Ein Opferlamm aus dem 15. Jahrhundert macht endlich jedem treublickenden Geistheiler Konkurrenz.

Foto: Lukasweb/ Katrien Van Acker and Stéphane

So ganz kann man es der Twitter-Community nicht verdenken, worüber sie sich dieser Tage teils amüsiert: Dieses Schaf schaut recht merkwürdig aus seiner Wolle. Mit den tief angesetzten, horizontal abstehenden Öhrchen, dem Schnuterl und vor allem: diesem sonderbar menschlich wirkenden Blick!

Mal ehrlich, wer braucht einen Josip Grabovac aka Braco, wenn ein Opferlamm aus dem 15. Jahrhundert die gleiche Wirkung zu erzielen vermag? Jetzt, da der zur Anbetung provozierende Hauptakteur aus der Offenbarung des Johannes nach monatelanger Restaurierung des Genter Flügelaltars in originalem Zustand erstrahlt: mit jenem Antlitz, das nach Jan van Eycks Fertigstellung 1432 schon Bewunderung erntete. Zumindest an den Festtagen, sonst gab es die Innenseite des Altars ja nicht zu sehen.

Vergilbter Firnis

Millimeter für Millimeter befreiten Experten des Königlichen Instituts für Denkmalschutz in Belgien das unschuldige Viech von vergilbtem Firnis, Rußpartikeln und einer Übermalung aus den 1550er-Jahren. Genter Chronisten zufolge hätten zwei Künstler den Altar damals "gewaschen" und "geküsst". Im übertragenen Sinne waren damit auch Verbesserungen und Korrekturen gemeint.

Wer diese beauftragte, ein Habsburger gar? Man weiß es nicht. Bei den Tätern soll es sich um Lancelot Blondeel und Jan van Scorel handeln. Sie übermalten fast die Hälfte dieser Tafel und verpassten dem Lamm ein tierhafteres Aussehen. Mit vier Ohren, die gar nie hinterfragt wurden.

Göttliches Facelifting

Nun ergötzen sich Kunsthistoriker am cartoonesken Stil, den man van Eyck nicht zugetraut hätte. Sie sind jedenfalls gewappnet. Denn noch ist nicht absehbar, welches Gfries unter dem komplett übermalten Gottvater lauert. Er hat das Facelifting der Restauratoren noch vor sich. (Olga Kronsteiner, 24.1.2020)