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Was wirklich wichtig ist, ist sehr einfach, nämlich ein Minimum an Manieren. Gemeint sind nicht Etikette und Protokoll. Sondern ein zivilisierter Umgang mit Menschen.

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Mit dem Begriff "Führungsstil" wird gern hantiert, ohne eigentlich genau zu wissen, was damit gemeint ist. Das behauptet kein Geringerer als einer der renommiertesten Managementexperten Europas, Professor Fredmund Malik. In der überarbeiteten und erweiterten Neuausgabe seines zu den 100 besten Wirtschaftsbüchern zählenden Klassikers Führen, Leisten, Leben – Wirksames Management für eine neue Welt wird er noch deutlicher: "Ich behaupte, dass 90 Prozent dessen, was man sinnvoll und praktisch unter ‚Führungsstil‘ verstehen kann, etwas ganz anderes ist, als in Büchern und Seminaren gefordert und vermittelt wird." Nicht ein angelernter und polierter "Stil" ist für Malik wichtig. "Was wirklich wichtig ist, ist etwas viel Einfacheres, nämlich ein Minimum an Manieren."

Gemeint ist jener Anstand, der das Zusammenleben an sich und das Zusammenarbeiten erheblich erleichtert. Da man heute aber nicht mehr davon ausgehen kann, dass alle diesen Grad an gutem Benehmen mitbringen, müsse man jenen, die keine gute Kinderstube haben, diese Manieren eben beibringen. "Man braucht dazu keine Seminare, man muss die guten Manieren einfach verlangen. Man darf rüpelhaftes Verhalten nicht dulden." Malik begleitet das Geschehen im Management seit 40 Jahren und kommt dabei zu der Erkenntnis, dass das die Zusammenarbeit von "oben" und "unten" allem voran am meisten stört und schlicht nicht zur Kenntnis genommen wird.

Im Interesse der Sache und der Menschen muss der Blick darauf gerichtet werden. Manieren, stellt Malik klar, "sind nicht der Treibstoff, sind nicht die Energie einer Organisation. Aber sie sind der ‚Schmierstoff‘, der das Zusammenleben und Zusammenarbeiten überhaupt erst ermöglicht." Maliks Vorwurf: Der in den Führungsseminaren angelernte und polierte Stil reduziert Führung auf einen schlicht instrumentellen, schematisch ablaufenden persönlichkeits- und seelenlosen Vorgang. Das macht Führung staubtrocken und bringt Sand ins Getriebe. Bedient sich Führung hingegen jenes Ausmaßes an Anstand, das das Zusammenleben an sich und das Zusammenarbeiten im Besonderen erheblich erleichtert, wird der Umgang miteinander wirkungsvoller, kreativer, innovativer und frustbefreiter.

Ein Zeichen von Achtung

Anlässlich einer Vorstellung von Knigges zeitlosem Werk Über den Umgang mit Menschen hat die ebenso scharfsinnige wie scharfzüngige Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff einmal den famosen Begriff "Heikelraum der Nähe" ins Spiel gebracht. Das trifft den Nerv der Sache. Zwischenmenschliche Begegnungen sind immer in Gefahr, heikel zu werden. Ignorieren Führungskräfte diese potenzielle Gefahr, bekommt die Zusammenarbeit von vornherein eine negative Grundierung. Und aus der heraus, das verdeutlicht Lewitscharoffs Bemerkung, wird die Beziehung von Chef und Mitarbeitern automatisch heikel. Manieren beugen dem am wirkungsvollsten vor. Sie drücken ein Grundmaß an Achtung anderen gegenüber aus. Was für alle Beteiligten gilt.

Fehlt Achtung in der Zusammenarbeit, wird das registriert und vermisst und quittiert. Die diesbezügliche Sensibilität von Menschen auf die leichte Schulter zu nehmen, davor sollten sich Führungskräfte hüten. Verprellte unter Leistungsgesichtspunkten wiederzubeleben, erfordert erheblich mehr Mühe, als sich am Riemen zu reißen. Das einzusehen und praktisch zu befolgen, macht den Weg zu- und miteinander im "Heikelraum der Nähe" belastbarer und fruchtbarer. Und vertrauensvoller. Mangelt es im Umgang von oben mit unten an grundsätzlichem Vertrauen, stellt sich ein grundsätzliches Misstrauen ein. Das beeinflusst jede Begegnung mit dem und vorauseilend jeden Gedanken an den Chef.

Auch das dürfte Malik in der Praxis erfahren haben und ihn zu seinem Denkanstoß veranlasst haben. Unmissverständlich deshalb seine Mahnung: "Werden diese Zusammenhänge von den Führenden ausgeblendet, führt das direkt zu zerstörerischem Misstrauen und damit zu etwas vom Katastrophalsten, was in einer Organisation entstehen kann. In einer von Misstrauen geprägten Organisation können weder menschliche Zusammenarbeit noch gute Leistungen entstehen. Misstrauen ist eine der gefährlichsten ‚Krebserkrankungen‘ einer Organisation."

Kein steifes Protokoll

Manieren will Malik nicht mit Etikette und Protokoll verwechselt wissen. Beides sei im Management auch von Bedeutung. "Wenn jemand in eine Spitzenposition kommen will, so tut er gut daran, sich rechtzeitig die Grundlagen anzueignen. Doch die Manieren, die ich hier meine, betreffen nicht die Fragen von Protokoll und Etikette, sondern den Grundbestand eines zivilisierten – ich sage noch nicht einmal kultivierten – Umgangs mit Menschen." Und zivilisiert möchte er so verstanden wissen: "Man lässt seine Launen nicht an seiner Umgebung aus. Man fällt niemandem ins Wort, sondern lässt ihn zu Ende sprechen. Man nörgelt nicht an den Schwächen der Menschen. Man macht andere nicht lächerlich, nicht ‚fertig‘ und so weiter."

Und so weiter … Zivilisierte Chefs und Vorgesetzte grüßen auch, betreten sie morgens ihre Wirkungsstätte oder gehen sie durch den Betrieb. Auch ein Handschlag oder einmal ein privates Wort wirkt vertrauensfördernd. Auch Reinigungskräfte fühlen sich als Mensch erkannt, werden sie am Abend auf dem Weg zum Ausgang mit einem Gruß bedacht.

Ein anderer hochrenommierter Managementforscher und -lehrer, der Innsbrucker Professor Hans H. Hinterhuber, riet Führungskräften dazu, das Wort "Demut" im Umgang mit anderen nicht gänzlich zu vergessen.

Deshalb Maliks Worte in der Führungskräfte Ohr: "Auch die bestkonstruierten Motoren brauchen Schmieröl für einen runden Lauf. Unsere Organisationen sind bei weitem nicht so gut ‚konstruiert‘ wie Motoren. Und daher brauchen sie sogar etwas mehr ‚Schmierstoff‘ als diese."