Hunderte Aktivisten marschierten unter dem Motto "Wandern für Klimagerechtigkeit" zum Weltwirtschaftsforum nach Davos.
Foto: KRISTIAN BUUS

Minus elf Grad zeigt das Thermometer Montagfrüh auf dem Bahnhofsplatz im Schweizer Schiers. Die Polizistin und ihr Kollege, die den Tross anführen, haben die Diensthandschuhe längst aus dem Behördenrucksack geholt, aus zahlreichen Thermoskannen dampft der Tee.

Mehrere Hundert Menschen machen sich für die zweite Etappe der "Winterwanderung für Klimagerechtigkeit" bereit – Zielrichtung Davos, wo etwa 900 Höhenmeter bergaufwärts das Weltwirtschaftsforum (WEF) in seine fünfzigste Runde geht. Die fast 50 Kilometer Fußweg dazwischen wollen die Klimaaktivisten nutzen, "um dem WEF zu sagen, dass seine Zeit vorbei ist", wie es Payal Parek, die Mediensprecherin der Aktion, formuliert. Warum das so sein soll? Klimawissenschafterin Parek verweist auf die Zahlen des Carbon-Major-Reports: Demnach sind nur 100 Unternehmen für mehr als 70 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich – "viele davon sind WEF-Mitglieder". Das könne so nicht länger angehen.

Der Wandertrupp nimmt Fahrt auf, der Soundwagen kämpft gegen die Schlachtrufe der Demonstrierenden an, die Anrainer winken beim Abmarsch freundlich aus den Fenstern. "Auffi mit de Klimaziele, owi mitm CO2", schwappt die schweizerdeutsche Variante einer sonst oft bei den Fridays-for-Future-Demos skandierten Forderung von vorn, wo die besonders aktiven Aktivisten mit ihren Transparenten gehen, bis nach hinten. Es ist eine bunte Truppe, die sich hier zum Protestmarsch getroffen hat, und das liegt nicht nur an den Clowns, die mit dabei sind. Aus Italien, Spanien, Großbritannien und Österreich sind sie gekommen, großteils Studierende, aber auch viele fortgeschrittenen Alters, um denjenigen, die "rich as fuck" sind, die Idee von einer gerechteren und nachhaltigeren Welt vor die Nase zu halten. Mehrheitlich sind es aber Schweizer, viele davon in lokalen Ablegern von Extinction Rebellion bis Collective Climate Justice oder bei den Klimaseniorinnen organisiert, die ihre Wanderstiefel geschnürt haben. Der Marsch ist anstrengend, auch wenn er an diesem Tag auf gefestigten Straßen absolviert wird. Bis zum Abend werden es 24 Kilometer sein, die sich auf dem stetig steigenden Kurvenweg bis zum Etappenziel Klosters schlängeln.

Franziska geht mit ihrer neun Monate alten Tochter Marleen mit, zwei Hunde absolvieren die längste Gassirunde ihres Lebens.

Eine bunt gemischte Truppe machte sich auf, gegen die "rich as fuck" in Davos zu demonstrieren.
Foto: Kristian Buus

Von Bäumen und Investments

Keiner hier nimmt den Staats- und Regierungschefs, den Konzernbossen und Lobbyisten, die sich ihr gut geschütztes und damit ziemlich teures "Stakeholder"-Treffen oben in Davos zwischen 60.000 bis 600.000 Franken kosten lassen, ab, was diese laut eigenem Bekunden bereits verstanden haben wollen: dass es im Kampf gegen die Erdüberhitzung ein radikales Umsteuern braucht. Das Forum hat sich heuer also dem Bäumepflanzen verschrieben. Den Aktivisten geht es vor allem um ein Ende von Investments in fossile Energieträger. Dass WEF-Mitglied Siemens sich erst Mitte Jänner entschieden hat, an einem Großauftrag für ein australisches Kohlekraftwerk festzuhalten, wertet man hier als bezeichnend.

Zwischenstopp im Holzwerk. Eine Gruppe namens Kochkollektiv sorgt hier mittels aufgebauter Feldküche für die Verpflegung. "Rund 150 Kilo Trockenware sind allein für das Mittagessen über unsere Schnittbretter gegangen", berechnet eine der Köchinnen. Bereits am Vorabend hat man mit der Zubereitung begonnen, jetzt laben sich rund 600 Menschen an Chicoréesalat, Linseneintopf, Erdäpfeln und Gemüse. Die Mittagspause wird auch für das "Daily Plenum" genutzt – eine von vielen Besprechungsrunden der gut organisierten Aktivisten. Es geht darum, wer tags darauf die Straße blockieren will – und wer lieber auf dem Wanderweg weiterzieht. Eine Genehmigung gibt es für den letzten Streckenabschnitt nämlich nicht. Über die Rechtslage wurde die Wandergruppe bereits vorab aufgeklärt, auch die Packliste auf der Website hat selbst auf den "unwahrscheinlichen Fall" vorbereitet, dass die Polizei Tränengas oder Pfefferspray einsetzt.

Laura Rossi geht als Teil des Legal Teams mit. Mit ihren rosa Schutzwesten sind die linken Juristinnen gut erkennbar. "Den Behörden ist bekannt, dass wir dabei sind", sagt die Anwältin, "und wir gehen davon aus, dass bereits unsere Anwesenheit ihre Wirkung hat." Im Fall der Fälle gelte es zu beobachten, ob das polizeiliche Handeln verhältnismäßig sei, sagt Rossi – dokumentiert wird via Sprachnachricht auf dem Handy. Bisher ist allerdings nur der Zivilpolizist, der die Menge begleitet, verbal in Bedrängnis geraten. Und die streng bewaffneten Uniformierten am Wegesrand müssen sich die ein oder andere Clowneinlage gefallen lassen.

Ein bisschen Spaß muss bei aller Ernsthaftigkeit des Anliegens sein: Aufgabe der Clowntruppe war es auch, immer wieder auf Tuchfühlung mit der Polizei zu gehen.
Foto: Christian Willner

Widerstand der Seniorinnen

Rosemarie Wydler-Wälti hat bereits Polizeierfahrung. Schon im Vorjahr war die bald 70-Jährige in Davos, um gegen die Mächtigen und ihren sorglosen Umgang mit den Ressourcen dieser Welt zu demonstrieren. Nach zweimaliger Aufforderung, ihr Transparent wieder einzupacken, ist sie mit ihren Kolleginnen vom Verein Klimaseniorinnen aber abgezogen. "Das würde ich heute nicht mehr machen", sagt die mehrfache Oma, "Dann kämen wir in die Zeitung, da würde es heißen: ,Großis von der Polizei in Arrest genommen!‘" Im Nachtlager mit hunderten anderen muss Wydler-Wälti nicht schlafen. Sie hat in Klosters bei einer Mitstreiterin Unterschlupf gefunden.

Auf dem Weg dahin ernten die Wandervögel viel Zustimmung von filmenden Menschen mit erhobenem Daumen. Einem Wirt gefällt die Aktion allerdings gar nicht: Er brüllt die erschöpften Demonstranten an, laut Speiseplan auf der schwarzen Tafel vor dem Haus verkauft er aber auch Crème Brûlle.

Eine ist "für diejenigen da, die nicht demonstrieren können". Karin Scheidegger, freie Fotografin und DJane in Bern, findet also auch den Vorwurf nicht schlimm, dass die Klimabewegung vor allem aus weißen Menschen der Mittelschicht bestehe. Seit etwa einem Jahr engagiert sie sich bei Extinction Rebellion, weil sie an der Nachrichtenlage allein zu verzweifeln drohte. "Wenn du dir einmal all diese Fakten reinziehst, dann fällst du in so eine Ohnmacht – das ist too much." Durch ihren Aktivismus habe sie alte Freundschaften belebt, neue geschlossen und endlich wieder Hoffnung. Zur Not gibt es aber auch Unterstützung für Burn-out-gefährdete Aktivisten.

Natalie Alge ist mit ihrem Papa hier. Bei einer Weggabelung teilt sich die Gruppe in Blockierer und Wanderer, die Vorarlberger Familie ist bei Letzteren dabei. Sie wolle friedlich "aufmerksam machen", sagt die 18-Jährige. Den Mächtigen beim Weltwirtschaftsforum sagen, "dass sie richtig handeln sollen". Eine gute Stunde stauen sich die Limousinen ob der Störaktion den Berg hinauf, dann ist für die Blockierer Schluss. Ein beeindruckendes Aufgebot der Exekutive zwingt sie auf den Wanderweg zurück. Jetzt geht der Protest eben hier weiter – schön im Gänsemarsch hinter den beiden Polizisten, heute ausgerüstet mit Skistöcken und Schneeschuhen. (Karin Riss, 24.1.2020)