Ein monumentaler Schriftzug, der zu einer Fehlannahme verleitet: "1938" ist in knallroten Ziffern auf dem imposanten Zwölf-Bogen-Plakat zu lesen, darunter der Schriftzug "Ankerbrot". Verherrlichte die berühmte Wiener Großbäckerei damit einst den "Anschluss"? Nein, denn tatsächlich entstand dieses Plakat bereits Ende 1937 zum bevorstehenden Jahreswechsel.

Der Entwurf stammte von Julius Klinger, einem Virtuosen auf dem Gebiet der Plakatkunst. Neben Joseph Binder gehörte er zu den bedeutendsten österreichischen Grafikdesignern der Zwischenkriegszeit. Es ist dies das letzte bekannte Sujet Klingers, der, seiner jüdischen Herkunft wegen, später gemeinsam mit seiner Ehefrau deportiert und umgebracht werden sollte.

Keine Verherrlichung des "Anschlusses", sondern ein Plakat zum bevorstehenden Jahreswechsel: Der letzte bekannte Entwurf des bedeutenden Grafikdesigners Julius Klinger, der 1942 deportiert und ermordet wurde.
Foto: Wienbibliothek

Sein einstiger Auftraggeber war als strategisch wichtiges Versorgungsunternehmen schneller unter NS-Verwaltung gestellt gewesen als andere: "Die Ankerbrotfabrik A.-G. hat ab 15. März 1938 eine rein arische Leitung und beschäftigt 1600 arische Mitarbeiter", informierte man wenige Tage nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten über Annoncen in zahlreichen Tageszeitungen.

Prompte Arisierung

Der Übernahme der Fabrik folgte der formale, in diesem Fall aufgrund mehrerer Aktionäre langwierige Arisierungsprozess, mit dem sich derzeit deutsche Historiker beschäftigen. Ihr Auftraggeber ist Roland Berger, Deutschlands bekanntester Unternehmensberater. Anlass gaben Recherchen der deutschen Tageszeitung Handelsblatt, die Berger einer öffentlich zelebrierten Beschönigung der Vita seines Vaters überführten, die teils in krassem Gegensatz zu den historischen Fakten standen.

Über Jahre hatte er ihn sukzessive zum Nazi-Opfer stilisiert. Von 2003 an notierten die Medien bereitwillig die gereichten Happen aus dem Leben Georg Bergers, den sein Sohn Roland stets als moralisches Vorbild zu bezeichnen pflegt. Vom Widerstand gegen die NS-Diktatur war die Rede, von einem Austritt aus der NSDAP aus religiösen Gründen noch vor dem Krieg, ebenso von einem Aufenthalt im KZ Dachau.

Diese genannten Punkte stimmen nachweislich nicht, wie die im Oktober 2019 im Handelsblatt veröffentlichten Recherchen belegten.

Eine historische Aufnahme des Fabrikgeländes in Wien-Favoriten. Bis zur Jahrtausendwende wurde in der Absberggasse noch Brot gebacken, dann wurde der Standort weitestgehend aufgelassen. Seit 2009 haben sich dort in den nicht mehr von Anker genutzten Bereichen Ateliers, Galerien und diverse Institutionen aus der Kunstszene angesiedelt.
Foto: Ankerbrot Holding

In Wahrheit war Georg Berger nicht nur ein hoher Funktionär in der Hitlerjugend, sondern auch ein Profiteur des NS-Regimes. Ein Fall bewusster Geschichtsklitterung oder doch nur ein dilettantischer Versuch privater Vergangenheitsbewältigung? "Oft sind Dinge und Lebensgeschichten ja nicht nur schwarz oder weiß, sondern grau", erklärte der damit konfrontierte und weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannte Unternehmens- und Politikberater. Ein "ungewollt tragischer Selbstbetrug", gestand er ein.

Tragischer Selbstbetrug

Roland Berger sei "nun einmal Laie auf dem Gebiet", erläuterte Michael Wolffsohn, "ein Laie, der seinen Papa verehrt hat". Die teils falschen Angaben bezeichnet er als "Sprachholper" eines "Nichthistorikers". Wie weit Bergers Verklärung ging, wird derzeit von zwei Historikern unter der Leitung Wolffsohns erforscht. Dem Vernehmen nach soll das Gutachten im Februar vorliegen. Und es soll jedenfalls frei zugänglich veröffentlicht werden, darauf haben die Historiker im Vorfeld bestanden.

Zu den durchforsteten Aktenbeständen gehören auch solche in Schweizer und vor allem österreichischen Archiven, die detaillierten Aufschluss über die Arisierung der Ankerbrotfabrik geben. Denn Anfang 1941 übernahm Georg Berger deren Generaldirektion. Am 18. Jänner des Jahres verlautbarte das Amtsgericht Wien die Bestellung zum Vorstandsmitglied. Die Umstände seiner Berufung liegen bis heute im Dunkeln.

"Essen Sie Brot mit dem Anker": eine Werbung mit dem geschützten Markenzeichen des Ankers und dem integrierten Monogramm der Firmengründer, der Brüder Heinrich und Fritz (Friedrich) Mendl. Nach dem "Anschluss" wurde das Monogramm auf ABF (Ankerbrotfabrik) geändert.
Foto: Ankerbrot Holding

Auf der Website des Unternehmens sucht man Informationen zu diesem Kapitel der Firmengeschichte überhaupt vergeblich. Nach einem Absatz zum Jahr 1920, der 2000 Mitarbeiter und 100 Filialen vermerkt, folgt unter 1945 nur ein kurzer Abriss: "Die Mitglieder der jüdischen Gründerfamilie Mendl haben Österreich verlassen", neben der Arisierung werden durch Luftangriffe bedingte Unterbrechungen der Produktion und Bombenschäden erwähnt, weiters ein Notprogramm zur Versorgung der Wiener Bevölkerung nach Ende des Krieges und die Rückkehr der einstigen Eigentümerfamilie.

Etwas detaillierter hat sich Christian Rapp, seit 2018 wissenschaftlicher Leiter des Hauses der Geschichte Niederösterreich, mit der Firmengeschichte beschäftigt: im Auftrag des Unternehmens anlässlich des 120-jährigen Gründungsjubiläums 2011. Im selben Jahr erschien die Publikation im Brandstätter-Verlag. Sie gibt einen guten Überblick und führt im Kapitel zur NS-Zeit auch die grundlegenden Fakten an.

Firmengeschichte mit Lücken

Ergänzend geben zeitgenössische Zeitungsberichte Aufschluss, etwa auch über die symbolische Relevanz, die das NS-Regime der von den Brüdern Heinrich und Friedrich Mendl 1891 in Favoriten gegründeten Fabrik beimaß.

Konkret schon zum Zeitpunkt des Wahlkampfauftaktes zur Volksabstimmung, mit deren Vorbereitung Gauleiter Josef Bürckel beauftragt worden war. Denn die erste Massenkundgebung am 24. März 1938 war ursprünglich in der Wagenhalle der Ankerbrotfabrik geplant, wurde dann jedoch "aus verkehrstechnischen Gründen in die Mitte der Stadt" verlegt, wie der Völkische Beobachter berichtete: In das mit Hakenkreuzbanner und Leitspruch ("Ein Volk, ein Reich, ein Führer") festlich geschmückte Konzerthaus, wo bis vor kurzem noch "brillantbehangene Juden und würdelose Snobs, die in geheucheltem Verzücken der ohrenquälerischen Musik rassefremder Neutöner frenetischen Beifall zollten" und nun, unter "minutenlangem Beifall und begeisterten ‚Sieg Heil‘-Rufen", Bürckel in den Saal einzog.

Bereits wenige Tage nach dem "Anschluss" im März 1938 wurde die Fabrik unter NS-Verwaltung gestellt und dazu in den Tageszeitungen inseriert. Das Kürzel NSBO stand für die "Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation" – "die Zusammenfassung der politischen Soldaten des Führers in den Werkstätten und Betrieben des Volkes".
Foto: „Das kleine Blatt“

Noch bevor alle "nichtarischen" Genossen des Anker-Verwaltungsrates "ausgeschieden" wurden, waren die meisten Mitglieder der jüdischen Eigentümerfamilie ins Ausland geflohen, teils über die Schweiz nach Schweden, Neuseeland, Australien und in die USA. Die in der Wallmodengasse im 19. Bezirk gelegene Villa der Mendls, zu der ein etwa 40.000 Quadratmeter großes Grundstück mit zahlreichen Nebengebäuden gehörte, wurde prompt in Beschlag genommen.

Eine "Judenvilla" für Berger

Der Verwalter der Familie trug das Hauptgebäude der Gemeinde Wien an, die das Erdgeschoß und teilweise Räumlichkeiten im Obergeschoß "zum Zwecke der Weitervermietung an Herrn Staatskommissär Dr. Otto Wächter" übernahm. Der Wiener war ein frühes, in den Juli-Putsch 1934 involviertes NSDAP-Mitglied. Fortan lebte er dort mit seiner Familie für 230 Reichsmark Miete pro Monat.

Auch als die Stationen der weiteren Karriere die Wächters zuerst nach Krakau und 1942 nach Lemberg führten, behielt die Familie des NS-Gouverneurs den idyllischen Wohnsitz in Wien. Zeitweise vermieteten sie die Räumlichkeiten weiter. In dieser Zeit verschwanden nahezu sämtliches Mobiliar, Teppiche, Luxusgegenstände und Kunstwerke aus dem Besitz der Mendls, wie erst 2016 bekannt wurde.

Damals erschien im Amalthea-Verlag die deutsche Fassung von Villa Mendl: Leben und Schicksal der Anker-Erbin Bettina Mendl, verehelichte McDuff. Autorin war deren Tochter Phyllis McDuff, die über die Nachkriegsjahre und den Kampf um das Familienerbe bilanzierte.

Der Name Georg Berger scheint dort nicht auf. Vielleicht auch deshalb, weil seine Regentschaft als Generaldirektor der Ankerbrotfabrik nur einige Monate währte. In der Lesart seines Sohnes sei das "ein klassischer Saniererjob" gewesen, er sollte das Werk "entschulden, die Verluste minimieren und die Eigentumsverhältnisse ordnen". Eigentumsverhältnisse? Das Unternehmen war längst arisiert. Für ihn und seine Familie fand sich ebenfalls ein repräsentables Heim. Das Anwesen lag in der Sternwartestraße 75 im Cottageviertel. Die Villa hatte einem jüdischen Ehepaar gehört und war von den Behörden beschlagnahmt worden. Während zuerst Heinrich und später auch seine Ehefrau Laura im britischen Exil verstarben, lernte ein Dreikäsehoch auf dem zugefrorenen Teich in deren ehemaligem Garten das Schlittschuhlaufen.

Die Nachfahren der jüdischen Firmengründer Heinrich und Fritz (Friedrich) Mendl flohen zeitgerecht ins Ausland. In die Villa in der Wallmodengasse (19. Bezirk) mit großzügiger Gartenanlage zog bereits im Juni 1938 der NS-Staatskommissär Otto Wächter ein. Die historische Aufnahme zeigt Fritz Mendls Ehefrau (und Nichte) Emilie mit zwei ihrer fünf Kinder.
Foto: Archiv Phyllis McDuff

Dies gehört zu einer der Erinnerungen, die Roland Berger Journalisten erzählte. Zu den weniger idyllischen Sequenzen gehörten jene, die er als Schikanen gegen seinen von der Gestapo verfolgten Vater empfand. Etwa die mehrmaligen Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahme von Lebensmitteln. Und diese Vorfälle gab es tatsächlich und aus gutem Grund.

Gestapo zu Besuch

Den zugehörigen Volksgerichtsakt aus dem Jahr 1943 fanden die Handelsblatt-Kollegen im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Nach mehreren Anzeigen war es schon im Frühjahr 1942 zu Ermittlungen gekommen. So hatte sich ein Verkaufsleiter von Ankerbrot, der zum Kriegsdienst eingezogen worden war, über den Generaldirektor beschwert, der in seiner "Judenvilla" in Saus und Braus lebte.

Eine Rolle spielten dabei auch die aufwendigen Umbauten des Hauses, die stattliche 80.000 RM verschlangen. Vater Berger bezahlte nur ein Zehntel, den Rest sein Dienstgeber: Allein für 22 der damit betrauten Mitarbeiter waren einem Protokoll zufolge 3724 Arbeitsstunden angefallen.

Bettina Mendl, verehelichte McDuff, ließ sich in Australien nieder und besuchte Wien nach dem Krieg nur sporadisch. Ende der 1960er Jahre verkaufte die Familie das Unternehmen. Die Lebenserinnerungen der "Anker-Erbin" publizierte ihre Tochter 2016 im Amalthea Verlag.
Foto: Amalthea-Verlag

Theoretisch hätte ein solches Projekt mitten im Krieg der Genehmigung mehrerer Behörden bedurft. Praktisch hatte Georg Berger dies umgangen, indem er die Umbauten als "geringfügig" deklariert hatte. Die NS-Beamten vermuteten eine bewusste Täuschung und damit ein Kriegswirtschaftsverbrechen. Am Ende des eingeleiteten Verfahrens sah die NSDAP ihr Ansehen durch sein Verhalten als geschädigt und musste Vater Berger den Vorstand der Ankerbrot AG im Juli 1942 verlassen.

Im Zuge der Ermittlungen hatte sich zusätzlich der Verdacht des Hortens von Lebensmitteln erhärtet, wovon Beschlagnahmen zeugten. Allein im Juni 1942 fand die Gestapo 18 in einem Weinregal gelagerte mit Butterschmalz gefüllte Flaschen, weiters 300 Flaschen Sekt und Wein, 30 Kilogramm Zucker und deren 50 an Bienenhonig.

Klingers tragisches Schicksal

Just in diesem Zeitraum hatte der 66-jährige Julius Klinger, der mit seiner Ehefrau Emilie längst in eine der Sammelwohnungen gepfercht worden war, von der bevorstehenden "Umsiedlung" erfahren.

Das Ehepaar wurde am 2. Juni 1942 zusammen mit 997 anderen Personen in die Nähe von Minsk deportiert. Die schrecklichen Details wurden erst 2015 mit der Veröffentlichung des Totenbuches von Maly Trostinec bekannt, wie in einem Beitrag des Historikers und Mitarbeiters der Österreichischen Nationalbibliothek Christian Maryška nachzulesen ist. Demnach habe dieser Transport "bereits am Freitag, 5. Juni den Bahnhof Minsk erreicht", "entladen" wurde er jedoch erst fünf Tage später.

Bis zum nachfolgenden Dienstag waren die Wagons versperrt geblieben, die Insassen hatten weder Essen noch Trinken bekommen. Direkt nach ihrer "Entladung" und Ankunft im Lager wurden sie am 9. Juni ermordet. So ist es schwarz auf weiß belegt, kein Grau, das eine Interpretation zuließe. (Olga Kronsteiner, ALBUM, 26.1.2020)