Stilbruch war die augenscheinlichste Konstante seines Schaffens, Wandel und Widerspruch, Setzung und Widersetzung zeichneten seinen künstlerischen Weg: Oswald Oberhuber.

Regine Hendrich

Oswald Oberhuber war, was man einen wilden Kunst-Hund nennen könnte. Einen radikalen Fantasie-Berserker und Stil-Zertrümmerer. Traditionen? Tabus? Waren ausschließlich dazu da, um gebrochen und überwunden zu werden. Er stellte den Autorenbegriff infrage und deklarierte 1969 in der Galerie nächst St. Stephan, die er von 1973 bis 1978 auch leiten sollte, die Kunst ohne Künstler; im Jahr darauf ernannte er als erboste Reaktion auf die Attacken der SPÖ gegen Simon Wiesenthal den Nazijäger zum Kunstwerk des Jahres.

Und schon 1956 rief der damals 24-Jährige in einem Manifest zur permanenten Veränderung in der Kunst auf. Keine Dogmen: Das war seine vielleicht wichtigste Devise, seine lebenslange Antriebskraft. Der größte Irrtum, sagte er, stelle sich nämlich immer dann ein, "wenn man Dogmen erarbeitet und glaubt, damit eine Lösung gefunden zu haben. Aber jede Lösung, jede fertige Auffassung ist nach Fertigstellung auf jeden Fall falsch und sofort wieder in anderer Weise zu lösen."

Maß- und grenzenlos

Auch in der Wahl seiner künstlerischen Mittel war Oberhuber maß- und grenzenlos. Er schuf Zeichnungen, Öl- und Materialbilder, Gerümpelplastiken, Collagen, Skulpturen, Objekte, Möbel, Stoffe, Assemblagen aus Schachteln, Kisten, Drähten, Nägeln und Fetzen: "Alles, was man auf die Seite schiebt, aufbewahrt, kann Kunst sein."

Der 1931 in Meran geborene, umfassend gebildete Universalkünstler nahm Graffiti voraus, untersuchte das Verhältnis von Bild und Text, Visuellem und Semantik, arbeitete informell, figurativ, realistisch, abstrakt, widmete sich der Pop-Art ebenso wie der Arte Povera, der Minimal- und Konzeptkunst. Und er bekannte freimütig: "Ich bin jemand, der auch ohne weiters abschaut. Es ist ein Fehler, dass man dem immer ausweicht."

Stilbruch war die augenscheinlichste Konstante seines Schaffens, Wandel und Widerspruch, Setzung und Widersetzung zeichneten seinen künstlerischen Weg. Kein Bild dürfe wiederholt werden, vor allem nicht, wenn dies Erfolg verhieß. "Ja, das ist eine gefährlich Sache. Ich bin glücklich, dass ich nie Erfolg hatte", sagte er, herzlich lachend, bei einem unserer letzten Gespräche anlässlich seiner großen und großartigen Personale im März 2016 im 21er-Haus.

Zerbrechlich, mit glasklarem Verstand

Auch damals schon ging er am Stock, ein zerbrechlicher alter Mann mit glasklarem Verstand, sprühendem Witz, hellwachem Geist. "Der Fehler ist, dass viele Künstler den Mut verlieren. Sie haben etwas entdeckt und glauben, damit bis an ihr Lebensende durchzukommen. Aber das ist ein Irrtum! Die große Problematik vor allem für einen jüngeren Künstler ist, dass er zu versagen fürchtet. Diese Angst muss er loswerden." Im Übrigen, fügte er an, zweifle er selbst auch immer noch an sich. "Aber die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es immer weitergeht."

Die dunklen Kapitel seiner beachtlichen Karriere blendete Oberhuber, der 1972 (gemeinsam mit Hans Hollein) Österreichs Vertreter auf der Venedig-Biennale war, 1977 und 1983 an der Documenta teilnahm, 2004 mit dem Österreichischen Ehrenkreuz 1. Klasse und zehn Jahre später mit dem Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet wurde, nicht aus.

Acht Jahre dauerte der Zivilprozess um einen angeblich gefälschten Wien-Block Joseph Beuys'. Oberhuber hatte ihn zunächst als echt zertifiziert, widerrief seine Erklärung später, verstrickte sich dabei aber in Widersprüche. Im Jahr 2000 erging schließlich das Urteil des Obersten Gerichtshofes: Oberhuber durfte nicht mehr behaupten, er habe die Werke nicht dem Wiener Kunsthändler Julius Hummel übergeben und sei nicht in der Lage, zur Echtheit der Werke Stellung zu nehmen.

Wichtiger Kunstprofessor

Es war Oberhuber, der Beuys als Vortragenden an die damals noch Hochschule genannte Universität für angewandte Kunst geholt hatte. 25 Jahre – von 1973 bis 1998 – war er zunächst Professor, später Rektor an der Angewandten gewesen und machte sie, wie der künstlerische Leiter der Documenta IX, der belgische Ausstellungsmacher Jan Hoet (1936–2014) einmal sagte, zu einer auch international wichtigen Kunst-Uni.

Umso schmerzlicher traf ihn, dass "die Schule", der er viele Arbeiten geschenkt hatte, schwieg, als er im November 2000 wegen missbräuchlicher Verwendung von Stipendiengeldern aus der "Stiftung Adlmüller" zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt worden war: "Ich habe das Geld ja nicht für mich verwendet, es blieb ja an der Angewandten. Und ich habe ihr viele Arbeiten geschenkt."

Auch das MAK und das Belvedere bedachte er mit großzügigen Schenkungen – aus Dankbarkeit und, wie er sagte, Solidarität gegenüber den Direktoren Peter Noever und Agnes Husslein.

Als Teil einer im 21er-Haus ausgestellten Assemblage schrieb er 1966 auf sorgsam arrangierte Versandkärtchen: "Oberhuber gibt es nicht." Das "nicht" strich er gleich wieder durch. Am 17. Jänner 2020 starb der Großmeister des Widerspruchs 89-jährig in Wien. (Andrea Schurian, 22.1.2020)