Immer mehr Wiener Arbeitslose sind bereit, im Westen zu arbeiten. Das zeigen Zahlen des AMS Wien. Seit 2014 gab es einen deutlichen Anstieg bei der Vermittlung von Jobsuchenden nach Oberösterreich, Salzburg, Steiermark Kärnten, Tirol oder Vorarlberg. Aber das Ganze gleicht freilich nach wie vor eher einem Rinnsal denn einem Strom. Gerade jeder 22. Arbeitslose aus der Hauptstadt, zusammengenommen etwa nur 6400 Personen, haben im vergangenen Jahr eine Arbeit in einem der erwähnten Bundesländer angenommen.

Woran liegt das? DER STANDARD hat sich bei Arbeitsmarktexperten, Unternehmern, Gewerkschaftern umgehört. Es lassen sich fünf Gründe für die fehlende Mobilität skizzieren:

Ein zu großer Sprung

Auf den ersten Blick klingt die Sache unverständlich: Warum geht jemand, der in Wien lebt, nicht für ein paar Monate nach Tirol kellnern oder in einen Industriebetrieb in Oberösterreich arbeiten? Praktisch gibt es laut AMS-Mitarbeitern viele Hindernisse. Wer Wien dauerhaft verlässt, muss die Wohnung aufgeben. Menschen, die günstig wohnen, etwa in einer Gemeindewohnung, kann das abschrecken. Was, wenn man einmal zurückkommt? Wer nur auf Saison geht, muss die Wohnung weiterzahlen. Hinzu kommt: Haustiere, die zurückgelassen werden müssen. Zugleich wollen viele Menschen, wie es die AMS-Wien-Chefin Petra Draxl einmal formuliert hat, die Stadt nicht verlassen und ihre sozialen Kontakte nicht verlieren.

In mehreren Bundesländern, darunter Tirol, ist auch Friseur ein Mangelberuf.
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Draxl sagt auch, dass sich ländliche Regionen und nicht nur einzelne Arbeitgeber Gedanken darüber machen sollten, wie sie attraktiver für Arbeitnehmer werden können. Hier gibt es bereits Aktivitäten. Beispiel Flachau: In dem Salzburger Ort werden jede Saison 1500 Mitarbeiter zusätzlich gesucht, erzählt Bürgermeister Thomas Oberreiter. Viele Stellen, insbesondere im Tourismus, können nicht besetzt werden.

Der Tourismusverband arbeitet an einem Projekt, um Köche, Kellner und Rezeptionisten bei der Eingewöhnung zu unterstützen. So sollen gemeinsame Aktivitäten organisiert werden. Auch das Freizeitangebot soll attraktiver werden, etwa durch billigeren Eintritt ins Bad, so Oberreiter. Der wichtigste Punkt: Es wird erwogen, aktiver bei der Bereitstellung von Wohnraum zu sein. Solche Initiativen sind aber selten.

Ein harter Job

Besonders der Tourismus klagt über einen Mangel an Arbeitskräften – Kellner und Köche fehlen. Wer allerdings in einer Küche gearbeitet hat, weiß: Es ist ein knallharter Job. Der Umgangston ist oft rau.

Petra Nocker-Schwarzenbacher, die bei der Wirtschaftskammer Österreich den Tourismussektor verantwortet, sagt, dass ein Wandel eingesetzt habe: Die Vorstellungen im Kopf seien oft veraltet und die Darstellungen über die Arbeit in der Gastronomie zu negativ. Was dagegenspricht: Auch in Wien gibt es hunderte arbeitslose Köche, die nicht bereit sind, eine der vielen offenen Stellen im Westen als Koch anzunehmen. Sie kennen den Job.

Der Gewerkschafter Andreas Gollner sieht noch einen Faktor: Im Tourismus werden oft Saisonarbeiter gesucht. "Ab einem bestimmten Alter haben viele Menschen genug davon und wollen eine ganzjährige Beschäftigung."

Was gesucht und gefunden wird

Ein weiterer Faktor ist, dass Arbeitslose manchmal nicht die richtige Qualifikation haben. Ein Beispiel: Der Dreher ist ein klassischer Mangelberuf in Westösterreich. Dreher sind Facharbeiter, die vor allem in der Metallindustrie Werkstücke bearbeiten. Wien ist kein Industriebundesland mehr, die meisten Menschen arbeiten im Dienstleistungssektor. Das wirkt sich ebenso auf die Struktur der Beschäftigten wie auf die Struktur der Arbeitslosen aus.

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So sind in Wien aktuell nur 104 Dreher als arbeitslos gemeldet; allein in Oberösterreich werden 270 Dreher gesucht. Nimmt man Tirol und Vorarlberg dazu, sind es mehr als 300 offene Stellen. Auch andere Mangelberufe in Westösterreich findet man in Wien kaum – etwa den Dachdecker. Die Touristikerin Nocker-Schwarzenbacher sagt zudem, dass auch innerhalb einer Berufsgruppe oft genau hingeschaut werden muss: Koch ist nicht gleich Koch. Manche Betriebe in Tirol oder Salzburg suchen spezielle Qualifikationen wie einen Frühstückskoch oder Saucier.

Allerdings sollte die Bedeutung dieses Faktors nicht überstrapaziert werden. So werden in Westösterreich hunderte Elektromechaniker gesucht – und in Wien gibt es laut Zahlen des AMS mehr als 800 gemeldete Arbeitslose mit dieser Qualifikation.

Diskriminierung ist ein Faktor

Offen aussprechen wollen es nur wenige, aber Diskriminierung ist ein Faktor. Manche westösterreichischen Tourismusbetriebe würden gern typische Österreicher einstellen. Die Wiener Arbeitslosen kommen häufig aus einem migrantischen Milieu. Gut 40 Prozent der Wiener haben Migrationshintergrund. Von Arbeitslosigkeit sind bestimmte Gruppen stärker betroffen, weshalb unter den Jobsuchenden viele Türken, Serben, Bosnier zu finden sind. Wie stark sich dieser Faktor auswirkt, ist nicht belegt.

Beim AMS Wien ist man der Ansicht, die Betriebe im Westen müssten nur etwas daran gewöhnt werden, wer die Bewerber aus Wien sind – dann klappe es.

Arbeit bringt nur begrenzt mehr

Ein Faktor ist, dass die Differenz zwischen dem Bezug von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Mindestsicherung und dem Nettolohn, in manchen Fällen überschaubar bleibt. "Die Arbeitslosenversicherung ist nun einmal nicht so unattraktiv in Österreich", sagt die Touristikerin Nocker-Schwarzenbacher. Ein Mindestsicherungsbezieher mit zwei Kindern kann in Wien um die 1.400 Euro bekommen. Bei circa 1.650 Euro liegt das Einstiegsgehalt für Köche und Kellner in Westösterreich laut Kollektivvertrag. Köche bekommen deutlich mehr in der Praxis. Bei Kellnern kommt aber meist nur das Trinkgeld hinzu. (András Szigetvari, 24.1.2020)