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Frankfurt am Main – Es kommt öfter vor, dass ehemalige Spitzenpolitiker prominent in die Wirtschaft wechseln. Bei Sozialdemokraten legt die Öffentlichkeit aber meist besonders strenge Maßstäbe an, der Schritt vom Sprachrohr der Arbeitnehmer zum Aufseher in einem Großkonzern wird argwöhnisch beäugt. Besagten Spagat vollzieht nun auch Sigmar Gabriel. Der ehemalige Vizekanzler und SPD-Parteichef wird Aufsichtsrat der Deutschen Bank.

Er soll im Aufsichtsrat des skandalgebeutelten Geldhauses auf Jürgen Zeltner folgen. Dieser hatte sein Mandat Ende vergangenen Jahres niedergelegt, weil die Europäische Zentralbank (EZB) einen potenziellen Interessenkonflikt ortete. Zeltner ist Chef und Investor bei einer luxemburgischen Privatbankengruppe – diese wird jedoch von einem Großaktionär der Deutschen Bank kontrolliert: Katar. Mit der Neubesetzung des Aufsichtsratspostens ist die Angelegenheit wohl geklärt. Bis zu seiner Wahl in der Hauptversammlung am 20. Mai ist Gabriel gerichtlich bestellt.

Gabriel war von 2013 bis 2018 Vizekanzler der großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Bereits 2009 übernahm Gabriel den Vorsitz der deutschen Sozialdemokraten und gab ihn erst 2017 wieder ab. "Wir freuen uns sehr, mit Sigmar Gabriel einen überzeugten Europäer und Transatlantiker für den Aufsichtsrat der Deutschen Bank gewinnen zu können", wurde Paul Achleitner, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Deutschen Bank, in einer Aussendung zitiert.

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Paul Achleitner bleibt Vorsitzender im Aufsichtsrat der Deutschen Bank – und freut sich auf das neue Aufsichtsratsmitglied.
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"Große Ehre"

Gabriel, der in Deutschland sowohl Außen- als auch Wirtschaftsminister war, sprach von einer großen Ehre: "Mit einer nun klaren Strategie und ihrem starken Führungsteam hat die Deutsche Bank als eine der wichtigsten Finanzinstitutionen in Europa die Chance und die Verantwortung, die Zukunft der deutschen und europäischen Wirtschaft mitzugestalten. Dazu möchte ich einen Beitrag leisten."

Die Deutsche Bank ist gerade dabei, sich nach diversen Skandalen aus dem Investmentbanking zurückzuziehen. Vergangenes Jahr hatte der Chef der Frankfurter Geldhauses, Christian Sewing, angekündigt, 18.000 Stellen zu kürzen. Der Aktienkurs der Deutschen Bank befindet sich seit mehr als einem Jahrzehnt im Abwärtstrend. Schuld daran sind Verluste und Skandale, unter anderem wegen Geldwäsche. Eine Fusion mit der Commerzbank ist vergangenes Jahr gescheitert.

Schröder lässt grüßen

Vor seiner Nominierung galt Gabriel als Favorit auf das Präsidentenamt beim deutschen Verband der Automobilindustrie. Nach heftiger Kritik verzichtete er jedoch auf den Posten in der Autolobby. Erste Reaktionen auf Gabriels Einstieg in die Finanzwelt fielen kritisch aus. Auf Twitter fanden Beobachter teils scharfe Worte, vor allem weckte die Rochade Erinnerungen an Gabriels Parteifreund, Ex-Kanzler Gerhard Schröder.

Denn Gabriel ist nicht der erste sozialdemokratische Spitzenpolitiker, der sich einem Großkonzern andient. Altkanzler Schröder steht seit 15 Jahren in der Kritik, weil er nach dem Verlust der Kanzlerschaft zu Gazprom wechselte. Heute ist er Vorsitzender des Aktionärsrats der Gazprom-Tochter Nordstream-2-Pipeline, an der auch die Energieriesen Eon und Wintershall beteiligt sind. (luis, 24.1.2020)