Kitzbühel – Michael Walchhofer konnte sich den Blick auf die Anzeigetafel sparen. Stattdessen gleich abschnallen, niederknien, Skier in die Höhe reißen, eine Rennlatte küssen und das Bad in der tobenden Menge genießen. Der damals 30-jährige Salzburger hatte am 26. Jänner 2006 mit Startnummer 30 die Streif mit einem wilden, aber längst nicht fehlerfreien Ritt bezwungen, den Liechtensteiner Marco Büchel um fünf Hundertstel abgefangen, einen Tag nach Hermann Maiers Sieg im Super-G als letztes Ass gestochen und die Abfahrt in Kitzbühel gewonnen. "Dieser Sieg hier ist fast noch schöner als mein WM-Titel", sagte der Abfahrtsweltmeister von St. Moritz 2003 einst.

Michael Walchhofers Fahrt zum Sieg in Kitzbühel 2006.
Marc Eder

Den Triumph auf der Streif bezeichnete er später lediglich als Gesellenstück, das Abfahrtsdouble in Garmisch 2005 und den WM-Sieg als Meisterstücke. "Einmal musst du Kitzbühel gewinnen. Es ist die perfekte Sportbühne für einen Abfahrer", sagt der 44-Jährige nun. Es sei ein "spezieller, emotional sicher der Moment" gewesen. Mit Erreichen des Traums stellte sich beim damals schon dreifachen Familienvater eine gewisse Zufriedenheit ein. "Ich habe versucht, noch einmal zu gewinnen, aber sicher nicht mehr mit dieser Konsequenz, nicht mehr mit aller Gewalt."

Gesunder Sport

Walchhofer sieht sich als gutes Beispiel, dass man Skisport als gesunden Sport betreiben kann. "Ich bin nach wie vor topfit", sagt er. Stürze 2010 und 2011 in Kitzbühel überstand er ohne schwere Verletzungen. "Natürlich musst du als Sportler immer wieder aufstehen." Er habe schon als Kind gelernt zu stürzen und habe sicherlich auch Glück gehabt.

Walchhofers Sturz auf der Streif 2010.
Walker0811

Seit dieser Saison ist der Hotelier, der seit 2013 Vizepräsident des Österreichischen Skiverbands ist und als Aufsichtsrat der KMU-Akademie für Erwachsenenbildung in Linz fungiert, auch OK-Chef der Damen-Weltcuprennen in Zauchensee. Die Rennen seien "ein wahnsinniger Aufwand, die Aufgabe irrsinnig spannend".

Umbruch im Verband

Dass der Silbermedaillengewinner bei der Olympiaabfahrt in Turin 2006 Ambitionen habe, Nachfolger von Peter Schröcksnadel als ÖSV-Präsident zu werden, könne er nicht bestätigen. "Wenn es so weit ist, kann man sich Gedanken machen. Aktuell ist das nicht Thema." Zwangsläufig werde aber irgendwann in nächster Zeit ein Umbruch kommen. "Wie schnell das von statten geht, das weiß ich nicht." Es sei aber für die gesamte Skifamilie spannend, wie es im Verband weitergehen wird.

Michael Walchhofer beschäftigt sich offiziell aktuell nicht damit, ob er Nachfolger von ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel werden will. Er werde sich Gedanken machen, wenn es dann so weit sei.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Für Kombination und Materialentschärfung

Walchhofer zeigt sich erfreut, dass das Interesse am Rennsport bei den Jugendlichen ungebrochen hoch ist. Mit Sorge sieht er aber, dass viele Eltern ihren Kindern, "die prinzipiell eine volle Gaude beim Skifahren haben", das Rennfahren verbieten, wenn sie sich einmal verletzt haben. Das sei auch dem aggressiver gewordenen Material geschuldet. "Wir haben uns früher auch Knochen gebrochen, aber in die Richtung darf man sich auf jeden Fall Gedanken machen", sagt Walchhofer, der sich sehr dafür eingesetzt hat, dass es die Kombination weiterhin gibt. "Ich finde sie ganz wichtig für die Zukunft des Skisports, weil sie Speedfahrern und Technikern die Möglichkeit bietet, sich in einem Bewerb messen zu können." Der Salzburger möchte diesen umstrittenen, von mäßigem Faninteresse gezeichneten Bewerb aufwerten. Er selbst hat 2003 bei der Kombination in Kitzbühel seinen ersten von 19 Weltcupsiegen gefeiert. Parallel-Events seien eine gute Geschichte, müsse man aber seiner Ansicht nach nicht pushen.

Benachteiligter Nachwuchs

Mit Sorge betrachtet Walchhofer auch die Folgen der wärmer werdenden Sommer, die den Gletschern zusetzen. Das bereite weniger den Veranstaltern von Rennen oder den Weltcupmannschaften in der Vorbereitung Probleme, sondern in erster Linie dem Nachwuchs, der im Spätsommer und Herbst nicht mehr so leicht geeignete Trainingsmöglichkeiten vorfinde.

Leistbares Vergnügen

Der für viele immer schwerer finanzierbare Skiurlaub ist für Walchhofer eine Frage der Wertigkeit. Um den Winterurlaub direkt im Skigebiet leichter leistbar zu machen, hat er mit seinem Bruder in einem ihrer drei gemeinsam geführten Hotels in Zauchensee ein vergleichsweise günstiges Unterkunftsangebot geschaffen. "Es kostet definitiv etwas, aber Familien haben nach wie vor ein Budget. Nur das Angebot, das du konsumieren kannst und sollst, ist viel größer geworden. Die Frage ist: Gehört da das Skifahren dazu, oder investiere ich noch ein bisserl mehr in plakativ davorstehende elektronische Unterhaltung?" (Thomas Hirner, 21.1.2020)