Alt, aber gut: Wire

Ende der 1970er-Jahre galten sie dank ihres ersten Albums Pink Flag und schlanker, schmissiger Gitarrenbretter wie 1 2 X U als eine der wenigen innovativen Bands der damals großzügig Punk genannten Verstörungsszene des etwas in die Jahre gekommenen Rock ’n’ Roll. Mit den nachfolgenden Alben Chairs Missing und vor allem dem Meisterwerk 154 stellte das Londoner Quartett Wire allerdings unter Beweis, dass hier mehr zu entdecken war als vier wildgewordene Kunststudenten, die ihre Theorieerkenntnisse aus den Vorlesungen mit drei Akkorden im Stile der Ramones umsetzten.

Punk mag als Geisteshaltung funktionieren, musikalisch war und ist er schnell langweilig. Bevor sich Wire konsequenterweise 1980 auflösten, um ab 1985 ebenso konsequent zurückzukehren, erfanden Colin Newman, Graham Lewis, Bruce Gilbert und Robert Gotobed mit den präzisen Soundarchitekturen ihrer auf dem Pink-Floyd-Label Harvest Records erscheinenden Musik allerdings noch rasch den Postpunk. Er trat damals parallel zur Postmoderne in den Hörsälen einen Siegeszug auf den Studentenfesten an. 1985, die Talking Heads, Road to Nowhere, The Cure, In Between Days, Wire, Ambitious, wir erinnern uns.

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Geschehen ist das mit den Mitteln des Minimalismus, allerdings ohne eitle künstlerische Selbstdarstellung. Wobei Wire sich in der melodiösen Bassführung als durchaus beeinflusst vom frühen Progressive Rocker Johann Sebastian Bach in Kombination mit dem zeitgleich umgehenden Peter Hook von Joy Division und New Order zu erkennen gaben. Wire führten damit – und seither alle heiligen Zeiten wieder – den vom Punk kurz unterbrochenen Art-Rock britischer Prägung ins Heute. Allerdings. Fassen sich. Wire. Bis heute gern. Kurz.

Spannung ist bei Wire immer auch entstanden, weil man sich nicht so gut riechen konnte. Eine Arbeitsbeziehung im On-off-Modus und mit Nebenprojekten wie Dome, Githead oder UUUU.

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Nach einer weiteren Pause in den 1990er-Jahren und dem Abgang des maßgeblichen Soundarchitekten Bruce Gilbert sowie eher mauen, nicht so tollen und teilweise wirklich guten Alben (zuletzt 2017 Silver/Lead) wird nun Mind Hive veröffentlicht. Gemeinsam mit dem seit zehn Jahren beschäftigten Bandbaby Matthew Simms führen Wire ihre über die Jahre natürlich etwas mehr ins Dekorative wie in die Altersmilde lappende Tradition der Auslassung fort.

Stop-and-go-Dynamik

Aus einem sehr einfach gebauten Grundgerüst heraus werden ins Ohr gehende Melodien entworfen. Drei Akkorde gehen knapp noch durch. Zwei sind besser. Einer langt aber. Die Riffs werden dann mit altklugem Sprechgesang kombiniert. Der gerät immer noch gern ins Dozieren mit leichtem Cockney-Akzent.

Neben new-wavigen, Pardon, postpunkigen neuen Stücken, die mehr auf sanfte Elektronik als auf ruppige Gitarren setzen wie Humming und ein wenig zeitlos moderner Meditation im Dröhnland mit Hung stechen vor allem die zwei ausgekoppelten Singles Cactused und Primed & Ready hervor. Die könnten mit ihrer Stop-and-go-Dynamik und kühl-distanzierten Ästhetik aus den frühen 1980er-Jahren stammen, ohne dabei altersverbockt zu klingen. Welche Band kann das nach 43 Jahren noch von sich behaupten?

Heuer soll auch noch eine Filmdoku über Wire erscheinen: People in Films. Glückliches Altern! (Christian Schachinger, 22.1.2020)