Seit zwei Jahrzehnten wird in der Stadtplanung der Begriff Smart City verwendet. Nahezu jede mittelgroße bis größere Stadt behauptet von sich, smart zu sein. Smart Citys waren, als sie erfunden wurden, Novitäten. Digitale Technologien sollten Städte sauberer, ökologischer, ökonomischer und nachhaltiger machen, sollten den ins Stocken geratenen Verkehr verflüssigen, Verwaltungsprozesse vereinfachen und Stadtbewohnende in Entscheidungsprozesse integrieren.

Das mit dem Verkehrsfluss ist heute vielleicht nicht mehr so gefragt (Verkehr soll nicht fließen, sondern verschwinden), allem Anderen ist auch heute noch zuzustimmen. Allerdings wird der Begriff Smart City heute nahezu inflationär verwendet. Smart Citys haben auch nicht immer mit mehr Demokratie zu tun. So baut etwa auch Saudi-Arabien im Golf von Akaba an einer Smart City. Die Beschreibungen der Smartness sind noch vage. Frauen werden sich dort frei bewegen können (das ist allerdings smart) und alle Dienstleistungen sollen von Robotern verrichtet werden, was vielleicht nicht so smart ist. 2025 soll der erste Abschnitt fertiggestellt sein. Erste Visualisierungen zeigen futuristisch anmutende Glastürme. Das ist bei Temperaturen bis 50 Grad sicher nicht smart.  

Wenn Apps die Marktplätze ersetzen

Gewandt, gewitzt, geschäftstüchtig. Ronald Pohl hat den inflationär verwendeten Begriff der Smartness im STANDARD sehr treffend beschrieben, vor allem in Bezug auf die Dinge. Mit je mehr Technologie-getriebenem Zeug wir uns umgeben, desto smarter sind wir. Dazu kann man ergänzen: Die smarteste Stadt ist jene, die die meisten Digitalisierungsprozesse ihr Eigen nennt. Im smarten Bozen wurde unlängst eine App entwickelt, die herkömmliche Märkte (gebaute Plätze, wo Waren erworben oder getauscht werden können) ersetzen soll. Man gibt ein, wo man sich gerade befindet und was man kaufen will, und die App findet das nächste Geschäft, zum Beispiel für typischen Bozener Speck. Ist das smart? Es kommt vielleicht dem Geschäft zugute, führt aber dazu, dass noch mehr Menschen auf ihre Apps schauen und nicht auf Räume oder auf andere Menschen. Eine App wird nie einen Marktplatz ersetzen. Der Naschmarkt in Wien wird immer kommerzialisierter, doch zumindest findet noch Handel, Feilschen und Diskussion statt. Sich über einen schlechten Markt zu ärgern ist immer noch besser als gar keinen Markt zu haben.

Eine Stadt wie smarte Männer

Smart ist kein neutraler Begriff, auch das schreibt Pohl folgerichtig und zitiert dabei Franzobel und Lisa Eckhart. Smart bedeutet "gewandt, gewitzt, geschäftstüchtig und von modischer und auffallend erlesener Eleganz". Es bedeutet vor allem jung, westlich, männlich. Selten wird eine Frau als smart bezeichnet. Der Begriff ist männlich und an Nordamerika und Europa orientiert. Zu der Kritik an der Konnotation kommt die berechtigte Kritik der Überwachung in der Smart City. All die Glück, Reichtum und Ökologie bringenden Vernetzungen funktionieren nur, wenn wir alle ständig unsere Daten in das Netz der Smart City einspeisen. Sensoren messen unsere Bewegung durch die Stadt und liefern dafür Komfort, der von der energiesparenden Beleuchtung bis zum beheizten Gehsteig reicht. Nicht umsonst sind in fast allen großen Smart-City- Projekten Technologiekonzerne involviert. Google City lässt grüßen.

Je smarter die Stadt, desto schlechter die Architektur

Viel schlimmer in meinen Augen ist jedoch, dass eine smarte Stadt nicht zwingend eine bessere Architektur mit sich bringt. Ich stelle die These auf: Je smarter die Stadt, desto schlechter ihre Architektur. Es ist auch nachvollziehbar. Man kann nicht alles haben, Vernetzung kostet und je mehr ich in Technologien investiere, desto einfacher muss das Gebäude werden. Ich spreche hier nicht von High-Tech-Bürotürmen, sondern von dem, was unsere Stadt ausmacht und das Leben in ihr bestimmt, also ganz normale Wohnhäuser. Smarte Architektur wird entweder sehr teuer (High-Tech), oder sehr einfach (dicke, klobige Kuben, dick eingepackt). Meine These lautet auch: Je vernetzter wir sind, desto mehr reale Räume brauchen wir, in denen wir uns treffen und austauschen können. Städte, die wir lieben, sind auch selten smart und vernetzt, aber weisen dafür eine gute Dichte an gebautem Raum und an unterschiedlichsten Programmen und Funktionen auf. Keine Smart City also ohne das architektonische Gegenprogramm: dichte, oft eng aneinander stehende Häuser, schmale Gassen, breite Korridore, in denen man sich trifft, Sichtkontakte und erzwungene Nachbarschaften. Wer nur mehr im Netz kommuniziert, wird bald ein soziales Defizit haben. Um dieses auszugleichen, benötigt es gebauten Raum, Konstruktionen, die vorerst leer sind und gefüllt werden, Raumabfolgen, engen, weiten, hohen, hellen, dunklen Raum.

My Smart City versus Vielfalt

Auch Graz hat eine Smart City. Der Stadtteil My Smart City Graz entsteht gerade auf einem ehemaligen Industrieareal westlich des Bahnhofs. Ziel ist, so die Beschreibung, die "nachhaltige Energieversorgung und Ressourcenschonung auf allen Ebenen". Neben einer Schule und einiger Infrastruktur geht es vor allem um Wohnen. Nun hat Graz eine lange Tradition ungewöhnlicher Wohnbauarchitektur, die sich nie groß einem Mainstream oder Stil anpasste. Von der Terrassenhaussiedlung über die frühe Grazer Schule bis zur ausgezeichneten Wienerbergsiedlung der Architekten Ralph Erskine und Hubert Rieß aus dem Jahr 1981 plädierte man immer für räumliche und typologische Vielfalt, ungewöhnliche Materialien und viel Raum für Gemeinschaft. Ich kann nur empfehlen, die Wienerbergsiedlung wieder einmal zu besuchen. Kein Haus gleicht dem anderen, farbliche Vielfalt bildet erstaunliche Harmonien und der freie, also öffentliche Raum ist fein strukturiert. 

Was ist hier smart? Die Stiegenhäuser? Die Farben?
Foto: Sabine Pollak
Nicht alle in Graz sind überzeugt vom Smart-City-Konzept.
Foto: Sabine Pollak

Container am Balkon

Und was wird heute gebaut? Der erste Teil von My Smart City Graz ist fertig gestellt. Leider könnte er überall stehen. Homogenisierte Bauteile, gleich breit und gleich hoch gruppieren sich zu einer Art Blockrandbebauung, dazwischen breite Straßen und leblose Höfe. Vor allem der Maßstab erschrickt. Im zweiten, nun folgenden Teil wird es vielleicht besser, da hat das Architekturbüro Pentaplan ein gutes Konzept gefalteter Scheiben realisiert, mit einem erhöhten Platz, einer vertikalen Schichtung von Programmen und einer lustigen Fassade mit Containern als Stauraum. 

Eine Fassade aus Containern? Warum nicht!
Foto: Sabine Pollak
Ein robustes Gerüst zum Ausbauen, Stauraum, Beton und Farben.
Foto: Sabine Pollak

Pentaplan hat schon die nicht weit entfernten "Eggenberge" gebaut. Die abgeschrägte, mäandrierende Bebauung gleicht einem Berg und vermittelt zwischen niedrigen Vorstadthäusern und Verdichtung. Technologien, Daten und Vernetzung sind hilfreich im urbanen Leben, aber sie sind nicht alles. Stadt braucht gebauten Raum und mit Gebäuden gut eingefassten Freiraum. Was Graz braucht? Komplexere Widmungs- und Bebauungspläne, die Abstufungen und verschiedene Höhen sowie eine vertikale Schichtung von Nutzungen erzwingen. Und bitte kein Smart mehr in den Quartiersbezeichnungen. Graz hat Besseres, Individuelleres und Widerständigeres verdient! (Sabine Pollak, 30.1.2020)

Ein Haus wie Berge, erfrischend und vermittelnd.
Foto: sabine pollak
Gute Maßstäblichkeit, große Balkone, Abwechslung.
Foto: Sabine Pollak

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