Christa Wirthumer-Hoche ist Geschäftsfeldleiterin der Medizinmarktaufsicht Österreich und in der Europäischen Arzneimittelagentur im Management.

"Leider nicht verfügbar": Müssen Apothekerinnen ihren Kunden immer öfter sagen, weil sie viele Wirkstoffe nur mehr in Asien produziert werden und es irgendwo in der Produktion oder beim Transport zu Problemen gekommen ist.

Foto: Christian Fischer

STANDARD: Es gibt immer wieder Meldungen, dass Medikamente knapp werden. Panikmache?

Wirthumer-Hoche: Lieferengpässe bei Arzneimittel sind ernstzunehmen. Und ja, es kommt zu Vertriebseinschränkungen, aber derzeit noch zu keinen Versorgungsengpässen. Es kann zu Wartezeiten kommen, weil sich Mediziner und Apotheker für manche Patienten Alternativen überlegen müssen. Laut den uns vorliegenden Meldungen ist noch niemand zu Schaden gekommen. Es wurde für jeden stets eine Lösung gefunden, auch wenn sie manchmal sehr aufwendig war.

STANDARD: Wie kommt es dazu?

Wirthumer-Hoche: Es ist ein globales Problem, von dem Österreich so wie alle anderen Länder betroffen ist. Von 2018 bis 2019 ist das Problem jedoch nicht schlimmer geworden. Bei uns allein kann das Problem nicht gelöst werden.

STANDARD: Warum nicht?

Wirthumer-Hoche: Die Produktion von Arzneimitteln bzw. die Herstellung der Wirkstoffe hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend nach Asien verlagert, also in Länder wie China oder Indien. Dort sind die Produktionskosten niedriger. Bei der Herstellung von Arzneimitteln sind die Qualitätsansprüche allerdings hoch. Produkte müssen einwandfrei sein, das wird regelmäßig geprüft. In der letzten Zeit ist es in den Produktionsstätten in Asien aber immer wieder zu Problemen gekommen.

STANDARD: Zu welchen?

Wirthumer-Hoche: Es gibt viele Ursachen. Zum einen können es Verunreinigungen im Produktionsprozess sein, die Wirkstoffe entsprechen nicht mehr den Anforderungen und können aus Gründen der Patientensicherheit nicht auf den Markt kommen. Zum anderen beeinflussen auch Naturkatastrophen oder Streiks in diesen Ländern die Arzneimittelproduktion. Aber auch Hindernisse im Transportweg sind Thema. Der Transport ist streng geregelt, viele Medikamente müssen gekühlt werden. Ein einziges Problem kann sich global auswirken.

STANDARD: Gibt es Wirkstoffe, die nurmehr an einem einzigen Ort hergestellt werden?

Wirthumer-Hoche: Genau. Im Arzneimittelmarkt hat eine starke Konzentration stattgefunden. Pharmazeutische Betriebe spüren den Preisdruck, versuchen, ihre Kosten zu senken. Sehr oft hat sich das so ausgewirkt, dass die Produktionsstätten reduziert wurden, weil es Kosten senkt und es in Asien preislich sehr gute Bedingungen gibt. Das ist auch in andere Branchen so. Allgemein gibt es den Trend zur Monopolisierung. Die Folge davon sind immer weniger Anbieter und damit Lieferengpässe.

STANDARD: Was ist mit den Parallelimporten bzw. -exporten? Parallelimporteure nutzen doch die Preisunterschiede von Medikamenten in den EU Ländern aus?

Wirthumer-Hoche: Parallelimporte sind legal, waren aber für kleine Länder schon immer ein Problem. Generell gibt es ein Nord-Süd-Gefälle, die der Parallelimporthandel ausnutzt, also in billigeren Ländern Medikamente für teurere Länder einkauft. Wenn das jedoch zu Lieferengpässen führt, dann muss das neu überdacht werden. Da es sich um ein EU-weites Problem handelt, gibt es auf EU-Ebene Arbeitsgruppen. Aus meiner Sicht wäre eine wichtige Voraussetzung ein Melderegister, in dem sich solche Lieferengpässe deutlich abzeichnen, dann könnte man neue Regelungen für Parallelimporte finden.

STANDARD: Ist Österreich ein Hochpreisland? Das heißt: Welche Medikamente könnten hier knapp werden, weil sie billig sind?

Wirthumer-Hoche: Die Preise für Medikamente werden in Österreich vom Dachverband direkt mit den Herstellern verhandelt. Bei innovativen Medikamenten bekommen die Hersteller einen guten Preis. Bei Standardmedikamenten hingegen hat man in Österreich gut verhandelt, sie sind im Vergleich oft günstig – und damit für Parallelimporte interessant, etwa für Deutschland oder die Niederlande.

STANDARD: Klingt aber schon eher besorgniserregend?

Wirthumer-Hoche: Es handelt sich einstweilen meist um Lieferengpässe, nicht um Versorgungsmängel. Wenn ein Patient ein Medikament braucht und es nicht da ist, versuchen die Apotheken, es zu beschaffen, etwa aus einem anderen EU-Land, hier und da ist es vorgekommen, dass dann auch die Verpackung in einer anderen Sprache war. Meist findet man aber für Medikamente passende heimische Alternativen, das heißt, Wirkstoffe, die denselben Effekt erzielen. Wie gesagt, es wurde noch nie gemeldet, dass ein Patient wirklich zu Schaden gekommen wäre.

STANDARD: Bei wie vielen Medikamenten gibt es Engpässe?

Wirthumer-Hoche: Bei etwa 230 rezeptpflichtigen Medikamenten, verschiedene Wirkstoffe sind betroffen.

STANDARD: Also keine frei verkäuflichen Medikamente, die so genannten OTC-Produkte?

Wirthumer-Hoche: Zu 95 Prozent betreffen die Engpässe rezeptpflichtige Produkte. Wenn ein Medikament in Österreich die Zulassung bekommt, dann ist der Zulassungsinhaber zu einer kontinuierlichen Bereitstellung verpflichtet. Das heißt: Das Medikament muss auch verfügbar und der Bedarf im Land gedeckt sein.

STANDARD: Das Problem könnte sich verstärken, oder?

Wirthumer-Hoche: In der EU ist sich die neue Gesundheitskommission des Problems bewusst, und es ist ein Anliegen, dass die Arzneimittelproduktion wieder nach Europa zurückgeholt wird. Das wäre die effizienteste Maßnahme.

STANDARD: Und was ist mit den Parallelimporten?

Wirthumer-Hoche: Die Situation muss genau analysiert werden. Es ist allen Akteuren in der Distributionskette klar, dass hier mit maximaler Transparenz gearbeitet werden muss. Kein Patient und keine Patientin dürfen zu Schaden kommen. (Karin Pollack, 25.1.2020)