Eine der wichtigsten Aufgaben der empirischen Ökonomik ist die Analyse von wirtschaftlichen Zusammenhängen und das Ableiten von möglichst relevanten (wirtschaftspolitischen) Schlussfolgerungen. Die wichtigsten Grundvoraussetzungen für Analysen dieser Art sind die Qualität und die Verfügbarkeit von geeigneten Daten, um eine passende Analyse überhaupt durchführen zu können. Doch genau hier steht man in den Sozialwissenschaften häufig vor einem grundlegenden Problem: Nicht selten stehen die Daten, mit denen bestimmte Fragestellungen erforscht werden können, schlicht und ergreifend nicht (oder nur sehr eingeschränkt) zur Verfügung.

Die Welt von oben

Eine solche mangelhafte Datengrundlage kann prinzipiell viele Gründe haben. Ein klassisches Beispiel sind etwa Länder, in denen Daten überhaupt nicht oder nur unzureichend erhoben werden. Ein bekannter Fall ist Somalia, wo nach wie vor Bürgerkrieg und ein Zustand höchster politischer und gesellschaftlicher Instabilität herrscht. Dementsprechend hat die Erhebung von nationalen Statistiken hier momentan verständlicherweise einen relativ geringen Stellenwert.

Ebenso wenig ist über das knapp 9.000 Kilometer entfernte Nordkorea bekannt. Dessen Staatschef Kim Jong-un betreibt zwar offiziell ein statistisches Amt, über dessen Tätigkeiten, Aufbau oder Struktur der Rest der Welt allerdings nicht sonderlich gut informiert ist. Dieses Central Bureau of Statistics hat überdies seit den späten 1960ern nur magere zwei Berichte veröffentlicht. In anderen Ländern kann es vorkommen, dass Daten zwar vom Staat erhoben, aber der Wissenschaft und der Öffentlichkeit aufgrund politischer Widerstände schlicht überhaupt nicht oder nur in unzureichendem Ausmaß zur Verfügung gestellt werden, wie es beispielsweise in Österreich der Fall ist.

Trotz dieser Problematiken hegt die Gesellschaft dennoch den Wunsch nach Innovation, nach neuen Erkenntnissen und nach den positiven Veränderungen, die der wissenschaftliche Fortschritt bewirken kann. In Kombination mit einer oft mangelhaften Datengrundlage führt dieser Drang nach Erkenntnis in weiterer Folge häufig zu kreativen Lösungsansätzen, wenn es um die Erhebung notwendiger Daten geht. Einer dieser Ansätze lautet, etwas Abstand zu nehmen und die Welt von oben zu betrachten. Bereits in den 1930er-Jahren starteten unter dieser Prämisse erstmals mit Fotografen besetzte Flugzeuge, um Aufnahmen von Feldern anzufertigen und Informationen über die landwirtschaftliche Tätigkeit in den USA zu sammeln. Ein knappes Jahrzehnt später stellten sie dieses Datenmaterial bezüglich des Zustands des US-amerikanischen Ackerlands für Analysezwecke zur Verfügung.

Fehlende Daten

Diese Idee lebt heute weiter, wenngleich wir im 21. Jahrhundert auf moderne, digitale Methoden zurückgreifen können. Die Rolle der Fotografen und der Flugzeuge übernehmen heute häufig spezialisierte Satelliten, die unseren Planeten rund um die Uhr umkreisen und die Aufnahmen ihrer hochauflösenden elektronischen Augen zurück an die Erde senden. Dass heutzutage dementsprechend nicht mehr jahrelang Felder abgeflogen, sondern Petabytes an Rohdaten in Bruchteilen dieser Zeit via Cloud-Computing und Machine-Learning analysiert werden, ist im Endeffekt ein Detail am Rande. Was nach wie vor zählt, sind die Resultate, die drei grundsätzliche Kriterien erfüllen müssen: möglichst hohe Datenverfügbarkeit, möglichst breite Datenvergleichbarkeit und eine möglichst hohe geografische Auflösung.

Alle drei erwähnten Kriterien sind in bestehenden Datensätzen oft nicht erfüllt, was die Analyse gewisser Fragestellungen massiv erschweren kann. Ein klassisches Beispiel ist die weltweite Erhebung von Einkommensdaten. Ist man auf diesem Gebiet auf herkömmliche Messverfahren angewiesen, stößt man auf diverse Probleme: Daten bezüglich Einkommen stehen für weite Gebiete der Erde – wie beispielsweise Nordkorea – nicht zur Verfügung. Noch dazu sind die verfügbaren Daten aufgrund unterschiedlicher Erhebungsmethoden manchmal schwer zu vergleichen. Stößt man dennoch auf verfügbare und auch vergleichbare Daten, existieren diese in den allermeisten Fällen nur auf nationaler Ebene. Möchte eine Forschungsgruppe also analysieren, wie sich Einkommen und Lebensstandards in den ärmsten Regionen der Welt entwickeln, oder will sie untersuchen, was diese Entwicklung positiv beeinflussen könnte, steht in der Ausgangsposition häufig kein adäquates Datenmaterial zur Verfügung. In solchen Fällen können Satellitendaten Abhilfe schaffen.

Lichtemissionen zeigen wirtschaftlich starke Regionen

Satelliten können allerdings selbstverständlich nicht direkt beobachten, wie viel Einkommen der Bevölkerung in gewissen Regionen der Erde zur Verfügung steht. Die hochauflösenden Kameras betrachten etwas sehr viel Einfacheres: Licht. Inwiefern Licht bei der Messung von Einkommen hilft, mag auf den ersten Blick nicht völlig einleuchtend sein, der Gedanke dahinter ist allerdings relativ simpel: Menschen benötigen Licht zum Leben und zum Arbeiten. Soll eine Fabrik auch in den Abendstunden einsatzbereit sein, muss sie mit elektrischem Licht ausgestattet sein. Kombiniert man diese Argumente, führen sie zu einer einfachen Schlussfolgerung: In Gebieten, die relativ viel wirtschaftliche Aktivität verzeichnen, ist tendenziell auch viel (elektrisches) Licht vorhanden. Dementsprechend stark ist der Zusammenhang zwischen den Einkommen, die aus dieser wirtschaftlichen Aktivität generiert werden, und der Stärke der Lichter, die in der Nacht von Satelliten dokumentiert werden.

Mithilfe einfacher statistischer Hilfsmittel lassen sich so aus der Stärke des Lichts, das innerhalb eines Landes in der Nacht emittiert wird, Schätzungen des Einkommens in diesem Land erstellen. Diese Daten zur Stärke der Nachtlichter sind überdies weltweit verfügbar, auch auf regionaler Ebene analysierbar und recht einfach vergleichbar. So lässt sich etwa die wirtschaftliche Entwicklung Nordkoreas historisch rekonstruieren und analysieren, ohne auf Daten aus dem nationalen Statistikamt in Pjöngjang angewiesen zu sein.

Vergleich der Lichtemissionen im wirtschaftlich hochentwickelten Südkorea und in Nordkorea 2014.
Foto: Image courtesy of the Earth Science and Remote Sensing Unit, NASA Johnson Space Center; https://eol.jsc.nasa.gov/

Die Veränderung der Welt

Allerdings sind Forschende nicht nur bei der Messung von Einkommen mit Problemen konfrontiert. Im Bereich der Umweltökonomik kommt es häufig vor, dass Luftverschmutzung gemessen werden soll, was üblicherweise über ein Netzwerk von Messstationen erfolgt. Diese Messstationen sind allerdings bei weitem nicht in allen Regionen der Erde verfügbar. Sie möchten trotzdem Luftverschmutzung in Ländern messen, die überhaupt keine Messstationen betreiben? Dann können Sie den Umweg über Satelliten wählen. Smog ist nämlich auch aus dem Weltraum sicht- und damit messbar.

Satelliten sind also äußerst hilfreiche wissenschaftliche Assistenzkräfte, ohne die eine große Bandbreite an Forschungsprojekten überhaupt nicht möglich wäre. Sie würden gern die Abholzung von Regenwäldern erforschen; die betreffenden Staaten kooperieren allerdings nicht oder die administrativen Statistiken sind nicht glaubhaft? Die Entwicklung des Regenwaldes in den letzten Jahrzehnten ist aus der Vogelperspektive sehr gut ersichtlich und frei verfügbar. Sie würden gern die Funktionsweise des globalen Ölmarkts analysieren? Von oben betrachtet können Sie erkennen, wie viel Öl gerade in den bedeutendsten Öl-Tanks zur Verfügung steht und wie aktiv Raffinerien momentan produzieren. Mit diesen Daten steht Forschenden eine gute Grundlage zur Verfügung, um das Zusammenspiel von Preis und Angebot am Markt für Erdöl besser zu verstehen.

Von Parkplätzen auf Marktnachfrage schließen

Damit sind die Einsatzgebiete von Satellitendaten allerdings bei weitem nicht erschöpft. Wenn Forschungsgruppen an urbaner Entwicklung interessiert sind und analysieren möchten, inwieweit sich die Neueröffnung einer U-Bahn-Linie auf den Verkehr in einer Stadt auswirkt, müssten sie dazu – je nach Verfügbarkeit von automatisierten Messanlagen – eine äußerst aufwendige, kostspielige und langwierige Zählung von Fahrzeugen organisieren. Diese Zählung müsste überdies idealerweise vor und nach der Eröffnung der U-Bahn-Linie in einem vergleichbaren Rahmen stattfinden. Eine weitaus angenehmere, alternative Lösung ist es, historisches Fotomaterial von hochauflösenden Satellitenkameras heranzuziehen und mittels Machine-Learning die abgebildeten Autos zu zählen. Mit einer ähnlichen Technologie zählen übrigens Bankerinnen und Banker an der Wall Street Autos auf Satellitenbildern. Dort werden die granularen Aufnahmen von Parkplätzen vor Geschäften und Einkaufszentren dazu verwendet, eine Schätzung von aktueller Marktnachfrage und zukünftigen Umsatzzahlen zu generieren.

Satellitenbilder von Straßenzügen in Kairo, in denen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz Autos markiert und gezählt werden.
Foto: weltbank (CC)

Auch Benjamin Marx von der Sciences Po in Paris setzt in seiner Forschung hochauflösendes Satellitenmaterial ein, um die Welt besser verstehen zu lernen. Er ist mit seinem Team führend in der Analyse von urbaner Armut und der Entwicklung von Slums. In einer Arbeit über die sozialen Strukturen in Kibera, einem der größten afrikanischen Slums bei Nairobi, misst er die Qualität von Behausungen im Elendsviertel mittels Satellitendaten. Ältere, marode und rostige Wellblechhütten reflektieren nämlich signifikant weniger Sonnenlicht als Hütten, die gerade neu gebaut oder mit neuen Dächern ausgestattet wurden. Diesen Umstand kann man sich via Messung des reflektierten Sonnenlichts zunutze machen – wenn man nur zuerst darauf kommt. Die Grenzen der Anwendungsmöglichkeiten von Satellitenbildern scheinen also zunächst nur durch den Ideenreichtum der jeweiligen Forschungsgruppe definiert zu sein.

Satellitendaten immer relevanter

Allerdings sind natürlich auch Satellitendaten nicht frei von Schwachstellen, und eine Bandbreite von Kritikpunkten ist rasch ausgemacht und durchaus angebracht. So kann ein Mensch zwar auf einem Satellitenbild recht schnell erkennen, ob es sich bei dem beobachteten Objekt um einen Fluss, eine Straße oder eine Siedlung handelt. Einer Maschine den Unterschied zwischen einem Auto und einer Mülltonne auf einem Niveau beizubringen, auf das man sich verlassen kann, bleibt allerdings eine schwierige und problematische Aufgabe.

In der angewandten Statistik kann überdies die gewaltige Größe der entstandenen Datensätze zum Problem werden. Die Landfläche der Erde lässt sich beispielsweise in hunderte Milliarden von 30-mal-30-Meter-Zellen einteilen. Für globale Analysen in dieser Größenordnung ist herkömmliche Statistiksoftware schlicht nicht geeignet. Schlussendlich erlaubt das erhobene Datenmaterial je nach Anwendungsfall oft nur eine Annäherung an die tatsächlichen Gegebenheiten, die mal besser und mal schlechter ausfallen kann. So lässt sich beispielsweise regionales Einkommen in ländlichen Gebieten via Lichtmessung weitaus besser abbilden als im urbanen Raum, der in der Nacht oft überall stark ausgeleuchtet ist.

Nichtsdestoweniger wird die Relevanz von Satellitendaten langfristig tendenziell eher steigen als sinken. Wissenschaftliche Auswertungen, die auf Satellitendaten basieren, stecken momentan noch in den Kinderschuhen und haben aller Voraussicht nach eine blühende Zukunft vor sich. Zu wertvoll ist das Datenmaterial und zu wertvoll sind die Schlussfolgerungen, die sich daraus ableiten lassen, um diesen Strang der Wissenschaft nicht weiterzuverfolgen. Seien es Beiträge bezüglich der urbanen Entwicklung, Beiträge in der Armutsforschung oder im akut relevanten Gebiet der Klimaforschung – die externe Beobachtung aus dem Weltraum hält extrem wertvolle Einsichten in die Dynamiken unseres Planeten bereit, die kaum eine anderen Datenquelle in dieser Quantität und Qualität bereitstellen kann. (Gregor Zens, 28.1.2020)

Gregor Zens arbeitet am Institut für Makroökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit angewandter bayesianischer Ökonometrie sowie makroökonomischen Fragestellungen.
Foto: eigene