Der Anfang mutet österreichisch an, dabei betrat man Neuland. An einem Abend im Herbst 1994 trafen sich in einem Lokal in der Wiener Innenstadt Gerlinde Hinterleitner, Klaus Weinmaier und Sascha F. Zeller – die drei arbeiteten damals im Textarchiv des STANDARD. Hinzu stieß der damalige "Falter"-Redakteur Thomas Seifert und erzählte von einem USA-Aufenthalt. Dort gingen gerade die ersten Medien online – das "Time"-Magazin war als eines der Ersten im Netz dabei.

In Europa verliefen die Gründungsjahre zäher. "Spiegel Online" ging am 25. Oktober 1994 ins Netz. Aber in Österreich war das Internet noch ein ausgesprochenes Nischenprodukt: 1,9 Prozent der Bevölkerung verfügten damals über einen Internetzugang, eine denkbar kleine Zielgruppe.

Die drei vom Textarchiv fanden dennoch Gefallen an der Idee, die Zeitung nicht nur im Archiv zu verstauen, sondern mit dem STANDARD auch digital im Internet präsent zu sein.

Man klopfte mit der Idee beim damaligen Verlagsleiter Michael Sedivy an, dieser genehmigte 10.000 Schilling (rund 727 Euro) für die Programmierung der ersten Website, die Thomas J. Volgger durchführte. Online ging man mit einem Computer und einem 14.4k-Modem.

Am 2. Februar 1995 schließlich ging derStandard.at als erste Nachrichtenseite einer deutschsprachigen Tageszeitung ins Netz. "Viel Spaß wünscht Ihr Standard-Internetteam", hieß es auf der Startseite. Präsentiert wurde die Website (damals noch www.derstandard.co.at/derstandard) bei der Computermesse "Global Village" im Wiener Rathaus.

Auch damals hatte die Seite den derStandard.at-typischen grauen Hintergrund und die blaue Verlinkung, eine kleine Auswahl von Artikeln aus der Zeitung wurde online gestellt.

Zum ersten Mal online: DER STANDARD am 2. Februar 1995
Foto: Christian Fischer

DER STANDARD erklärte damals den Weg zur Online-Schwester: "Das Einzige, das man zum Zeitunglesen im globalen Dorf benötigt, ist ein Computer mit vollem Internet-Anschluss sowie eine Software, die die Hyper-Links des World Wide Webs (WWW) beherrscht."

Technisch war das Ganze gerade in der Anfangszeit schwere Handarbeit. Die Artikel kamen mangels hausinterner Vernetzung per Diskette vom Layouter, die Steuerungszeichen mussten händisch entfernt werden.

Dass die Nachrichtenseite funktionieren könnte, war den Beteiligten bald klar: "Die markanteste Reaktion haben wir aus den USA bekommen – von Exilösterreichern, die endlich Nachrichten aus der Heimat in Echtzeit bekommen konnten. Diese Zuschriften der ersten User haben uns sicher gemacht, dass das funktionieren kann", sagt Gerlinde Hinterleitner, heute Verlagsleiterin von derStandard.at.

Was als abendliche Idee nach Dienstschluss begann, entwickelte sich zu einem ständigen Projekt mit ab September 1997 eigener Online-Redaktion. Seit 2013 sind Redaktionen, Technik und wirtschaftliche Bereiche vereint.

Ein Grund für den Erfolg ist jedoch nicht die frühe Gründung allein, auch wirtschaftlich ging man innovativ an den Aufbau. Mit Paid Content wurde schon im Gründungsjahr 1995 experimentiert, Wirtschaftsnachrichten wurden damals zunächst kostenpflichtig angeboten.

Als erste Nachrichtenseite Österreichs brachte man 1996 den Stellenmarkt online, 1998 folgte der Immobilienteil. Auch mit E-Commerce wurde immer wieder experimentiert.

Innovation und Werbung

Die Haupteinnahmequelle ist bis heute – neben den Rubrikenmärkten Immobilien, Karriere und Automobil – die Werbung. Die erste Einschaltung wurde im Juni 1996 von der Creditanstalt gebucht. Als eines der ersten Online-Medien hatte derStandard.at 1998 eine Mobilversion, im gleichen Jahr wurde die Posting-Funktion am Artikelende eingeführt.

Nachdem derStandard.at ein eigenes Unternehmen war, wurde es möglich, die wirtschaftliche und redaktionelle Schwerpunktsetzung ganz auf das Online-Produkt auszurichten. Auch das war eine Schlüsselentscheidung in den Anfangsjahren. "Sich jahrelang voll und ganz auf die Online-Inhalte einzulassen war einer der Gründe für den Erfolg", sagt Hinterleitner, lange Jahre Geschäftsführerin und Chefredakteurin von derStandard.at.

Nach zehn Jahren konnte 2005 das erste Jahr mit einem positiven Unternehmensergebnis abgeschlossen werden. Damit war bewiesen: Auch im Internet kann man als Medienunternehmen gutes Geld verdienen.

Digitales Wohnzimmer

"Ich schiebe Faymann auf B1!" – "Griechenland braucht ein neues Bild!" – "Ich schau in die Foren." – Es sind für Außenstehende rätselhafte Zurufe in der Redaktion, die das Aussehen und die Inhalte von derStandard.at bestimmen. Der erste Satz lässt einen Artikel auf die erste Position der mittleren Spalte wandern, für die Griechenland-Reportage wird ein neues Bild zugeschnitten, und der Blick in die Foren ist meist eine ausgiebige Betreuung von Postern und deren Einträgen.

Medien sind nicht nur verfasste oder gecodete Informationen – relevant und lebendig werden sie durch das, was sie darüber hinaus vermitteln: Lebensgefühl sagen manche dazu, Atmung andere. Seit dem Start von derStandard.at vor 20 Jahren ist die Webseite für viele das digitale Wohnzimmer geworden, ein Raum, der nicht nur Informationen bietet, sondern auch Austausch und Kontroverse.

Gründe für den Erfolg liegen nicht nur im frühen Start, dadurch allein bleibt eine Webseite noch nicht bestehen. Auf Altavista sucht heute auch niemand mehr, und der Hype um die virtuelle Welt Second Life ist auch abgeflacht. Auf derStandard.at erscheinen derzeit jeden Tag rund 250 Artikel, Ansichtssachen und Liveberichte. Ein Versuch, aus subjektiver Sicht Erklärungen zu finden.

Am Anfang bildete der Onlineauftritt die Printzeitung ab. Nach und nach folgten eigene Inhalte, Blogs und schließlich eine eigenständige Redaktion, die auch Themen anging, die sonst weniger Beachtung fanden.

Spezialisierung und Nachrichten

Journalismus im World Wide Web fördert diese Spezialisierung, animiert, neue Bereiche anzugehen. Internet- und Technologie-Themen werden ab 1998 im WebStandard dechiffriert, mit Etat.at gibt es seit 1999 einen Medienbranchendienst.

Das Ressort Leichtsinn (heute Lifestyle) behandelt seit 2001 Themen wie Essen, Mode oder Reisen. Gesundheit oder Karriere fanden früh einen eigenen Channel. Bildung und Familie haben ebenfalls ihren eigenen Platz auf der Webseite gefunden.

Es sind jene Themen, die dem Online-Auftritt neben den nachrichtengetriebenen Texten auch Magazincharakter geben.

Nicht nur thematisch, sondern auch strukturell wollte man neue Wege gehen: Seit dem Jahre 2000 gibt es dieStandard.at, eine feministische Plattform.

In den letzten Jahren wurde eine eigene Datenjournalismus-Abteilung ins Leben gerufen, professionelle Videos werden gedreht, seit September 2014 werden längere Artikel in einem aufwändigeren Feature-Layout produziert.

Was auf derStandard.at und im Web möglich wird, ist die Einbeziehung der User an seiner Entstehung, die Etablierung eines Rückkanals, eine direkte Intervention der Konsumenten in das Produkt. Dadurch wird auch die Arbeit der Journalisten infrage gestellt. Webseiten funktionieren erst durch diese Partizipation.

Daten sind heute nicht umsonst ebenso wichtige wie umstrittene Ressource im Digitalgeschäft – und das nicht erst seit dem NSA-Skandal. Wir kaufen unsere Produkte nach Empfehlung auf Amazon, buchen unseren Urlaub nach Tripadvisor-Ranking oder hören Musik nach Spotify-Listen. Auch Online-Journalismus kommt ohne direkten Kontakt mit seinen Lesern nicht mehr aus.

Rückkanal Forum

Auf derStandard.at ist dieser Rückkanal seit dem 13. April 1999 das Forum – mit einer Besonderheit: Einträge wurden seit Anbeginn unter jedem Artikel angezeigt statt in einem eigenen Bereich. Heute werden jeden Tag rund 20.000 Postings abgesetzt. Im ersten Posting-Jahr 1999 waren es von April bis Jahreswechsel rund 43.000 Einträge – insgesamt. Große Schritte der User-Beteiligung wurden 1998 gesetzt, damals ging der erste Liveticker im Sport online. Am vierten Geburtstag von derStandard.at im Wahljahr 1999 fand der erste Chat statt. Seitdem heißt es: "Sie können hier Ihre Frage posten!"

Seit 2013 kommentieren die User nicht nur, eine eigene Abteilung – User-Generated Content – kümmert sich neben der Forenmoderation um Gastbeiträge von Userinnen und User-Diskussionen.

Natürlich: Nicht alles, was gepostet wird, glänzt und trägt zu einer positiven Debatte bei. User schlagen über die Stränge und beleidigen, freuen sich über den Sieg der Lieblingsmannschaft oder glauben, in wenigen Zeilen den Nahostkonflikt anheizen zu müssen. Seit 2005 hilft der Foromat, eine Software, die Postings nach gewissen Kriterien ausfiltert, das Diskussionsklima zu heben. Unterstützung ist bei der regen Beteiligung auch notwendig. Als im Dezember 2014 ein neues, technisch und funktional überarbeitetes Forum ausgerollt wurde, mussten 40 Millionen Postings von einem Server auf einen anderen übertragen werden. An einem Abend.

Allein und gemeinsam

Doch so wichtig der Poster, der User, der Rot- und Grünstricherl-Champion für derStandard.at auch sein mögen – ohne Journalisten kein Medium. Lange werkten zwei Redaktionen großteils nebeneinander, die wirtschaftlichen Bereiche waren getrennt.

In beiden Redaktionen wurde eigenständig geplant, recherchiert und geschrieben, jede hatte ihr Publikations- und Experimentierfeld. Die kleinere Online-Redaktion wuchs, kämpfte um Aufmerksamkeit am Medienmarkt und versuchte, einen neuen Zugang zu wählen. Der Minister gibt uns als Online-Medium kein Interview? Dann finden wir jemand anderen. Was können wir beim U-Ausschuss machen? Tickern! Wo kann man das lesen, im Internet? – Genau da!

Damals wie heute werfen sich Redakteure Geheimbefehle über die Position von Geschichten zu, tickern relevante Ereignisse oder recherchieren an Geschichten. Sicher, wir werden älter, 25 gar. Mittlerweile – seit 2013 – werden Print- wie Onlinebeiträge zusammen von einer Redaktion in neuem Haus erstellt, ein Newsdesk sorgt dafür, dass die Seite aktuell bleibt. Doch die Aufgabe bleibt bestehen: Nachrichten in Echtzeit. Und wenn etwas passiert? Sind wir online!