Herhören, Franzosen (...). Ihr seid hier nicht im Sanatorium, sondern in einem Konzentrationslager." Das ist das Erste, was David Rousset in Buchenwald zu hören bekommt. Das Lager liegt "wie ein Geschwür im Wald", "ein Skelett aus nackten Mauern"; auf dem Lehmboden Leichen neben getrockneten Exkrementen und die noch Lebenden: "Männer, deren Glauben zerstört, deren Würde vernichtet war".

Rousset, der sich in der Résistance betätigt hatte, war im Oktober 1943 von der Gestapo in Paris verhaftet worden, im Jänner 1944 wurde er nach Buchenwald, im März 1945 ins KZ Neuengamme verlegt. In einem der Außenlager wurde er Wochen später von den Amerikanern befreit.

Sofort nach der Rückkehr begann er, sich mit den Strukturen der Konzentrationslager auseinanderzusetzen, den Hierarchien, ihrer Bürokratie, der Methodik des Entrechtens und Entwürdigens. Noch in der Unmittelbarkeit der eigenen Erfahrung schrieb er im August 1945 L’Univers concentrationnaire, eine literarische Analyse, die 1946 als eine der ersten Darstellungen der Lagerwirklichkeit erschien.

Als Häftling hatte Rousset begriffen, dass es in diesem System nicht um das bloße Töten ging, sondern um ein Erziehen zum Nicht-mehr-Mensch-Sein. Ein Lernprozess, der die Häftlinge am ersten Tag erwartete, noch bevor sie in dieses Programm richtig eintraten: "Die Muskeln müssen gebrochen werden, müssen lernen, auf Befehle zu reagieren." Die Mörder waren "gewissenhafte Funktionäre", die jedem Häftling, "ohne Maß zu nehmen, seine KZ-Person zugeschnitten haben".

Auch wenn diese frühe Darstellung nur ein schmaler Band war, lässt sie einen an die Arbeiten H. G. Adlers zur Soziologie der Lager und besonders seine umfassende Studie Der verwaltete Mensch (1974) denken, aber auch an seine literarischen Werke, die die KZ-Erfahrung beschreiben, Eine Reise (1962) und Panorama (1968). Und es ist ebendiese literarische Kraft, die Adler mit dem kaum zwei Jahre jüngeren Rousset verbindet.

Aber auch an Primo Levi und besonders dessen letztes Buch Die Untergegangenen und die Geretteten, das im Original 1986, ein Jahr vor Levis Selbstmord, erschien, erinnert Roussets ebenso abstrakte wie literarisch ausdrucksstarke Prosa. Damit sind auch schon die Eckpfeiler einer Literatur genannt, in die sich nun auch – zumindest für deutsche Leser erst jetzt – David Rousset nachdrücklich einordnet. Für ihn war das Lager ein "Erfahrungsmaterial aus 16 Monaten", an dem er sich nicht abarbeiten musste, er wollte vielmehr das System der Entmenschung beschreiben. Später arbeitete er an den Weißbüchern über die stalinistischen Arbeitslager in der Sowjetunion, die Umerziehungslager in China und die Gefängnisse im Franco-Spanien mit.

David Rousset, "Das KZ-Universum". € 22,70 / 144 Seiten. Suhrkamp / Jüdischer Verlag, 2020
Foto: Suhrkamp-Verlag

Der "Typ Auschwitz"

Das "KZ-Universum" der Nazis war eines, das "auf mehreren Ebenen" existierte, wobei Buchenwald und Neuengamme zum Typus der "normalen" Lager gehörten, in denen Politische, Kriminelle, Asoziale als Arbeitskräfte ausgebeutet wurden, während in den "Terrorlagern für Arier" statt der Arbeit "Sport" auf dem Programm stand: zermürbende "Spielchen" der SS als andere Form physischer Vernichtung. Und schließlich der "Typ Auschwitz", der in erster Linie der Judenvernichtung vorbehalten war: Vernichtung im "industriellen Maßstab", und als Höhepunkt "Birkenau, die größte Stadt des Todes".

Die unterschiedlichen Kategorien können dabei sehr wohl über die Frage des Überlebens entscheiden, und dennoch vereinen alle Ebenen des "KZ-Universums" das, was Rousset den "Abgrund der Lager" nennt. Denn: "Zwischen diesen Vernichtungslagern und den ‚normalen‘ Lagern gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied, lediglich einen graduellen." Auch unter den Häftlingen gab es Kategorien, und Rousset scheut sich nicht, den Opferstatus zu hinterfragen, etwa wenn die Kriminellen, die "Grünen", mit Brutalität und Lust am Töten auf andere Kameraden losgingen. Oder Jugendliche, die alte Häftlinge wegen ihrer Schwäche verhöhnten und schlugen, weil Konventionen und Werte wie Respekt in diesem "Universum" zertrümmert wurden und "Macht (...) das Einzige" ist, "was zählt.

Sie basiert auf physischer Kraft oder Hinterlist." Aber auch nationale Unterschiede werden ausgemacht, und man würde dem Autor derartige Kategorisierungen ankreiden, hätte er das "Universum" nicht selbst von innen erlebt. Etwa wenn es über polnische Häftlinge heißt, sie blieben "unterwürfig und pflegten einen unbekümmerten, großzügigen Antisemitismus am Rande des Pogroms: erstaunlich unkultivierte, dumpf nationalistische Leute", so Roussets Urteil, der damit noch eine weitere Ebene in die Wirklichkeit des Lagers einzieht.

Keinesfalls soziologische Kategorien sind es, wenn das "KZ-Universum" als "dantesk" oder "kafkaesk" beschrieben wird, voll von "Shakespear’schen Figuren". Mag dieses Universum ebenso theatralisch wie eine unverrückbare Realität gewesen sein, am Ende zählten keine Unterschiede mehr, denn: "Im KZ löste der Mensch sich Stück für Stück auf", der Tod hat sie alle "auf jede erdenkliche Weise entkleidet". (Gerhard Zeillinger, ALBUM, 27.1.2020)