Die GIS abschaffen will auch die neue Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter. Aber im Gegensatz zum recht radikalen Ansatz ihres Vorvorgängers Niko Alm setzt sie in Zeiten von Fake-News, gezielter Desinformation und Manipulation sehr stark auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Eine Abgabe für alle soll den ORF künftig finanzieren, sozial gestaffelt, sagt Brandstötter. Und mit zehnmal mehr Presseförderung und entsprechend weniger öffentlichen Inseraten will sie auch journalistische Medien stärken.

STANDARD: Wie würde denn die Medienpolitik einer Medienministerin oder einer Medienbeauftragten Henrike Brandstötter aussehen?

Brandstötter: Als Medienbeauftragte im Bundeskanzleramt wäre ich vor allem nicht zugleich für die Kommunikation der Regierung zuständig. Mein Selbstverständnis wäre nicht, in den Redaktionsstuben anzurufen, Journalisten lautstark unter Druck zu setzen.

STANDARD: Gerhard Fleischmann, der neue Medienbeauftragte von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), sagt, er ist schon seit 2017 nicht mehr Pressesprecher von Kurz und er ruft auch nicht mehr in der Eigenschaft in Redaktionen an – außer wenn es um medienpolitische Anfragen geht.

Brandstötter: Das ist Augenauswischerei! Fleischmann wurde zum Kommunikationschef befördert, was nachweislich seiner regen Telefontätigkeit keinen Abbruch getan hat. Gerade den eigenen langjährigen PR-Mann und Message-Controller zum Kanzlerbeauftragten für Medienpolitik zu machen zeigt das Selbstverständnis von Sebastian Kurz: Medienpolitik als verlängerte Werkbank für Medien, die über ihn zu berichten haben.

STANDARD: Aber ist es nicht so, dass mit dieser Besetzung nur offen gezeigt wird, was auch die Medienpolitik vieler Regierungen davor geprägt hat – nämlich Medienstrategie und PR?

Brandstötter: Das macht es nicht besser und nicht entschuldbar. Man kann nicht Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung und medienpolitische Agenden vermischen. Das ist Orbánisierung. Und ich kann als Abgeordnete an Fleischmann als Vizekabinettschef und Medienbeauftragten keine parlamentarischen Anfragen richten, zum Beispiel wie oft er bei Journalisten anruft und warum. Ein Medienbeauftragter sollte vielmehr dafür sorgen, dass Medien möglichst gut, unabhängig und unbeeinflusst arbeiten können.

Henrike Brandstötter: "Bevor man über eine Haushaltsabgabe redet, muss man erst einmal die Strukturen des ORF und seiner Gremien reformieren."
Foto: STANDARD, Regine Hendrich

STANDARD: Jetzt haben wir geklärt, was eine Medienbeauftragte Brandstötter nicht täte. Wie würde ihre Medienpolitik aussehen? Zum Beispiel zum ORF und seinen Gebühren. Ihr Vorvorgänger als Neos-Mediensprecher, Niko Alm, wollte die GIS in bisheriger Form abschaffen und den ORF zur Produktionsfirma ohne eigene Sender machen. Gilt das noch?

Brandstötter: Das Konzept hat eine ungemein wichtige Debatte angestoßen: Was soll öffentlich-rechtlicher Rundfunk sein, wie kann er finanziert werden?

STANDARD: Und beinahe hätten FPÖ und ÖVP in der Regierung einen wesentlichen Teil davon umgesetzt und die GIS abgeschafft – aber dann den ORF aus dem Staatsbudget finanziert.

Brandstötter: Mittlerweile hat sich die Welt weitergedreht. Die Facebook-Manipulation mit Cambridge Analytica, Trollfabriken, die türkis-blaue Regierung – all das zeigt sehr deutlich: Wir brauchen einen möglichst unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und müssen ihn vor äußeren wie inneren Feinden schützen ...

STANDARD: ... finanziert mit GIS-Gebühren?

Brandstötter: Wir wollen die GIS abschaffen und stattdessen den ORF mit einer sozial gestaffelten Haushaltsabgabe finanzieren. Aber ohne Abgaben der Bundesländer wie derzeit bei der GIS, denn: Warum soll die GIS weiter Inkassobüro spielen, etwa für Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner oder Herrmann Schützenhöfer in der Steiermark?

STANDARD: Eine solche Haushaltsabgabe soll allein den ORF finanzieren oder auch Förderungen für Privatsender?

Brandstötter: Das kann man durchaus durchdenken. Aber im ersten Schritt gilt sie dem ORF. Und bevor man über eine Haushaltsabgabe redet, muss man erst einmal die Strukturen des ORF und seiner Gremien reformieren. Und definieren, welchen Public Value man eigentlich dafür will.

STANDARD: Gerade unter den Wählerinnen und Wählern der Neos dürften recht viele fragen: Warum soll ich Gebühren für den ORF zahlen, ich habe Netflix und Amazon Prime und Spotify und will mir gefälligst aussuchen dürfen, wofür ich zahle.

Brandstötter: Netflix und Amazon Prime sind wunderbare Angebote. Aber es geht um unabhängige Nachrichten und um viele andere Public-Value-Inhalte, die mir diese Streamingplattformen nicht bieten. Dass es einen österreichweiten ORF gibt, der gleichsam allen Österreicherinnen und Österreichern gehört, halte ich für wesentlich. Gerade in Zeiten von Fake-News und Trollfabriken braucht es eine Konstante, die mir die Welt erklärt.

STANDARD: Aber das tun doch auch private Medien. Einige Privatsender verweisen sehr nachdrücklich darauf, welchen Public Value sie liefern.

Brandstötter: Und das stimmt auch, es gibt viele gute Angebote bei den Privaten, und dennoch ist ein durch eine Haushaltsabgabe finanzierter, unabhängiger ORF in der Lage, Sendungen und Formate zu schaffen, die für eine Gesellschaft wichtig sind und für einen Privaten vielleicht nicht immer Sinn machen würden. Es soll eben beide geben, mit klaren Regeln dafür, was der ORF leisten muss.

"Der Eindruck eines Selbstbedienungsladens der Politik weckt natürlich Grant, auch bei engagierten ORF-Mitarbeitern."
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STANDARD: Was ist denn Public Value?

Brandstötter: Das sollten wir mit den Österreicherinnen und Österreichern diskutieren – was ist für sie Public Value? Ist das Sepp Forcher, ist das die Wiener Electronic-Music-Szene? Das Bild des ORF ist belastet von der Beobachtung, dass die Politik hier ihre Pöstchen besetzt. Der Eindruck eines Selbstbedienungsladens weckt natürlich Grant, auch bei engagierten ORF-Mitarbeitern.

STANDARD: Was könnte man dagegen tun?

Brandstötter: Es braucht eine Reform der ORF-Gremien. Jede Partei soll nur eine Person entsenden. Dazu Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft. Und ein Teil dieser Aufsichtsmandate soll per Los bestimmt werden. Dieses Gremium soll dann, nach Hearings, festlegen, wer in einem Präsidium des ORF sitzt, das den ORF leitet. Eine Generaldirektorin oder einen Generaldirektor aus dem Ausland, finanziell und politisch unabhängig, aber mit einer Vision für den ORF, fände ich eine reizvolle Idee.

STANDARD: Gibt es die? Und wer wäre das?

Brandstötter: Ich bin sicher, habe aber noch keine Namen.

STANDARD: Will Hans Peter Haselsteiner eigentlich weiterhin für die Neos im ORF-Stiftungsrat sitzen? Nach der Nationalratswahl und der Regierungsbildung können Parteien ihre insgesamt sechs und die Regierung ihre insgesamt neun Stiftungsräte neu bestimmen.

Brandstötter: Das haben wir noch nicht besprochen. Bis zur nächsten Sitzung des Stiftungsrats im März ist noch Zeit.

STANDARD: Der ORF plant eine große Streamingplattform mit Social-Media-Funktionen. Im Regierungsprogramm steht nun ein ORF-Player zwischen ORF und privaten Medien. Was halten Sie davon?

Brandstötter: Die Idee einer gemeinsamen Streamingplattform klingt erst einmal attraktiv. Aber da sind noch unzählige Fragen offen – wer sind die Träger, wie wird die Plattform finanziert, wie werden Werbeeinnahmen aufgeteilt? Und eigentlich entspringt das ganze Projekt einem rückwärtsgewandten Denken: Wenn junge Menschen streamen statt fernzusehen, dann machen wir "Ö-Tube" oder einen "Austria Player".

STANDARD: Und wie sollte man darauf reagieren?

Brandstötter: Mit einem europaweiten gemeinsamen Player der öffentlich-rechtlichen Sender. Allein für Österreich wird das eine Totgeburt. Wir sind in Europa, wir sind mobil. Ich will von überall in Europa Zugang zum Beispiel zur "ZiB".

STANDARD: Europaweiter Zugang ist auch eine Frage der Rechte und ihrer Kosten.

Brandstötter: Dann muss man das Thema Rechte angehen.

STANDARD: Das Regierungsprogramm verspricht recht allgemein, Medienförderungen und öffentliche Inserate zu evaluieren, zu überprüfen und womöglich anzugleichen. Wie würde eine Medienförderung in Pink aussehen?

Brandstötter: Die bisherige Presseförderung muss verzehnfacht werden, von zehn auf 100 Millionen Euro.

STANDARD: Woher kommt das Geld?

Brandstötter: Indem das Inseratenvolumen der öffentlichen Hand massiv reduziert wird. Ministerinnen, Minister, Landeshauptleute verwenden Inserate als eine Art Medienförderung – aber das ist nicht ihr Sinn. Informationen öffentlicher Stellen sind das eine, eine Medienförderung mit klaren Kriterien und definierten Zielen das andere. Inserate der Regierung sollten – transparent und öffentlich nachvollziehbar und mit einer besonderen Beschränkung in Wahljahren – von einer zentralen Stelle koordiniert und gebucht werden.

STANDARD: Vom Medienbeauftragten vielleicht?

Brandstötter: Da sollte sich eine andere Stelle finden, die nicht zugleich Regierungs-PR und Medienpolitik macht. Vorbild kann hier die deutsche Bundespresseagentur sein.

STANDARD: Was fördert diese Medienförderung? Wohl auch digitale Medien und nicht weiterhin nur gedruckte Tages- und Wochenzeitungen?

Brandstötter: Man sollte nicht Infrastruktur fördern, sondern öffentlich-rechtlichen Mehrwert, Public Value. Diesen müssen wir zuerst definieren, dann legt man nachvollziehbare und messbare Kriterien fest, und anschließend fördert man erst. So können auch Investigativplattformen, Nachrichtenblogs oder Podcasts Förderungen erhalten, die nicht allein auf Reichweite abzielen, sondern mit ihren vertiefenden Recherchen einen wichtigen Beitrag zur Demokratie leisten.

"Man weiß, dass Klarnamenpflicht noch nicht dazu führt, dass Leute weniger grauslich posten."
Foto: STANDARD, Regine Hendrich

STANDARD: Das Regierungsprogramm nimmt sich neuerlich vor, die Pflichtinserate in der "Wiener Zeitung" zu streichen, die einen Großteil von deren Einnahmen ausmachen.

Brandstötter: Mein Eindruck ist: Die Regierung will die "Wiener Zeitung" eigentlich abdrehen, traut sich aber nicht, das zu sagen. Ich finde gut, dass die kostenpflichtigen Veröffentlichungen fallen sollen, das spart Unternehmen Geld.

STANDARD: Frage an die Neos-Mediensprecherin: Braucht es überhaupt eine Tageszeitung im Besitz der Republik?

Brandstötter: Die "Wiener Zeitung" macht einen ausgezeichneten Job, das ist eine gute Zeitung. Es würde mich freuen, wenn sie mehr Verbreitung hätte.

STANDARD: Es wäre schon schön, wenn die "Wiener Zeitung" an der Media-Analyse und der Auflagenkontrolle teilnimmt und so ihre Daten transparent macht.

Brandstötter: Absolut, da sollten sie in der Moderne ankommen und transparenter werden.

STANDARD: Also: Was tun mit der "Wiener Zeitung", der bald ihre bisher wichtigste Einnahmequelle abhandenkommen soll?

Brandstötter: Die Regierung will laut Programm die Journalistenausbildung "stärken". Ein Kompetenzzentrum um die "Wiener Zeitung" und den ORF wäre doch eine vernünftige Sache.

STANDARD: Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble hat gerade wieder Klarnamenpflicht im Internet gefordert, die ÖVP drängte in der Koalition mit der FPÖ auf eine Identifizierungspflicht. Was hält die Mediensprecherin der Neos davon?

Brandstötter: Gegenüber den Onlinekonzernen muss vor allem einmal geltendes Recht durchgesetzt werden. Wir wollen zusätzlich verbale Gewalt und sexuelle Belästigung als Straftatbestand. Die Justiz muss zur Verfolgung mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden. Ich halte nichts von Klarnamenpflicht. Ich habe viele Freunde, die in China leben. Ich bekomme da sehr genau mit, was es bedeutet, in einem Überwachungsstaat zu leben. Das ist nicht das Europa, in dem ich leben möchte. Und man weiß, dass Klarnamenpflicht noch nicht dazu führt, dass Leute weniger grauslich posten.

STANDARD: Was kann und soll man tun gegen gezielte Desinformation im Netz?

Brandstötter: Dafür braucht es einerseits gut ausgestattete Medien. Und andererseits Medienkompetenz-Unterricht in den Schulen. Viele Menschen erreicht man ja kaum mehr mit klassischen Medien.

STANDARD: Soll es ein Pflichtfach Medien- und digitale Kompetenz geben?

Brandstötter: Warum nicht? Vielleicht ein Pflichtfach kritisches Denken, das jungen Menschen vermittelt, dass sie jede Quelle, jede Information kritisch hinterfragen sollten. Wie sie Fake-News erkennen können. Welche Macht sie haben, Inhalte zu teilen. (Harald Fidler, 22.1.2020)