausrichtung skandierte einer seiner "Verteidiger" schließlich "Juden raus"

Das Problem ist auch hier kein individuelles, sondern ein strukturelles, das zusätzlich in Österreich seine historischen Traditionen hat: die Dominanz deutschnationaler Verbindungen auf Hochschulen und dadurch die Weiterführung völkischen Weltbildes auf universitärem Boden bis in die 1970er-Jahre, oder die diversen Überfälle militanter Neonazis wie der "Aktion Neue Rechte" (ANR) unter anderem mit Gottfried Küssel. Das Umfeld um Küssel war es auch, aus dem letztlich Sellner und die "Identitären" hervorgingen.

Selbstimmunisierung im Elfenbeinturm

In der ganzen Sache zeigt sich nicht nur eine Nähe Höbelts zur Rhetorik und den Inhalten des Rechtsextremismus, Deutschnationalismus und Geschichtsrevisionismus sowie seine Anschlussfähigkeit weit über die Universität hinaus in rechtsextreme Organisationen wie die der "Identitären" – sie veranschaulicht auch einen bestimmten Umgang von Seiten der Universität mit den eigenen historischen Traditionen von Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus.

Die allgemeine Vorstellung, dass die Universität ein Raum frei und unabhängig von jeglichen gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen wäre, hält sich nach wie vor hartnäckig. Implizit wird dabei auch von universitärer Seite das Bild des vermeintlich "Unpolitischen" und "Ideologiefreien" reproduziert und bestärkt. Dass dabei Entscheidungen wie die "Studienplatzfinanzierung", Aufnahmetests beziehungsweise -gespräche oder eine neuerliche Diskussion rund um die Studiengebühren durchaus bereits politische sind, wird nicht thematisiert.

In dieser universitären Logik ist es durchaus konsequent, sich ganz im Sinne des "Hufeisenmodells" als jene "Mitte" zu positionieren, die sich gleichzeitig abseits von jeglichen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen befindet. Das macht dann beispielsweise auch einen Umgang mit Vorfällen wie den oben erwähnten relativ einfach, da man sich im Zweifelsfall davon und von den damit verbundenen Ideologien ja eh öffentlich "distanziert" (wie im Falle der WhatsApp-Gruppe).

Tatsächlich ist es die Logik der Ideologiefreiheit und der "Autonomie", die es in den 1920er-Jahren erlaubte, dass die Hochschulen zu Bollwerken des Nazismus werden konnten. Und nach 1945 bereitete sie den Boden für die Kontinuität von Rechtsextremismus und Antisemitismus – ganz so, als ob diese eine "Freiheit der Wissenschaft" für sich in Anspruch nehmen könnten. Bis heute wird das Problem bewusst auf der individuellen Ebene belassen, um sich dem eigentlichen – und zwar dem strukturellen – nicht widmen zu müssen. Denn das würde auch die ganz grundsätzliche Reflexion des Umganges der Universität mit den eigenen rechtsextremen, antisemitischen und rassistischen Traditionen bedeuten. (Berta Krall, Alexander Winkler, 22.1.2020)

Berta Krall und Alexander Winkler forschen zu Rechtsextremismus.

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