Den Rain-Modus einzuschalten blieb mir zum Glück erspart. Um diese Schmach über sich ergehen lassen zu können, braucht man einen Zehnerblock Therapiestunden im Brusttaschl, eine verlorene Wette, oder man ist BMW-Techniker. Einer, der grad seine neuesten Babys an ein paar Halbstarke ausgibt, während es draußen genüsslich gießt. Draußen, das ist in Südspanien, Almería. Hier regnet es im ganzen Jänner, im Schnitt drei Tage. Und wir haben sie erlebt. Alle drei. Das Glück muss man erst einmal haben. Doch zurück zur BMW F900 R im schon voreingestellten Regenmodus.

Der nasse Reifen hinten glänzt nicht nur schön, er schleudert auch Spritzwasser auf das kurze Heck. Was im echten Leben aber egal ist, weil man ja eh nur im Trockenen fährt, und wenn doch nicht, man vorn doch weit nasser ist als hinten.
Foto: BMW-Motorrad

Auf der Straße steht das Wasser und der fette 17 Zoll große 180er-Hinterreifen glänzt, pitschnass, stärker als die Eisfläche auf dem Rathausplatz. Die Reifen sind auf den beiden F900ern, der R und der RX gleich. Vorn ein 120/70 ZR 17, hinten ein 180/55 ZR 17. Und das, obwohl die beiden Bikes auf den ersten Blick und den ersten Ritt komplett unterschiedlich sind. Dabei sind Rahmen und Motor komplett gleich – unterschiedlich ist die gesamte Optik, die Federwege sind bei der XR logischerweise länger, und damit ist die Sitzposition höher. Bei der XR geht die von 775 bis 870 Millimeter, Standard sind 825 Millimeter. Bei der R sind es 770 bis 865 Millimeter, wobei dort die 815 Millimeter Standard sind. Trotzdem galt der erste Ritt der R.

Die R ist eine schöne Naked, die trotz 105 PS kinderleicht zu fahren ist. Zur Not schaltet man in den Regenmodus. Dann ist alles gleich viel weniger schlimm.
Foto: BMW

Nackt im Regen

Trotzdem deshalb, weil bei dem Regen die enduroartige Auslegung der XR sicher angenehmer zu fahren ist und unsereins eh kein Problem mit hohen Sitzbankerln hat, sondern eher umgekehrt. Aber die R ist halt eine Naked. Motorrad pur. Obwohl, na ja, das ist jetzt wohl auch schon ein Zeiterl her, das mit dem "Pur".

Denn abgesehen von den unterschiedlichen Fahrmodi, die in die Traktionskontrolle, die Gasannahme und die Dämpfung eingreifen, einem ABS, das sogar die Kurve erkennt und entsprechend regelt, thront über dem Platz, wo früher ein Zündschlüssel steckte und heute nur noch ein Schalter ist, ein riesiges Farbdisplay. Das hat nicht nur pro Riding-Mode unterschiedliche Grafiken, sondern lässt sich auch mit dem Smartphone koppeln. Dann kann man über einen Bluetooth-Helm nicht nur telefonieren und Musik hören, sondern auch mit der passenden BMW-App Touren planen, hinterher abrufen, Fahrdaten wie Schräglagen, Bremsarbeit und die Beschleunigung analysieren. A Wunderwerkl. Dagegen sind die Heizgriffe schon fast retro. Aber gut, man muss den digitalen Schmafu eh nicht nutzen, legt man Wert auf Motorrad pur. Nicht einmal ein Telefon muss man mehr mitnehmen, wenn man den SOS-Notruf mitgeordert hat. Is endlich einmal eine Ruh.

Über dieses Display schaut man auf die Straße. Für die Jungen ist das Pflicht, den meisten Alten ist es wurscht.
Foto: BMW

Neue Mittelklasse

Da tut man sich auch nichts Schlechtes mehr, wenn man zur Mittelklasse greift. Vorbei sind die Zeiten, wo unter diesem Namen luftgekühlte 500er firmierten, die kaum mehr PS hatten als zwei, drei Isettas. Jetzt reden wir von 105 PS aus zwei Zylindern, die von zwei obenliegenden Nockenwellen motiviert werden. Vor dreißig Jahren beschränkten sich die Motorradhersteller noch selbst auf 100 PS, weil diese Eisen schon als gefährlich und fast unfahrbar galten.

Jetzt tingelt man mit 105 PS und Traktionskontrollenrettungsschirm auch bei Regen gemütlich seine Runde, beweist die F900 R. Rutscher, die erstickte Schreie im Helm nach sich ziehen, bleiben aus. Das Motorrad ist herrlich einfach zu fahren und selbst in schwierigen Situationen ganz leicht zu beherrschen, wenn man nur nicht den Fehler macht, am Lenker zu hängen. Das Fahren ohne Klammern gelingt auf der R noch einfacher als auf der XR, weil die einen schon in die richtige Sitzposition bittet. Man sitzt fast aufrecht, aber doch ein wenig nach vorne gelehnt. Kommod, aber trotzdem nicht passiv. So gesehen war es gar kein Wunder, dass die R nach einer geschmeidigen Ausfahrt ohne Sturzspuren wieder zurückfand. Nur eingesaut haben wir uns gegenseitig.

Der Endtopf ist BMW sehr gelungen. Zudem klingt er gut, ohne laut zu sein.
Foto: BMW

Der neue Endtopf, der so herrlich kurz designt wurde, dass die Nachrüsthersteller schon einmal die Erfolgsprognosen für 2020 runterrevidieren, hat hässliche Spuren von eingetrocknetem Straßendreck. Der geht aber mit ein wenig Wasser und einem Fetzen wieder runter. Der Endtopf klingt übrigens wirklich gut, ohne dabei auch nur im Ansatz laut zu sein. Geht ja, wenn man will. Was BMW aber nicht wollte, ist hinten ein fettes Heck auf die R bauen, weshalb sich das Spritzwasser vom Hinterreifen, mit ein wenig Geschick, bis zum Gnack vorkämpfen kann. Aber wenn man von vorne eh schon waschelnass ist, sind ein paar Spritzer am Buckl auch schon wurscht. Vor allem wird auch dieses Motorrad ja wohl vorwiegend bei Schönwetter bewegt werden. Und dann ist ein fesches Design wichtiger, als dass man bei Regen ein wenig nass wird.

Der SUV unter den Motorrädern

Mit dem Windschild und den Handprotektoren ist man auf der XR selbstverständlich besser vor dem Wetter geschützt. Wer sich aber ein GS-Fahrgefühl erwartet, ist bei ihr am falschen Dampfer. Die kleinen Räder und die langen Federn – 170 Millimeter an der Front, während die R mit 135 Millimeter auskommt – machen aus der XR sowas wie den SUV unter den Zweirädern. Hoch, dennoch sportlich und nicht geländegängiger als ein normales Motorrad. Für die Ausfahrt über mehr oder weniger schlechte Bergstraßen passt das ganz gut, vor allem, wenn man nicht dauernd Erster beim Wirt sein, sondern die Fahrt genießen will.

Die XR ist für sportlich angelegte Touren ideal, auch wenn man die zu zweit unternimmt.
Foto: BMW

Die XR geht ebenfalls herrlich einfach in die Kurven, alles arbeitet präzise – ja, es wirkt alles gemütlicher als auf der R, auch wenn man damit vermutlich nicht langsamer unterwegs ist. Sie beschleunigt sogar auf dem Papier um eine Zehntelsekunde schneller auf 100 km/h.

Plant man längere Touren, gar noch mit Koffern, ist man mit der XR sowieso besser bedient. Fahrtwindjunkies werden aber mit der R mehr Freude haben. "Die zwei Stunden, die ich für meine Hausrunde brauche, will ich auskosten und den Wind spüren", sagte ein Kollege. Ohne den Schaltassistenten Pro würde er die R aber auch nicht ordern.

Neben dem Notaus versteckt sich, sicher unter einer Kappe, damit man nicht versehentlich draufdrückt, ein SOS-Knopf. Der ist allerdings nicht serienmäßig verbaut.
Foto: BMW

Schaltunterstützung

An den Schaltassistenten muss man sich ein paar Sekunden gewöhnen, wenn man sonst mit Vorspannen des Hebels schaltet – andernfalls eh nicht. Und selbst dann will man das Werkzeug bald nicht mehr missen, das einem so viel der Kupplungsarbeit abnimmt. Man drückt den Schalthebel einfach mit dem Fuß rauf oder runter, den Rest erledigt das Motorrad. Und zwar blitzschnell und so sauber, dass man selber nicht besser arbeiten könnte. Vor allem im Kurvengeschlängel ist das ein Segen. Und hierfür hat BMW in der Mittelklasse jetzt noch eine Neuerung.

Die Scheinwerfer auf den beiden BMWs sind nun Voll-LED-Einheiten. Hier jenes, der XR.
Foto: BMW

Kurvenlicht und Voll-LED-Scheinwerfer. Das nimmt der Nacht schon viel vom Schrecken, weil man endlich wirklich sieht, wo man hinfährt. Außerdem schaut es gut aus. Wie bei den Autos auch, gibt es im Frontscheinwerfer eine Lichtsignatur, die man bei Tag gut sieht. Das Kurvenlicht funktioniert in den Scheinwerfern der beiden Modelle leicht unterschiedlich. Während das Licht aus dem großen Leuchtkörper der XR auch von jener Seite kommt, in der die Kurve erhellt wird, muss in der R ein Segment auf der gegenüberliegenden Seite leuchten, was durch die kleine Bauform des Scheinwerfers bedingt ist.

Durch das Kurvenlicht wird ein weiterer Sektor auf der Kurveninnenseite beleuchtet.
Foto: BMW

Den Kollegen hint anstehen war übrigens auch bei Regen keine Option. Darum musste der Regenmodus bald dem Dynamic-Modus weichen. Da wird die Federung härter, das ABS spricht anders an und die BMWs hängen direkter am Gas. Was man dazu braucht, ist die Option "Riding Modes Pro". Der Einstiegspreis von 12.750 Euro für die XR, und 9.990 Euro für die R, ist also wirklich nur etwas für Puristen. Dann geht einem auch der frei programmierbare Modus Dynamic Pro ab. Obwohl, die Umprogrammiererei ist wohl wieder eher was für Smartphone-Verbinder.

Unter dem Display der Ein-Aus-Schalter des optionalen Keyless-go.
Foto: BMW

Wenn es ums Geld geht, die pure Fuhre, ist man mit der R sicher besser beraten. Kommt es auf ein paar Tausender nicht an, wohl aber auf Heizgriffe und digitale Spielereien bis hin zur Möglichkeit, während der Fahrt telefonieren zu können, ist die XR eine Überlegung wert. Sehr gut ausgestattet, mit Kurvenlicht, "keyless go", in Rot und mit allen Dynamikregelungen, kommt die dann auf über 16.000 Euro. (Guido Gluschitsch, 29.1.2020)