Bei seinem Wahlkampfauftritt in Maranello – dem Sitz des Sportwagenherstellers Ferrari – forderte Matteo Salvini nicht nur die Sozialdemokraten heraus, sondern "kaperte" auch das Rot des Rennstalls.

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Matteo Salvini zieht in den letzten Tagen vor den Wahlen in den italienischen Regionen Emilia-Romagna und Kalabrien sämtliche Register. Am Mittwoch griff er nach einem Auftritt in einem Vorort von Bologna sogar in die unterste Schublade: Unter dem Gejohle seiner Anhänger und vor laufenden Kameras läutete er bei einer Wohnung von tunesischen Einwanderern und fragte in die Gegensprechanlage: "Guten Abend, kann ich hereinkommen? Mir wurde gesagt, dass ihr mit Drogen handelt ... Ihr seid doch Tunesier, nicht wahr?"

Als die Tür nicht aufgemacht wurde, zog der ehemalige Innenminister wieder von dannen. Tunesiens Botschafter protestierte und sprach von einer "unsäglichen Provokation"; die betroffene Familie kündigte an, gegen Salvini Anzeige zu erstatten.

Das kümmert Salvini freilich nicht im Geringsten; denn der Lega-Chef wusste, dass er mit seiner rassistischen Einlage einmal mehr die Schlagzeilen beherrschen würde – und nur das zählt.

Duell in der roten Hochburg

Am Sonntag stehen in der Emilia-Romagna Regionalwahlen an, und Salvini kämpft mit bis zu acht Wahlkampfauftritten pro Tag um jede Stimme. Für ihn führt der Weg zurück an die Macht über einen Sieg in der wirtschaftlich wohlhabenden mittelitalienischen Region, die seit Jahrzehnten von Links-Koalitionen regiert wird.

Gelingt es ihm, die traditionelle rote Hochburg zu schleifen, dann wird er unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Resultats Neuwahlen fordern. Denn dann sei klar, dass die Koalition in Rom aus Sozialdemokraten und Fünf Sternen – also das Kabinett Giuseppe Conte II – definitiv keine Mehrheit mehr im Land habe.

Dem Jus-Professor Conte und seinem Regierungsteam droht in der Tat der perfekte Sturm – die erste heftige Bö bekam der Premier bereits Mittwochabend zu spüren: Außenminister Luigi Di Maio erklärte seinen Rücktritt als Parteichef der Fünf-Sterne-Bewegung. Wegen der akuten Führungskrise und der internen Flügelkämpfe in der vormaligen Protestbewegung ist die Regierung bereits angezählt.

Die chaotischen "Grillinis"

Ein Triumph Salvinis in der Emilia-Romagna würde auch noch den zweiten Koalitionspartner, den sozialdemokratischen Partito Democratico von Nicola Zingaretti, in eine Sinnkrise stürzen. Schon heute fühlen sich viele Genossen unbehaglich im politischen Lotterbett mit den chaotischen "Grillini"; nach einer Wahlschlappe müsste sich Zingaretti fragen, ob es nicht besser wäre, das sinkende Regierungsschiff zu verlassen, um nicht auch noch die letzten Wähler zu verlieren.

Gewählt wird am Sonntag auch in Kalabrien. In der armen Region im Süden steht der Sieg der von Salvini dominierten Rechtskoalition laut Umfragen bereits so gut wie fest. Sollte Salvini sowohl in der Emilia-Romagna als auch in Kalabrien siegen, dann würde dies bedeuten, dass die Lega ihren imposanten, seit eineinhalb Jahren andauernden Siegeszug fortsetzen könnte: In sämtlichen Regionen, in denen seit den Parlamentswahlen im März 2018 gewählt worden ist, hat Salvini gewonnen.

Beeindruckender Siegeslauf

2018 war das in der Lombardei, in Sardinien, im Friaul und in Molise der Fall; 2019 in den Abruzzen, in der Basilicata, im Piemont und in Umbrien (auch das eine bisher rote Bastion). Zwischendurch wurde die Lega im Mai 2019 bei den Europawahlen mit 34 Prozent die mit Abstand stärkste Partei des Landes, während die Fünf-Sterne-Bewegung sechs Millionen Wähler verlor und von 32 auf 17 Prozent absackte.

Noch hat Salvini aber in der alles entscheidenden Emilia-Romagna nicht gewonnen – laut Umfragen dürfte es zu einem knappen Wahlergebnis kommen. Und auch bei einem Sieg der Lega-Kandidatin Lucia Borgonzoni würde nicht Salvini, sondern immer noch Staatspräsident Sergio Mattarella über die Ausrufung von Neuwahlen entscheiden. Die Legislaturperiode dauert noch bis zum Frühjahr 2023 – und solange Contes Kabinett im Senat und in der Abgeordnetenkammer über eine Mehrheit verfügt, wird Mattarella keinen Anlass sehen, das Parlament aufzulösen.

Sowohl Conte als auch seine Koalitionspartner versichern indes unablässig, dass ein Sieg Salvinis am Sonntag "keine Folgen für die Regierung" haben würde und dass ihre Parlamentsmehrheit "stabil" sei. Das Problem ist nur, dass das in Rom niemand so richtig glauben mag. (Dominik Straub aus Rom, 23.1.2020)