Einer der besten Poptexter aller Zeiten, Neil Tennant (65, li.), und Maschinist Chris Lowe (60) wollen es wieder wissen.

Foto: Phil Fisk

Die aktuelle Single Dreamland ist ein Musterbeispiel dafür, dass Pop auch dann funktioniert, wenn er textlich an Banalität kaum zu überbieten ist:

"I heard there’s a dreamland / In another world far away/ They say it’s a freeland / And they welcome everyone to stay / You got to take me / You got to make me / Remember how to dream today / I’m so tired of my homeland/ When I fall asleep you lead the way."

Mit dem Song Dreamland und dem dazugehörigen neuen Album Hotspot stellen die Pet Shop Boys nach gut 70 Jahren Pop (ausgehend vom Urknall mit Frank Sinatra) und fast 40 Jahren eigener Karriere allerdings auch eines unter Beweis. Einer der zentralen Antriebsmotoren des Pop ist und bleibt die Weltflucht. Der Alltag ist trist und grau. Irgendwo muss es etwas geben, für das es sich zu leben lohnt. Etwas Besseres als den Tod finden wir allemal.

Paradiese der Nacht

Zu einer hundertmal so ähnlich gehörten fröhlichen Melodie und einem klassischen Beat aus dem Nimmerland der Disco, in dem man niemals erwachsen und alt wird, sondern ewig jung, schön und begehrenswert bleibt, tänzeln sich Neil Tennant und Chris Lowe im Dreamland einmal mehr durch die Clubs und Paradiese der Nacht in unsere Herzen. Man mag zwar seit den ersten großen Hits von Mitte der 1980er-Jahre wie West End Girls, It’s A Sin, Suburbia oder der unsterblichen Coverversion des Elvis-Haderns Always On My Mind reifer und distinguierter geworden sein. Pure Vernunft aber darf niemals siegen.

Pet Shop Boys

Neil Tennants Stimme, die auf Dreamland mit jener des wahnsinnig angesagten jungen Queerpop-Stars Olly Alexander von Years & Years im Geiste der Disco-Gottheit Sylvester jubiliert, ist immer noch hell und bubenhaft. Allerdings werden offensichtliche Banalitäten ebenso süffisant vorgetragen wie etwa ein Text vom 2013 erschienenen Album Electric namens "Love Is A Bourgeois Construct": "When you walked out you did me a favor / It’s absolutely clear to me / That love is a bourgeois construct / Just like they said at university."

Das neue, im Vorfeld von der Kritik heftig abgefeierte Album Hotspot hält sich dieses Mal mit der Zurschaustellung pophistorischer Belesenheit (Karl Marx!) und dazugehörigen, für Autodromfahrten zu Kirtagstechno verquietschten Samples des Michael-Nyman-Soundtracks von Peter Greenaways Der Kontrakt des Zeichners deutlich zurück. Wenn man einmal vom Hochzeitsmarsch Felix Mendelssohn Bartholdys im doppeldeutig auch nach einem Berliner Stadtteil benamsten Lied Wedding In Berlin absieht, geht es zum dritten Mal in Folge mit dem 42-jährigen Produzenten Stuart Price darum, so zu klingen wie immer, allerdings ein bisschen anders.

Pet Shop Boys

Price ist ein Spezialist für die Frischluftzufuhr bei in den 1980er-Jahren lebenden Stars wie Madonna, New Order, Kylie Minogue, Scissor Sisters oder Depeche Mode. Auch mit den Pet Shop Boys wird soundästhetisch fesche Traditionspflege betrieben.

Da die Pet Shop Boys in Berlin-Schöneberg seit zehn Jahren eine Wohnung besitzen (die geile Clübkültür, das angenehme Reizklima, alle anderen sind auch längst da ...), wurde dort in den legendären Hansa-Studios aufgenommen (Heroes, David Bowie!). Das könnte der ganzen Sache vor allem bei den "Balladen" zusätzlich zum alten Schulterpolstersakko-Sound des elektronischen Fuhrparks akustische Gitarren und ähnlich altmodisches Zeug beschert haben (Burning The Heather).

Klassische Singles-Band

Die langsamen Sachen sind den Pet Shop Boys allerdings noch nie so gut bekommen. Sie waren und bleiben, ganz im Sinne des klassischen Pop, eine Singles-Band. Besser schon funktioniert der aseptische Plastik-Funk von Monkey Business, der so ähnlich bereits 1979 von Lipps Inc. mit Funky Town oder von M mit Pop Muzik veröffentlicht wurde.

Frühere Großtaten wie Being Boring (1990), Opportunities (1986), Rent (1987) oder You Only Tell Me You Love Me When You’re Drunk (1999) sind derzeit nicht zu erwarten. Schön aber, dass sie uns mit solider Arbeit erhalten bleiben. Zum Trost werden die Pet Shop Boys ab Mai mit einem dezidierten "Greatest-Hits-Programm" auf große Europatournee gehen. Am 12. Mai sind sie damit im Wiener Gasometer zu sehen. (Christian Schachinger, 24.1.2020)