Präsident Macron gerät langsam ins Schwitzen.

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Ein Atomkraftwerk bestreiken – die französische Gewerkschaft CGT macht es vor. Am Mittwoch schloss ihr Chef Philippe Martinez einen kämpferischen Auftritt vor den Toren des Reaktors Gravelines (Nordfrankreich) mit dem Versprechen, die Arbeiter würden in dem Rentenkonflikt "nie nachgeben". Der "Präsident der Ultrareichen" – gemeint war Emmanuel Macron – solle daran denken, wenn er die Pensionsreform am Freitag durch seinen Premier Édouard Philippe vorlegen wolle.

Zahlreiche Kommandoaktionen zeugen von einer Radikalisierung des Widerstandes. Der Streik der Eisenbahn SNCF und des Pariser Metrobetriebs RATB ist zwar weitgehend zum Erliegen gekommen, umso geharnischter agieren die verbliebenen Streikposten. Von Le Havre im Norden über Saint-Nazaire am Atlantik bis Marseille im Süden blockieren Docker die Häfen von Mittwoch bis Freitag – ebenfalls, um Druck auf die anstehende Regierungsverlautbarung zu machen. Mehrere Hundert Containerschiffe mussten schon in nichtfranzösische Häfen wie Rotterdam oder Genua umgeleitet werden.

Auch das Wasserkraftwerk Grand-Maison in den französischen Alpen, das größte des Landes, wurde am Mittwoch bestreikt. Am Vortag hatten anonyme Vertreter der Gewerkschaft CGT-Énergie in einem Dutzend Orten des Großraums Paris ohne Vorankündigung stundenlang den Strom unterbrochen. Hotelgäste blieben im Lift stecken, Verkehrsampeln fielen aus, in Teilen des Flughafens Orly, des Großmarktes Rungis und des Einkaufszentrums Belle Épine konnte der Blackout nur mit Notgeneratoren behoben werden.

Premier droht mit Klagen

Während Macron auf Staatsbesuch in Israel und Palästina weilt, droht Premierminister Édouard Philippe mit "Sanktionen" in Form von Gerichtsklagen. Als Martinez am Mittwoch in einer Newssendung gefragt wurde, ob er angesichts der öffentlichen Empörung wenigstens Einhalt gebieten wolle, war die Antwort ein trockenes "non". Macron könne nicht, wie am Montag geschehen, auf Schloss Versailles 200 internationale Konzernchefs und Multimilliardäre empfangen und zugleich von den Arbeitern verlangen, immer länger, zuletzt bis 69, zu arbeiten, meinte er.

Am Mittwoch stürmten Vermummte mit CGT-Fahnen zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage den Hauptsitz der gemäßigten Gewerkschaft CFDT in Paris, um diese der "Kollaboration" mit der Regierung zu bezichtigen – einer der schlimmsten politischen Vorwürfe in Frankreich.

Streit der Gewerkschaften

Der Bruderstreit zwischen CGT und CFDT zeigt auch, wie spinnefeind sich die beiden Hauptkräfte der französischen Linken, die reformerischen Sozialdemokraten und die revolutionsbereiten Marxisten, bis heute geblieben sind. Macron hat die Spaltung bewusst geschürt, indem er der CFDT in Sachen Vollrentenalter 64 entgegenkam.

Des politischen Verrats gescholten, wird CFDT-Chef Laurent Berger seinerseits Härte markieren, wenn es im März bei einer Folgekonferenz zur Pensionsreform darum gehen wird, das neue Pensionssystem zu finanzieren. So lange wird der zunehmend harte Schlagabtausch weitergehen. (Stefan Brändle aus Paris, 22.1.2020)