Ex-"Spiegel"-Korrespondent Hasnain Kazim: 400 Morddrohungen seit Anfang November 2019.

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Wien –"Und morgen bist du tot!" Unter diesem Titel beschreibt der langjährige "Spiegel"-Journalist Hasnain Kazim am Freitag bei "Zeit online" sein Martyrium, das er seit Anfang November 2019 erlebt. Kazim arbeitete 14 Jahren für den "Spiegel", bis Ende des Jahres berichtete er als Korrespondent des deutschen Nachrichtenmagazins aus Wien. "Seit dem 4. November habe ich täglich hunderte, manchmal mehr als tausend Zuschriften erhalten. Darunter täglich ein Dutzend Morddrohungen, fast 400 insgesamt. So viele wie noch nie", schreibt Kazim.

Der Grund für die Hasswelle im Netz ist seine Kritik an der AfD. Nach der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober 2019, als die AfD auf 23,4 Prozent der Stimmen kam, schrieb Kazim auf Twitter, dass er nicht der Meinung sei, dass jeder, der diese Partei wählt, ein Nazi ist, aber jeder, der sie wählt, ebne den Nazis den Weg an die Macht. Kazim: "Die AfD möchte jeden Tag aufs Neue beweisen, dass sie rechtsextremes, menschenverachtendes, rassistisches Gesindel ist. Und jeder, JEDER, der sie wählt, weiß das. Es geht nicht darum, AfD-Wählerinnen und AfD-Wähler zu 'erreichen'. Es geht darum, sie auszugrenzen, zu ächten, sie kleinzuhalten, ihnen das Leben schwer zu machen, sie dafür, dass sie Neonazis und Rassisten den Weg zur Macht ebnen wollen, zur Verantwortung zu ziehen."

In seinem Kommentar auf zeit.de schildert Kazim, wie die AfD daraufhin seine Kritik instrumentalisierte und eine Welle des Hasses befeuerte. So empörte sich AfD-Chef Jörg Meuthen am 4. November 2019 über ihn in den sozialen Medien. Auf Facebook schrieb Meuthen: "Ein solches Ausmaß an Hass und Hetze ist selbst für die Verhältnisse in unserem unter Merkel leider verrückt gewordenen Land außergewöhnlich – und zugleich vollkommen unerträglich." Und Meuthen verbreitet ein Bild von sich auf allen Kanälen, versehenen mit folgendem Text: "SPIEGEL-Journalist Hasnain Kazim fordert: AfD-Wähler 'ausgrenzen und ächten!'"

Pegida-Gründer mit "öffentlicher Strafanzeige"

Neben Meuthen erklärte noch Lutz Bachmann, Gründer und Chef von Pegida, ebenfalls am 4. November in Dresden auf offener Bühne und unter dem Jubel der Pegida-Anhänger, er stelle "öffentliche Strafanzeige" gegen Kazim, den "sogenannten Journalisten", und zwar wegen "Verdachts auf Volksverhetzung". Das Video zirkuliert noch auf Googles Videoplattform Youtube.

Seitdem ist Kazim mit tausenden Hassnachrichten und hunderten Morddrohungen konfrontiert, erläutert er und zitiert daraus: "Stück Scheiße, das nicht ins Klo, sondern in die Welt geschissen wurde! Ich werde dafür sorgen, dass du artgerecht entsorgt wirst!" Oder: "Du bist eine hässliche Missgeburt, aber kein Deutscher!!!!!!!!! Man sollte dich nachträglich abtreiben!!!!!!!!!!!!!!!!" Oder: "Wir wissen, wo du dich verkriechst, du vaterlandsloser Geselle! Wir verfolgen dich, wir beobachten dich. Und morgen bist du tot!"

Auf Todeslisten

Drohungen erhalte er bereits seit Anfang der Neunzigerjahre, so Kazim, der gebürtiger Oldenburger und Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer ist: "Seitdem ich es mit meinem unverschämt fremden Namen wage, Artikel in deutschen Publikationen zu veröffentlichen." Und weiter: "Die Masse der Drohungen der vergangenen Monate hat mich aber umgehauen. Sicherheitskräfte haben mich außerdem darüber informiert, dass ich auf mehreren 'Todeslisten' oder 'Feindeslisten' stehe."

"Immun geworden gegen den Hass"

Anzeigen bei der Polizei hätten bis jetzt nichts gebracht, schreibt Kazim, der derzeit als freier Autor in Wien arbeitet. In seinem Text spannt er noch den Bogen zu Politikern, die auch Morddrohungen erhalten. Das sei schon fast zur Normalität geworden, was aber nicht sein dürfe, er wünscht sich: "Eine ernsthafte, umfassende Debatte darüber, was wir Hass und Hetze entgegensetzen, wie wir die Menschenverachtung eindämmen können, was wir also gesamtgesellschaftlich tun können und müssen, um eine weitere Radikalisierung zu verhindern, findet kaum statt. Nicht im Journalismus, nicht in der Politik, nirgendwo. Ich nehme eine Gleichgültigkeit der Massen wahr. Wir sind immun geworden gegen den Hass. Und das macht mir Angst." (omark, 24.1.2020)