An den Wänden kleben unzählige Zettel, bedruckt mit der Schweinetasche von Carol Christian Poell, den waghalsigen Schuhobjekten von Carolin Holzhuber, den gemusterten Kleidern von Rudi Gernreich. Im Nebenraum des Büros an der Wiener Gumpendorfer Straße thront ein Modell der verschachtelten Ausstellungsarchitektur, entworfen wurde sie von dem Wiener Architekten Gregor Eichinger.

Thomas Albdorf fotografierte ein Kleid von Andreas Kronthaler für Vivienne Westwood, FW 2017/18. Das Stück ist Bestandteil der Ausstellung "Show Off. Austrian Fashion Design", die ab 14.2. im Museum für angewandte Kunst zu sehen ist.
Foto: Thomas Albdorf

Bis zur Eröffnung ihrer Ausstellung Show Off. Austrian Fashion Design im Museum für angewandte Kunst (Mak) haben die Kuratoren Ulrike Tschabitzer-Handler und Andreas Bergbaur nur noch wenige Wochen Zeit. Sie sitzen an diesem Jännertag recht gelassen inmitten ihrer Zettelwirtschaft. Warum ausgerechnet jetzt eine Überblicksschau zu vier Jahrzehnten zeitgenössischer österreichischer Mode? Ganz einfach, meint Tschabitzer-Handler, "weil es vier Jahrzehnte lang keine solche Ausstellung gegeben hat".

Die beiden Kuratoren, als Gründungsmitglieder der Modeplattform Unit F zeitweise für die Förderung der heimischen Szene verantwortlich, lassen die Zeitrechnung der Ausstellung in den 1980er-Jahren beginnen. "Damals war in Wien ein Aufbruch zu spüren", erklärt Tschabitzer. Oswald Oberhuber habe die Gastprofessur an der Angewandten eingeführt und Karl Lagerfeld engagiert, Ossi Schellmann nach dem Vorbild der Designer-Markets in London im Club U4 mit der Präsentation der sogenannten U-Mode begonnen. "In der Jury kam mit Fred Adlmüller, Helmut Lang, dem Modesekretariat und Brigitte Winkler das alte und das neue Modeleben der Stadt zusammen", meint Andreas Bergbaur, der in den vergangenen Jahren in Mailand für die italienische Modeindustrie gearbeitet hat. Damals war er in Wien mittendrin: "Man muss sich in Erinnerung rufen, dass Wien ein grauer, kleinbürgerlicher Albtraum von einer Stadt war. Die U-Mode ist da wie eine Bombe reingeplatzt."

Sternstunden der Achtziger

Und heute? Die schrägen Sternstunden der 1980er-Jahre, die Auftritte von Leigh Bowery und Katharine Hamnett im Wiener U4, das Zeitgeistmagazin Wiener, Modelabels wie Sissy Pink, Ledea Muard, Semi Dei – alles Geschichte. Nur in der Wiener Spiegelgasse behauptet sich das Label Schella Kann, 1984 zu U4-Zeiten gegründet, als einer der wenigen Protagonisten von damals: Die geradlinige Mode von Anita Aigner und Gudrun Windischbauer misst sich heute zwischen Graben und Kärntner Straße weniger mit heimischen Labels als mit den Flagship-Stores von Gucci, Fendi, Louis Vuitton.

Die Bedingungen für unabhängige Modemacher haben sich verschärft, sie stehen im Wettbewerb mit dem gnadenlosen Tempo der Retailer und der Luxuskonzerne.

Ausgewählte Stücke der Ausstellung "Show Off. Austrian Fashion Design", von links: gefälteltes Kleid von Hartmann Nordenholz, 2007; besticktes Kleid von Peter Pilotto, 2016; gestrickter Hut von Ledea Muard, 1980er-Jahre; Beuteltasche von Sagan Vienna, 2012; gemustertes Kleid von Odeeh, 2011; schwarzes Kleid von Michel Mayer, 2018; gemustertes Kleid von Gon, 2019; Schal von Arthur Arbesser, 2019; Oberteil-Rock-Kombination von Sissy Pink, 1985; Schlapfen von Ledea Muard, 1980er-Jahre.
Foto: Thomas Albdorf

Dem Überangebot an Mode hat so manches ambitionierte heimische Modelabel nicht standhalten können. In den vergangenen Jahren sind viele Designernamen aufgepoppt und wieder verschwunden, nicht jeder Modedesigner ist auch Unternehmer, nicht jedes Label findet in Österreich sein Publikum, die Offenheit der Modekonsumenten für Experimente hält sich in Grenzen.

Der Enthusiasmus des Modenachwuchses der Nullerjahre, sich nach dem Studium mit einem eigenen Label im Ausland zu präsentieren, ist einem gewissen Pragmatismus gewichen: Viele sammeln lieber (erst einmal) Erfahrungen in den großen Modehäusern. Die derzeitigen Modeprofessoren an der Modeklasse der Wiener Angewandten, die Jil-Sander-Designer Lucie und Luke Meier, mit allen Wassern der Industrie gewaschen, werden ihren Studenten möglicherweise auch dazu raten.

Stilistische Erzählstränge

Es verwundert wenig, dass die österreichische Modelandkarte bis heute einem Fleckerlteppich gleichkommt. Ihre sichtbarsten Akteure kommen einander kaum in die Quere: Da gibt es die Individualistin Susanne Bisovsky, die unter Helmut Lang ihr Handwerk gelernt hat, gewiefte Geschäftsfrauen wie Lena Hoschek oder Marina Hoermanseder, Vertreter einer zurückhaltenden Eleganz wie Femme Maison, Wendy & Jim, die österreichische Coolness in Cowboystiefeln, oder trendsichere Routiniers wie Petar Petrov, der Stars wie Emilia Clarke in Hosenanzüge packt.

Und dann natürlich die österreichischen Modebotschafter im Ausland, Arthur Arbesser in Mailand oder in London Andreas Kronthaler und den Tiroler Peter Pilotto. Letzterer kleidete nicht nur Beyoncé ein, 2018 entwarf er auch das Hochzeitskleid der britischen Prinzessin Eugenie.

"Wir können nicht behaupten, dass wir herausgefunden haben, was ‚die österreichische Mode‘ ausmacht", sagt Bergbaur. "Vielleicht ist die Mode hier freier, weil sie so weit weg ist vom Kommerz. Ich finde es aber auch schwierig, den Erfolg von Modedesignern rein über die Verkaufszahlen zu definieren." Stilistische Erzählstränge, die seit den 1980er-Jahren immer wiederkehren, beobachten die beiden Kuratoren sehr wohl. "Die Muster der Wiener Werkstätte tauchen bei Rudi Gernreich, Flora Miranda, Arthur Arbesser oder Odeeh auf, den Einfluss von Helmut Lang während seiner Professur an der Angewandten beobachtet man bei Wendy & Jim oder Gregor Pirouzi, dann gibt’s natürlich das Thema Tracht."

Modisches Österreich gestern und heute, von links: Bluse von Kenneth Ize, 2019; Fake-Jeansjacke von Wendy & Jim, H/W 2004; Oversize-Mantel von Petar Petrov, 2019; T-Shirt von Assasyn, späte 1980er-, frühe 1990er-Jahre; Sneaker von Helmut Lang, F/S 2000; orangefarbene Kombination aus ärmellosem Oberteil und Minirock von Rudi Gernreich, 1968.
Foto: Thomas Albdorf

Nicht zu vergessen: die Wiener Ballkultur. Jahr für Jahr drehen sich auf dem Opernball die Kleider von Juergen Christian Hoerl, Eva Poleschinski, Lena Hoschek oder Michel Mayer über das Parkett und die Fernsehbildschirme von ORF und ARD. Sie mögen den Blick auf unkonventionelle Mode aus Österreich verstellen, auf die farbenfrohen Entwürfe des Modeklasseabgängers und LVMH-Preis-Finalisten Kenneth Ize, auf die unangestrengte Streetwear von Meshit, die Oversize-Mode von Jana Wieland und House of the Very Islands oder die gemusterten Seidenkleider von Christina Steiners Label Gon.

Wien tickt anders

Immerhin lassen sich deren Entwürfe an Popstars wie Bilderbuch, Yung Hurn, Soap & Skin, Keke oder Mavie Phoenix entdecken. Sie führen vor, dass Mode-Österreich mehr bereithält als Silvia Schneider in Dirndl und Schluppenbluse. Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst trägt seit einigen Jahren mit einer solchen Selbstverständlichkeit Mode von Hvala Ilija oder Neubau Eyewear, dass er 2015 vom Männermagazin GQ zum "bestangezogenen Österreicher" gewählt wurde – vor David Alaba.

Eine Frage, die in diesen Zusammenhängen immer wieder gestellt wurde: Ist Wien denn nun Modestadt oder nicht? Der ewige Vergleich mit klassischen Modestädten wie Paris oder Mailand geht nach hinten los. Die österreichische Bundeshauptstadt tickt anders, es mangelt an großen Modeunternehmen, an Arbeitsplätzen für Designer. Ja, Wien hat zwar mit der Austrian Fashion Association (AFA) eine Plattform, die aufstrebende Designer fördert und ein Modefestival organisiert, und seit zehn Jahren mit der MQ Vienna Fashion Week auch eine Modewoche. Doch jene Veranstaltung, die einmal im Jahr einen Laufsteg aufbaut und im vergangenen Jahr von der damaligen Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein eröffnet wurde, ist eine "Wiener G’schicht": Sie richtet sich an Endverbraucher und wird über die Landesgrenzen hinaus kaum wahrgenommen.

Schade nur, dass vielen Konsumenten so manche richtungsweisende Aktivität vor Ort entgeht: die Experimente des Studiengangs Fashion & Technology an der Linzer Kunstuniversität. Oder das nachhaltige Engagement von Labels wie Rudolf, Glein, Klara Neuber. Manchmal braucht’s dazu nicht mehr, als die großen Einkaufsstraßen zu verlassen. (Anne Feldkamp, RONDO, 24.1.2020)