Das Wort "Sicherheit" ist von semantischer Üppigkeit. Man bestreitet damit politische Wahlen, bewirbt Autos und bewertet medizinische Eingriffe. Die im Alltag wohl erste Assoziation mit dem Begriff betrifft die Unversehrtheit von Leib und Leben. In Statistiken spricht man häufig von "physischer Sicherheit", in der Wissenschaft von "Kriminalitätsfurcht". Geradezu klassisch ist das Beispiel der dunklen Gassen und Plätze, welche als potenzielle Herde überbordender Kriminalität wahrgenommen werden. Dabei spielt es keine Rolle, dass ein Zusammenhang zwischen Beleuchtung und Kriminalitätsraten in Studien mehrfach widerlegt wurde (ein Phänomen, das in der Soziologie als "Kriminalitätsfurcht-Paradoxon" bezeichnet wird). Das subjektive Sicherheitsgefühl ist ein Faktum, und Städteplaner versuchen mehr oder weniger, ihm gerecht zu werden – nicht zuletzt durch offene Räume und großzügige Ausleuchtung.

Unsicherheit ist ein sehr subjektives Gefühl. Licht in der Finsternis hilft, aber nur, wenn es klug eingesetzt ist.
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Sicherheit umfasst also viel mehr als die besagte Unversehrtheit. Es ist ein psychologisches Basisgefühl, das – oft unbewusst – über Wohlsein und Unwohlsein mitentscheidet und indirekt menschliches Handeln beeinflusst. Das komplexe Wechselspiel zwischen Sicherheit und Technologien gehört in das Forschungsgebiet von Manfred Tscheligi. Als Leiter des Center for Technology Experience am Austrian Institute of Technology (AIT) und zugleich Professor für Human-Computer Interaction an der Universität Salzburg beschäftigt er sich damit, welche Gefühle am Werk sind, wenn Menschen mit ihrer technisierten Umgebung interagieren. "Wir untersuchen, wie Benutzer sich in einer Umgebung fühlen und wie Technologie gefühlte Sicherheit signalisieren kann", sagt der Forscher. Dem Interface, also der Schnittstelle zwischen Nutzer und System, kommt dabei große Bedeutung zu.

"Durch die Art und Weise der Kommunikation lässt sich mehr oder weniger Sicherheitsgefühl erzeugen", erklärt Tscheligi. Dies sogar dann, wenn die Situation tatsächlich unangenehm ist. Bleibt etwa spätnachts das Auto auf einer einsamen Landstraße plötzlich stehen, kann es dem Fahrer schon helfen, wenn das Bordsystem anzeigt, was nun zu tun ist. Noch besser ist es, wenn es sogar selbstständig Maßnahmen in die Wege leitet, zum Beispiel den Pannendienst kontaktiert.

Der Mensch und sein Situationsbewusstsein

"Der Mensch nimmt ständig seine Umgebung wahr, und wenn er weiß, was los ist, fühlt er sich sicherer", meint Tscheligi. Fachleute sprechen hier von "Situationsbewusstsein", also der Kenntnis hinreichend vieler Fakten, welche eine Situation charakterisieren und es erlauben, vernünftige Handlungsoptionen abzuleiten. Auf eine simple Formel gebracht bedeutet das: Wissen schafft Sicherheit. Dies kommt insbesondere in potenziell gefährlichen Umgebungen oder Situationen zum Tragen. Beispielsweise in Fabriken, bei der Flugüberwachung oder beim autonomen Fahren. Grundsätzlich gilt: "Je mehr Informationen ich dem Benutzer gebe, desto wohler wird er sich fühlen."

Damit postuliert Tscheligi etwas, das noch nicht zum Common Sense der Entwickler gehört: "Ich stehe da im Widerspruch zu vielen Technikern, die meinen, man sollte dem User möglichst wenig Informationen anzeigen, weil dieser sonst überfordert wird." Es gehe darum, die zum jeweiligen Zeitpunkt relevanten Informationen in geeigneter Form zu vermitteln. "Mein Postulat ist: Dem Nutzer das anzuzeigen, was er wissen muss, damit er eine Situation gut einschätzen kann. Darin liegt die Kunst im Design technischer Systeme." In einer Studie an der Universität Salzburg konnte Tscheligi zeigen, dass das Vertrauen in Roboter steigt, wenn diese "zugeben", Fehler gemacht zu haben. Der Grund: "Man kann sich darauf verlassen, dass der Roboter einen informiert, wenn etwas schiefgeht. Man fühlt sich der Technologie nicht völlig ausgeliefert", erklärt er.

Individuell verschiedene Informationsbedürfnisse

Nun sind zwar die Informationsbedürfnisse von Menschen typischerweise individuell verschieden. Doch im Zeitalter von Big Data ist das kein grundsätzliches Problem mehr. Mit Methoden des Emotion-Tracking, etwa dem automatischen Folgen der Augenbewegungen oder dem Messen des elektrischen Hautwiderstands, lassen sich Gefühle bis zu einem gewissen Grad objektiv erfassen. Korreliert man diese dann mittels lernender Algorithmen mit Situationen, können Gefühle erkannt und entsprechende Aktionen ausgelöst werden. Ein simples Beispiel dafür bietet wiederum die öffentliche Beleuchtung. "Licht ist ein Wohlfühlelement, Menschen haben oft Angst vor der Finsternis", sagt Tscheligi.

Licht ist ein Wohlfühlelement, sagt AIT-Forscher Manfred Tscheligi.
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Und was genau kann man tun, um Betroffenen dieses negative Gefühl zu nehmen? Denkbar wären etwa Straßenleuchten, die erkennen, wenn ein Passant zögert weiterzugehen oder sich besonders häufig umsieht. Eine mögliche Reaktion wäre, die Lichtstärke oder -charakteristik automatisch zu verändern und so ein Gefühl der Sicherheit herzustellen. Die Methode lässt freilich anspruchsvollere Anwendungen zu als Hightech-Bewegungsmelder. Im Rahmen des von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG geförderten Projekts "MMAssist2" etwa arbeiten unter der Leitung der Universität Salzburg 25 Partner aus Industrie und Wissenschaft an sogenannten Assistenzeinheiten. Das sind um Assistenzfunktionen erweiterte Arbeitsplätze, die etwa bei der manuellen Montage in Produktionsbetrieben zum Einsatz kommen. Dabei handelt es sich meist um klar definierte Arbeitsabläufe, die unter großem Zeitdruck ablaufen müssen.

Aktive Unterstützung vom System

Zögert ein Mitarbeiter, greift er zum falschen Werkzeug oder zeigt auf andere Weise Unsicherheit, soll das System ihm aktiv Unterstützung bieten. Die Möglichkeiten reichen vom visuellen Einblenden der benötigten Information auf einem Monitor über Sprachanweisungen bis hin zum Kenntlichmachen, welches Bauteil als Nächstes benötigt wird – etwa durch Bestrahlen des Teils mit Licht.

Dass Technologie nicht nur Funktionen für Aufgaben bereitstellt, nicht nur Lösungen für Probleme bietet, sondern den Nutzer zugleich emotional zufriedenstellen soll, ist – zumindest abseits der reinen Unterhaltungstechnik – ein junger Gedanke. Es wäre zwar zu früh, um von einem Paradigmenwechsel in der Industrie zu sprechen, schränkt Tscheligi ein. Doch ein langsames Umdenken meint er zu erkennen: "Niemand sagt heute mehr, dass er etwas entwickelt, ohne an den Nutzer zu denken. Jeder Hersteller betont, dass der Nutzer sich bei der Verwendung seiner Technologie wohlfühlen soll. Aber manchmal wird das nicht oder nicht ausreichend umgesetzt." Vielleicht ist der Begriff des Wohlfühlens auch oft zu weit gefasst.

Tscheligi plädiert demgegenüber für ein enges, emotionales Verständnis analog zum Begriff des "Flow" aus der Psychologie. Flow ist ein Zustand höchster Konzentration auf eine Tätigkeit, der mit einer Art Glücksgefühl einhergeht. Das Vorbild hierfür sind Computerspiele, die den Gamer vor Schwierigkeiten stellen, die fordernd genug sein sollen, um ihn zum Weiterspielen zu motivieren, aber niemals unlösbar sein dürfen. "Ein Flow-Erlebnis, kann bei jedem Tool erzeugt werden, nicht nur bei Spielen", sagt Tscheligi. "Ich frage Entwickler oft, ob sie wissen, was ein Flow ist. Meistens wissen sie es nicht. Dabei ist es ein wichtiger Faktor im Umgang mit Technologien." (Raimund Lang, 24.1.2020)