Seit zwei Monaten geht es in den Vorlesungen des deutschnationalen Historikers Lothar Höbelt rund. Was mit kurzen Protestaktionen begann, mündete letzte Woche in Raufereien und eine Blockade.

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Der Umgang mit ihrem Historikerbericht hätte nicht vermuten lassen, dass sich die FPÖ besonders um die Geschichtsforschung kümmert. Doch kaum einen Monat nach Publikation des nach Expertenmeinung verkorksten Konvoluts zu den braunen Anteilen der Partei wollen die Freiheitlichen in der Parlamentsdebatte am Mittwoch nun zur Verteidigung eines Historikers ausrücken, der ihnen von jeher am Herzen liegt: Lothar Höbelt.

Dass der 63-Jährige ausgerechnet jetzt zum Politikum wird, ist eher Zufall. Höbelt tut seit Jahrzehnten dasselbe: Er spricht auf rechtsextremen Tagungen, publiziert in revisionistischen Zeitschriften, kennt keine Distanz zu Neonazis, bekennt sich zum Deutschnationalismus und kokettiert mit Verharmlosungen des Faschismus, die irgendwie doch nie so gemeint waren. Auch die Kritik daran ist nicht neu. Linke Geschichtsstudenten mehrerer Generationen versuchten sich an der Sammlung belastenden Materials gegen den FPÖ-Intimus, der bereits beim Aufstieg Jörg Haiders innerhalb der Partei eine wichtige Rolle spielte und in der Burschenschafterszene bestens vernetzt ist.

Kein Problem mit studentischem Ulk

Im November nahmen studentische Aktivisten eine Vortragsankündigung Höbelts – er referierte bei einer Tagung mit Identitären-Connections – zum Anlass, um dagegen während seiner Uni-Vorlesung zum Thema "Zweite Republik" zu demonstrieren. Antifa-Transparente wurden ausgerollt, "Kein Raum für Nazis an der Uni" lautete eine der Parolen. Nach wenigen Minuten war die Aktion vorbei. Höbelt ließ die Aktivisten seelenruhig gewähren und führte kommentarlos seinen Vortrag fort. "Wenn Leute in die Vorlesung kommen und ihr G'satzl aufsagen, ist das für mich kein Problem. Das kann man als studentischen Ulk durchaus hinnehmen und hat an Universitäten Tradition", sagt er rückblickend zum STANDARD.

Als Einziger, der mit den Blauen gut kann, sei er eben die logische Zielscheibe der Studienvertreter. Dass Höbelt seinen "Außenseiterstatus kultiviert", wie seine Kollegen erzählen, hat in der medialen Ökonomie der Aufmerksamkeit einen rationalen Grund – als Repräsentant einer Abweichlerposition bekommt man mehr Gehör als ein durchschnittlicher Vertreter des Mainstreams. Wenn österreichische Medien rechts außen nach Köpfen suchen, fällt die erste Wahl mangels intellektueller Alternativen schnell einmal auf Höbelt.

Holocaustleugner mit falschem Thema

Und der hat ohnehin wenig Berührungsängste – genau genommen gar keine. 1998 verfasste er einen Beitrag in der Festschrift für den britischen Holocaustleugner David Irving, der wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz in Österreich später auch strafrechtlich verurteilt wurde. Für Höbelt ist das auch heute noch alles halb so wild, "der Holocaust war schlicht nicht Irvings Forschungsthema". Der Kollege, den er aber für seine Beiträge zur englischen Militärgeschichte schätze, habe sich auf dem Gebiet des Holocaust zu wenig ausgekannt und sich mit seiner Leugnung der organisierten Judenvernichtung "hineintheatern lassen". Der Fall Irving sei in Österreich "hysterisch aufgeladen", fügt er bedauernd hinzu.

Dass Höbelt immer wieder bei Antisemiten und Neonazis anstreift, begründet er selbst freilich nicht mit inhaltlicher Nähe, sondern mit einer liberalen Grundhaltung. Er rede prinzipiell mit allen, stelle seine eigene Position überall zu Diskussion. Den Vorwurf, dadurch falsche, NS-verharmlosende Geschichtsbilder aufzuwerten, hält er ebenso "für einen Unsinn" wie die Idee einer besonderen moralischen Verantwortung von Historikern für die Erinnerung an die Vergangenheit. Die Erinnerungskultur, mit der die dunkelsten Kapitel der Geschichte als Mahnung im Bewusstsein gehalten werden sollen, sei "pharisäerhaft" und ein Marketinggag, der den Leuten auf die Nerven gehe. Höbelt lässt keinen Zweifel daran, dass er sich selbst zu diesen Leuten zählt.

Frage nach Kriegsschuld "absurd"

Auch die Frage nach der Kriegsschuld am Zweiten Weltkrieg sei "absurd", sagt er in Reaktion auf eine Gesetzesidee der Grünen, wonach die unter Neonazis beliebte Leugnung der deutschen Kriegsschuld in das Verbotsgesetz integriert werden soll. Es sei das "normale Recht jeden Staates, Krieg zu führen", fällt ihm dazu ein. Schuld sei obendrein keine historische Kategorie, Betroffenheitsbekundungen betreffend Schandtaten der nationalen Vergangenheit hält Höbelt für "eine Art gesunkenes Kulturgut der Theologie".

Solidarität der Identitären

Dass die rechtsextremen Identitären bei solchen Auffassungen jubilieren, wundert nicht. Nach den ersten Störaktionen im November rief Identitären-Chef Martin Sellner in sozialen Medien zum Besuch von Höbelts Vorlesungen auf, um weitere Interventionen der Antifa zu verhindern. Von einem "Saalschutz" war da großspurig die Rede. Auch Burschenschafter setzten sich in voller Couleur in die Vorlesung, um "die Linken" durch ihre Präsenz in die Schranken zu weisen. Vergangenen Dienstag misslang dieses Ansinnen: Mehr als 100 teils vermummte Antifa-Aktivisten blockierten die Eingänge des Hörsaals 50 und hinderten Höbelt an der Abhaltung seines Vortrags.

Auf der Stiege kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Gruppierungen, der Sicherheitsdienst rief die Polizei. Laut Universität Wien kam es zu Sachbeschädigungen und mehreren Anzeigen. Höbelt selbst wähnt die Uni mit der Blockade überfordert, sie könne nicht viel tun, "wenn gewaltbereite Störer des schwarzen Blocks von außen kommen". Die ÖH feiert die Blockade hingegen als Teil einer antifaschistischen Kampagne und fordert die Entfernung Höbelts von der Universität.

Recht auf Ausübung der Lehre

Eine Forderung, die allerdings rechtlich nicht gedeckt ist. Nach einem damals heißumkämpften Habilitationsverfahren Anfang der 1990er-Jahre ist Höbelt Inhaber der Lehrbefugnis, seit 2002 besitzt er einen unbefristeten Vertrag. Durch die Lehrbefugnis hat Höbelt das Recht, "die wissenschaftliche Lehre an der Universität Wien mittels der der betreffenden Fakultät zur Verfügung stehenden Einrichtungen frei auszuüben", wie es im Gesetz heißt. Eine Aberkennung der Lehrbefugnis ist nur bei einer strafrechtlichen Verurteilung analog den Bestimmungen des Beamtendienstrechts möglich. Auf Höbelt trifft diese Voraussetzung nicht zu.

Am Institut für Geschichte hat Höbelt keine Sympathisanten. Die Lehrenden sind politisch mehrheitlich links angesiedelt, Höbelts zynisches Spiel mit rechtsextremen Signalen wird abgelehnt. Offiziell allerdings nur schaumgebremst: "Bislang war es die Linie, den Kollegen Höbelt so gut wie möglich zu ignorieren", erzählt ein Institutsmitglied dem STANDARD.

Institut für Geschichte wegen Positionierung gespalten

Im Lehrplan werden Höbelts Veranstaltungen seit Jahren so positioniert, dass kein Geschichtsstudent sie pflichtgemäß besuchen muss. Da er aber ohnehin nicht wegzubekommen sei, habe man stets versucht, öffentliches Trara zu vermeiden. Seit den Protesten wird an dieser Strategie allerdings gerüttelt, von einer Spaltung des Instituts in zwei Lager und heftigen Diskussionen zum Fall Höbelt ist die Rede.

Viele, tendenziell jüngere Historiker wollen seinen ständigen Provokationen nicht länger wortlos zusehen. Sie drängen darauf, sich mit der studentischen Kritik zu solidarisieren und ein offizielles Statement des Instituts zu erwirken, in dem Höbelts Treiben offen ins Visier genommen wird. Individuell ausscheren will allerdings bislang niemand, manche fürchten angesichts prekärer Verträge auch nachteilige Konsequenzen der Universität.

Institute gegen Instrumentalisierung des Hörsaal 50

Andere wollen weitertun wie bisher: ignorieren und warten, bis sich das Problem von selbst erledigt, wenn Höbelt in einem Jahr in Pension geht. Einen Affront gegen Höbelt sehen sie eingedenk der akademischen Freiheit skeptisch. In einer koordinierten Stellungnahme verwiesen am Montag alle historischen Institute auf die Freiheit der Wissenschaft. Studierende hätten im Rahmen der Lernfreiheit aber auch das Recht, "wissenschaftspolitische Positionen wie jene Lothar Höbelts zu kritisieren", heißt es weiter. Die Instrumentalisierung seiner Vorlesung durch "linksradikale und rechtsextreme Gruppen" sei hingegen nicht geeignet, um die inhaltliche Auseinandersetzung mit der schleichenden Normalisierung von Rechtsextremismus zu befördern.

Das sehen naturgemäß nicht alle so. Dennoch verlief Höbelts letzte Vorlesung im zu Ende gehenden Wintersemester am Dienstag im Hörsaal 50 störungsfrei. (Theo Anders, 21.1.2020)