Susanne Wiesinger wurde nach 25 Jahren Lehrtätigkeit in Wien-Favoriten von Bildungsminister Heinz Faßmann im Februar 2019 zur Leiterin der Ombudsstelle für Werte- und Kulturfragen berufen.

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Für die Außenwirkung war das Engagement von Susanne Wiesinger im Bildungsministerium ein türkiser Glücksfall: Da kommt eine vermeintlich rote Lehrerin, die nicht auf den Mund gefallen ist und sich über die schleichende Islamisierung im Schulsystem aufregt – und diese ist sogar bereit, die türkis-blaue Regierung mit ihrer Arbeit zu unterstützen.

Prompt wurde sie mit einer Ombudsstelle "für Wertefragen" bedacht und mit einem Tätigkeitsbericht beauftragt. Den sollte sie offenbar brav im türkisen Sinne abarbeiten, also für Elternsanktionen, Kopftuchverbot und gegen "falsche Toleranz" trommeln. Doch die ÖVP hat sich verspekuliert: Wiesinger schimpft plötzlich nicht mehr nur über den strengen Islam, sondern auch über die "Parteipolitik" im Bildungsministerium. Vor allem das türkise Kabinett ist ihr ein Dorn im Auge.

Dessen Showpolitik hat sich also selbst ein Bein gestellt, die "Unguided Missile" Wiesinger hat wie ein Bumerang gewendet und ist ins Ministerium gekracht. Dort arbeitet man jetzt auf Hochtouren daran, Wiesinger als "Maulwurf" darzustellen, der seine Rolle missbraucht habe.

Komplexe Angelegenheit

Dabei ist die Angelegenheit komplexer. Wiesinger spricht drei Probleme an: Erstens ist es kein Geheimnis, dass vor allem in der Schulpolitik das Parteibuch dominiert – egal, ob es um Postenbesetzungen oder Sachpolitik geht. Die Parteizugehörigkeit gibt nicht nur vor, wer wo Direktor oder Funktionär wird, sondern auch, was dieser zu denken hat. Obwohl die OECD schon seit Jahrzehnten Gesamt- und Ganztagsschulen empfiehlt, streikt vor allem bei Ersterer die ÖVP. Da herrscht vor allem Stillstand, egal ob mit rotem, blauem oder jetzt grünem Partner.

Außerdem werden Lehrer oft alleingelassen, das ist die zweite richtige Botschaft Wiesingers. Da gibt es zu wenige Übersetzer, um mit Eltern in deren Muttersprache zu korrespondieren; da fehlen Pädagogen für Themen abseits des Kernunterrichts, etwa für den Kampf gegen Mobbing.

Und drittens gibt es natürlich auch Probleme mit Kindern, die aus einem streng islamischen Elternhaus stammen – oder die sich aus Protest gegen ihre "angepassten" Eltern radikalisieren. Aber das ist nur ein Teil der sehr breiten Palette an Schwierigkeiten, mit denen Lehrer zu kämpfen haben.

Alarmismus statt Fakten

Wiesinger bläht das in ihrem Buch hingegen zum alles beherrschenden Thema auf, spricht sogar von einer "Unterwerfung" der Lehrer in Bezug auf die Islamisierung. Das garniert sie mit seltsamen Anekdoten, die nicht belegt werden. Vieles davon klingt nach Hörensagen und stark übertrieben, etwa dass nichtmuslimische Lehrerinnen ihre Schüler fragen, ob sie eh für den Ramadan fasten; oder dass Musliminnen nicht Ski fahren wollen, weil sie befürchten, ihr Jungfernhäutchen zu beschädigen. Professionell ist Wiesingers Stil nicht, statt mit Zahlenmaterial zu arbeiten betreibt sie Alarmismus.

Viele Experten, die sich seriös mit den Themen Bildung und Integration beschäftigen, dürften sich angesichts des Streits zwischen Bildungsministerium und Wiesinger vor Schadenfreude die Hände reiben. Zu hoffen ist, dass die Politik daraus ihre Lehren zieht und auf Experten statt auf Wut-Omas, Wut-Wirte oder Wut-Lehrerinnen setzt. Die Auseinandersetzung mit unaufgeregten Wissenschaftern bringt vielleicht keine schnellen Schlagzeilen, man läuft aber keine Gefahr, dann selbst Opfer ihrer Wut zu werden. (Fabian Schmid, 20.1.2020)