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Der beste Freund trägt Uniform und redet sich gerne in Rage: Ein zehnjähriger Bub (Roman Griffin Davis) verfällt in "Jojo Rabbit" der Illusion, in Hitler seinen Freund und Helfer gefunden zu haben.

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Der Hase ist stark, ganz bestimmt kein Feigling! Er beschützt seine Brut und trägt damit tapfer das Seine im Kampf um das Vaterland bei!

Niemand anderer als Adolf Hitler ist es, der mit diesen Worten einem Buben Trost spenden will. Der zehnjährige Jojo Betzler (Roman Griffin Davis) wurde beim Ausflug mit der Hitlerjugend von den Älteren auf die Probe gestellt und brachte es nicht übers Herz, einem Hasen den Hals umzudrehen. Eine Blamage und Demütigung, die ihm den hämischen Spitznamen "Jojo Rabbit" einbringt. Der Führer weiß es freilich besser. Er ist Jojos engster Freund, steht Gewehr bei Fuß, um dem "besten und loyalsten kleinen Nazi" aus der Patsche zu helfen.

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Hitler, ein Freund? Jojo Rabbit bremst in der Tat keine übertriebene Ehrfurcht, und das ist gut. Über Nazideutschland wurden bereits einige formidable Satiren gedreht, von Ernst Lubitschs Sein oder Nichtsein bis zu Quentin Tarantinos Inglourious Basterds –und nicht zu vergessen, Mel Brooks’ Episode Springtime For Hitler. Der Neuseeländer Taika Waititi genießt seit seiner Vampirkomödie What We Do in the Shadows und Thor: Tag der Entscheidung den Ruf, ein großes Talent des Erzählkinos zu sein. Mit einem Pop-durchtränkten Blick auf die Nazi-Ära wird er dem durchaus gerecht. Komm, gib mir deine Hand von den Fab Four, dazu ein Volk, das den Arm hochreckt – das ist, auf eine Szene verkürzt, die Idee.

Humorvoll und selektiv hat sich Waititi Christine Leunens Roman Caging Skies angeeignet, der eigentlich 1940 in Wien-Ottakring spielt. Den Part des imaginären Gröfaz schrieb sich der Regisseur, der sich als "polynesischer Jude" bezeichnet, gleich selbst auf den Leib. Als zackiger, slapstickhafter Hitler, der sich in seinen Ansprachen mit herrlichem Schwachsinn in Rage versetzen kann ("Heil me, man!"), ist er das grellste Element seiner "Anti-Hass-Satire" – so die offizielle Tagline des Films. Gleich danach rangiert Sam Rockwell als kriegsversehrter Hauptmann Klenzendor, der notorisch am Flachmann hängt, und Rebel Wilson als Fräulein Rahm, in der alle Verschwörungstheorien des Dritten Reichs glücklich zusammenfließen – "Let’s go burn some books today!"

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Sam Rockwell und Scarlett Johansson in "Jojo Rabbit".
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Doch Jojo Rabbit, der auch zu den aussichtsreichen Oscar-Anwärtern gehört, beschränkt sich nicht darauf, so etwas wie die "Gross-out-Comedy" der NS-Satiren zu sein. Die derben Gags, die zumeist auf das Personal eines ideologisch verirrten Unrechtsstaats abzielen und dabei vor purer Lust an der Clownerie auch ein wenig danebenhauen, bilden im Grunde nur die Folie für eine Überlebensgeschichte, die sich ihren eigenen Reim auf die Verblendungen macht, denen Menschen anheimfallen.

Es ist die Komödie eines Buben, der seiner eigenen Überzeugung (und damit auch seinem besten Freund) zu misstrauen lernt. Eine Coming-of-Age-Geschichte der moralischen Reifung auf schmalem Grat, den Waititi mit Nonchalance und einer kleinen Prise Pathos durchaus schwindelfrei zu bewältigen versteht.

Wie in einem Spukhaus-Film ist schon jener erste Moment inszeniert, indem Jojo hinter der Wand seines Zuhauses ein Mädchen entdeckt, das sich zwar als kein Geist, in Elsas (Thomasin McKenzie) eigenen Worten aber als etwas noch Schlimmeres, nämlich als Jüdin entpuppt. Die beiden schließen einen Pakt, der die wechselseitigen "Feindbilder" intakt lässt, aber im Geheimen bleibt.

Spiel mit Ressentiments

Das gibt wiederum Waititi die Möglichkeit, Ressentiments nach Lust und Laune zu zerschlagen. Vor allem in den doppelbödigen Dialogen gelingt es pointiert – zum Beispiel, wenn Jojo davon spricht, dass Juden die Enden von Penissen stehlen, und Elsa seine Fantastereien noch um ein Stück zu übertreffen versucht. Äußerst gewitzt spielt der Film mit dem Blick auf zwei Heranwachsende, die, vom entfesselten Wahn eines Regimes in die Enge getrieben, sogar den Gefühlen, die sie füreinander empfinden, misstrauen.

Das Grauen verliert Jojo Rabbit auch deshalb nicht aus dem Blick, weil im Hause Betzler die Uneigentlichkeit zur Überlebensstrategie gehört. Im Kern ist dies auch ein Film über eine Mutter, die ihr Kind bewusst den falschen Glauben lässt, um es keiner Gefahr auszusetzen. Scarlett Johansson liefert in dem Part, in dem sie sogar einmal in die Rolle des abwesenden Vaters schlüpft, einen hinreißenden Act. Die wahre Empfindung kommt bei ihr, wie auch im Film, noch in der Täuschung ans Licht. (Dominik Kamalzadeh, 22.1.2020)