Schweigende Tote, schweigende Kinder. Macht es einen Unterschied, ob man lebt wie ein Scheintoter oder als Toter wiederkehrt?

Foto: Stadtkino

Im Wesentlichen hätte man diesen Film auch während des Winters im Waldviertel drehen können. Wenn der Eiswind bläst und die Fenster der Häuser vernagelt werden, damit der Tod nicht in die Häuser kriecht, sieht man auch dort keine Menschenseele auf der Straße. Vielleicht ab und zu mal einen Pick-up oder einen jugendlichen Raser, der sich in der nächsten Kurve einbaut. Das ist es schon wieder.

Bevor auch auf dem Friedhof der Bagger Einzug hielt, ging der Bestatter durch die Häuser, um sich die chronisch Kranken anzuschauen, ob sie es bis zur Schneeschmelze packen oder nicht. Damit noch entsprechend viele Gräber vor dem Gefrieren des Bodens ausgehoben werden konnten.

KVIFF

Was aber tun, wenn die Toten nicht unter der Erde bleiben wollen? Lassen wir einmal den klassischen Ausgangspunkt des Zombiefilms beiseite: Wenn die Hölle voll ist, kehren die Toten zurück.

Der frankokanadische Regisseur Denis Côté will in seinem Film Ghost Town Anthology (Répertoire des villes disparues) dem Thema anders, also mit verwackelter 16-mm-Kamera, grobkörnigen Bildern, diversen klassischen Motiven des Horrorfilms – aber ohne Blut und Gedärm – beikommen. Zu denen zählen neben dem aufregenden Knarzen eines nächtlichen Holzhauses oder einem verstörenden Tierkadaver im Wald auch lange Einstellungen auf die ereignisarme Schneewüste eines 215-Seelen-Kaffs in den Outskirts der kanadischen Provinz Québec.

Lähmende Sprachlosigkeit

Doch als nach dem klassischen Selbstmord eines jungen Mannes mit seinem Auto neben Schnee, Sturm und Eiseskälte auch noch so richtig schlechtes Wetter aufzieht, bevölkern das Kaff Irénée-les-Neiges neben einer von der Dorfgemeinschaft und vor allem der resoluten Bürgermeisterin abgelehnten muslimischen Trauerhelferin plötzlich auch Menschen die Ansiedlung, die schon längere Zeit tot sind. Zu ihnen gehört auch der 21-jährige Selbstmörder Simon.

Denis Côté stellt sich in diesem langsam und lapidar erzählten Film nicht nur die Frage, wie man mit Trauer umgeht, beziehungsweise der lähmenden Sprachlosigkeit diesbezüglich. Es geht auch um eine sterbende, von Infrastruktur bereinigte Provinz, die sich langsam entvölkert.

Wer nun die Toten und die Lebenden sind, die sich da gegenseitig anstarren, und welche Flucht sinnvoller ist, der Selbstmord, der Weg in die Stadt, das Verrücktwerden oder das Akzeptieren der neugierig glotzenden, neuen alten "Nachbarn", das ist die Frage. Antworten wird man vergeblich suchen. Vielleicht macht es an solchen Unorten letztlich auch keinen Unterschied, ob man lebt oder schon tot ist. (21.1.2020)