Von Osten blinzelt die aufgehende Sonne zwischen den Baumkronen hervor. Im seichten Weinviertler Tal liegt Groß-Schweinbarth noch im morgendlichen Nebel, und oben, beim Aussichtspunkt auf dem Weinberg, liegen zwei Getränkebecher von McDonald’s. Mehr hat Sandra Groiß nicht gebraucht. "Das. Gibt. Es. Nicht", schimpft sie, schnappt sich die Becher und stopft sie in den kleinen Mistkübel, der ein paar Meter weiter steht. Schon lange bemühe sie sich um einen größeren, erzählt sie – denn dieser gehe regelmäßig über. Im Sommer liegen Pizzakartons daneben, weil die Öffnung zu klein dafür ist. Doch die schwarze Bürgermeisterin schenkt Groiß kein Gehör. Ab Montag wird es für die Groß-Schweinbarther Sozialdemokratin nicht leichter. Denn sie ist in ihrer Gemeinde die letzte ihrer Art.

Sandra Groiß wird die einzige rote Gemeinderätin in Groß-Schweinbarth sein. Als alle anderen bereits frustriert das Handtuch geworfen hatten, blieb sie. Aus Pflichtbewusstsein.
Foto: Christian Fischer

Wenn Groß-Schweinbarth am Sonntag gemeinsam mit 566 anderen Städten und Gemeinden in Niederösterreich seine kommunale Vertretung wählt, dann steht neben der Volkspartei nur die SPÖ auf dem Stimmzettel. Und auf der roten Liste steht Sandra Groiß als einzige Kandidatin zur Wahl – obwohl die Sozialdemokraten aktuell neun von 19 Gemeinderäten stellen.

Wahlwiederholung droht

Diese radikale Schrumpfung hat möglicherweise drastische Folgen: Legt die ÖVP nicht ausreichend zu und erreicht mindestens zwölf Mandate, wäre mehr als ein Drittel des Gemeinderats nicht besetzt – dann ist das Gremium nicht beschlussfähig, und die Wahl muss wiederholt werden. Die personelle Sparflamme der SPÖ liefert der Volkspartei das beste Wahlkampfargument: Stimmt gleich für uns, sonst müssen wir noch einmal wählen.

Dabei war die 1300-Einwohner-Gemeinde in der Nähe von Gänserndorf einmal eine waschechte rote Erfolgsgeschichte: ein tiefschwarzer Ort in Niederösterreich – viel Weinbau, ein Adeg, eine Trafik, kein Wirtshaus mehr. Und eine stark organisierte, engagierte SPÖ-Ortsgruppe, die die Gemeinde politisch umdrehte. Zehn Jahre lang regierte ein roter Bürgermeister die Gemeinde, die zuvor seit 1945 nur schwarze Ortschefs kannte. Heute ist das unvorstellbar, in ganz Niederösterreich. Was ist da passiert?

Dominoeffekt

So ganz kann Groiß es sich auch nicht erklären. Die 35-Jährige spricht von Frust, vom Ausbrennen. Gegen die Volkspartei sei es schwer im Ort, man bringe nichts durch. Bei manchen Genossen kommen private Gründe dazu, einer habe sich so sehr mit der Bürgermeisterin zerkracht, dass er gemeinsame Gemeinderatssitzung nicht mehr ertrage. Einer nach dem anderen sei dann weggebrochen. Die letzten hätten ihre Kandidatur davon abhängig gemacht, ob genügend andere auch antreten. Am Schluss wollte niemand mehr. Der Dominoeffekt.

Nur Groiß blieb übrig. Aus Verantwortungsgefühl. Sie wollte ja anfangs eigentlich gar nicht in den Gemeinderat einziehen, "außer vielleicht mit 45, 50, wenn meine Kinder groß sind". Jetzt kann sie nicht anders.

Der Labortechnikerin ist klar, dass sie allein wenig ändern kann. Sie sei auch keine Führungsfigur, sie wolle die Partei nicht übernehmen, sagt sie. Dafür fehlten ihr Zeit und Talent. Hausbesuche zum Beispiel: So etwas macht Groiß nicht. "Ich mag das ja selbst nicht, wenn plötzlich jemand vor der Tür steht." Jetzt geht es um den Erhalt der Spezies. "Es muss wieder jemand antreten, der Zeit hat und das auch kann", sagt sie, "aber das bin nicht ich." In den nächsten fünf Jahren könne die Partei dann wieder wachsen, daran glaubt sie, das wünscht sie sich.

In der 1300-Einwohner-Gemeinde gibt es viel Weinbau, einen Adeg, eine Trafik und kein Wirtshaus mehr. Es ist tiefschwarzes Kernland – und dennoch erkämpfte die SPÖ 2005 den Bürgermeistersessel.
Foto: Christian Fischer

Der rote Controller

Helmut Brandtner auch. Selbst wenn er immer wieder betont, wie weit weg das alles schon für ihn sei, dass er mit der Politik abgeschlossen habe: Den Schmerz über den Zustand der SPÖ Groß-Schweinbarth sieht man ihm an. Er ist der Mann, der die Volkspartei 2005 nach jahrelanger Aufbauarbeit vom Bürgermeistersessel stieß.

Das war das Ergebnis von viel Arbeit und ein bisschen Glück. Brandtner leitete damals die Ministrantengruppe in der örtlichen Pfarre, war bekannt und beliebt. Er hatte seine Frau und eine Menge weiterer Mitstreiter an seiner Seite, machte die SPÖ in Groß-Schweinbarth mit seiner verbindlichen und hemdsärmeligen Art stark. Als die Gemeinde kurz vor der Wahl 2005 vor dem finanziellen Ruin stand, war seine Zeit gekommen: Wen soll man in so einer Situation zum Bürgermeister wählen, wenn nicht einen Finanzcontroller wie ihn? Genau das taten die Groß-Schweinbarther.

Die roten Jahre

Fortan sanierte Brandtner das Budget, erzählt er: Er drückte Kreditzinsen und stellte alle Papierhandtuchboxen der Gemeinde auf Einzelspender um. 1200 Euro sparte das pro Jahr – nicht viel, aber immerhin. Es blieb noch Geld übrig für einen sozial orientierten Heizkostenzuschuss und eine Arbeitsplatzförderung für lokale Unternehmen. "Das waren unsere zehn Jahre – und auf die bin ich stolz", sagt Brandtner.

Und dann kam 2015. Brandtner trat aus privaten Gründen als Bürgermeister zurück, seine Nachfolgerin hatte zu wenig Zeit, sich zu etablieren. Die Volkspartei gewann die Wahl mit knapp über 50 Prozent – im Gemeinderat stand es fortan zehn zu neun. Immer noch kein schlechtes Ergebnis für eine Weinviertler SPÖ-Ortsgruppe. Doch für die Groß-Schweinbarther Genossen war es ein Trauma. Eines, von dem sie sich bis heute nicht erholt haben.

Im freien Fall

"Wir sind in ein tiefes Loch gefallen", sagt Peter Berthold, einer jener roten Gemeinderäte, die jetzt aufhören. Mit der Volkspartei zusammenzuarbeiten sei unmöglich gewesen: "Ich bin frustriert." Viele andere auch, glaubt er. Irgendwann sei die Luft dann eben draußen. Das Problem hat die SPÖ wohl nicht nur in Groß-Schweinbarth: In mehreren niederösterreichischen Gemeinden treten weniger rote Kandidaten an als aktuell im Gemeinderat sitzen.

Die Volkspartei im Ort hat stets beteuert, mit den Sozialdemokraten ein gutes Einvernehmen finden zu wollen. Sandra Groiß spricht sie ihre Wertschätzung aus – man werde sie gut in die Arbeit in der Gemeinde einbinden, verspricht Hannes Hautzinger, Chef der Ortspartei.

Groiß scheint das eher skeptisch zu sehen. Sie stellt sich auf intensive fünf Jahre ein. Vier Mandate wünscht sie sich als Wahlergebnis für die SPÖ, auch wenn sie nur eines davon besetzen kann. Die Prüfungsagenden würden sich für die einzige Vertreterin der Opposition anbieten, meint sie – auch wenn sie sich da erst einarbeiten müsse.

In diesen fünf Jahren, hofft Groiß, finde sich dann ja wohl jemand, der die Partei übernehmen und neu aufbauen will. "Ich halte nur das Bankerl warm." (Sebastian Fellner, 26.01.2020)