In seinem Gastkommentar plädiert der Sozialdemokrat und Publizist Nils Heisterhagen für einen linken Realismus. Lesen Sie weitere Gastkommentare zur SPÖ-Oppositionspolitik von Pamela Rendi-Wagner, eine Replik darauf vom Politologen Anton Pelinka sowie einen zur Burgenland-Wahl von Peter Plaikner.

Die absolute Mehrheit. Während in Europa die Sozialdemokratie darbt und zum Teil einen bemitleidenswerten Eindruck hinterlässt, holt Hans Peter Doskozil in seinem Burgenland nun die absolute Mehrheit. Ein historischer Sieg. Bruno Kreisky dürfte im Himmel gerade leise vor Freude weinen. Seine Sozialdemokraten sind noch nicht tot. Sie leben.

"Falsche" Freunde

Doskozil hat nicht nur als Person gezogen, wie eine Wahlanalyse zeigte. 37 Prozent der Befragten sagten, der Spitzenkandidat Doskozil sei ihr Hauptmotiv für die Wahl der SPÖ gewesen. Weitere zehn Prozent gaben dazu nämlich etwa auch an, dass sich die Partei um die Anliegen der Menschen kümmert. SPÖ-Kümmerer und SPÖ-Kümmererpartei gehen im Burgenland eine Symbiose ein. Johannes Rau würde da feuchte Augen bekommen. So authentisch Kümmererpartei ist die SPÖ im Burgenland.

Der SPÖ-Intellektuelle Robert Misik schrieb zuletzt ein Buch mit dem Titel "Die falschen Freunde der einfachen Leute". Darin versucht er zu zeigen, dass Parteien wie die FPÖ, die zuletzt vielfach von der "Working Class" gewählt wurden – obwohl sie ökonomisch eigentlich nichts für diese einfachen Leute tun, wie man an der türkis-blauen Koalition sah –, eben die "falschen" Freunde der einfachen Leute sind. Doskozil hingegen, das kann man nun spätestens seit Sonntag sagen, ist der "richtige" Freund der einfachen Leute.

Schon gehört? Inlandressortleiter Michael Völker erklärt im STANDARD-Podcast den fulminanten Erfolg der SPÖ Burgenland und, was dieser für die Wien-Wahl und die Bundes-SPÖ bedeutet.

Statt Haltungspossen ...

Doskozil ist in der Sozialpolitik links, ein echter Sozialdemokrat, in der inneren Sicherheit ist der ehemalige Polizist standfest. In der Migrationspolitik macht er keine Haltungspossen, sondern setzt auf klare Kante und Lösungen – auf einen gesunden Pragmatismus. In der Wirtschaftspolitik ist er auch Pragmatiker – überhaupt setzt er sich mit Wirtschaftspolitik sinnvoll auseinander. Der "starke Staat" ist für ihn also Leitschnur und Ziel. Das ist das Programm zum Siegen. Die dänische Sozialdemokratie weiß das schon länger.

Roland Fürst, Landesgeschäftsführer der SPÖ im Burgenland und so etwas wie Doskozils Vordenker, der Egon Bahr des Burgenlandes, fasste seinen und Doskozils Kurs in einem Satz zuletzt gut zusammen: "Ich sehe mich als Vertreter der Sozialdemokratie, der nichts tabuisiert." So ist es: "Sagen, was ist." Nicht nur journalistische Größen wie Spiegel-Gründer Rudolf Augstein wussten das, sondern auch der Mitgründer der deutschen Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle, ja selbst die harte Linke um Rosa Luxemburg. "Ich selbst bezeichne mich als vernunftbegabten Linken", sagt Fürst weiter. Ja, genau das ist es, was der Sozialdemokratie gerade fehlt: linke Vernunft.

Doskozil holte der burgenländischen SPÖ mit dem größten Plus seit 1945 die Mandatsabsolute zurück und machte sie zur stärksten SPÖ-Landespartei – im einwohnerschwächsten Bundesland.
Foto: APA / Robert Jäger

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner versteht von alledem leider wenig. Zuletzt lancierte sie einen Grundsatztext (siehe "Hart, aber fair", DER STANDARD, 18./19. 1. 2020). Fair mag sie sein, hart mit Sicherheit nicht. Doskozil hingegen ist der Macher. Lange hat er es bewiesen. Am Sonntag haben die Bürger es ihm mit Vertrauen bestätigt.

Die Lage ist ernst für die Sozialdemokratie. Für proseminarisches Bereden der richtigen Strategie, für elaboriertes Streiten zwischen Identitätsaktivisten und Realisten hat sie keine Zeit mehr. Seit Jahren hält nunmehr ein Kleinkrieg an, und die sinnlosen Wiederholungsschleifen linker Strategiediskurse gehen mittlerweile nicht nur Parteimitgliedern auf die Nerven, sondern auch der Wählerschaft. Es reicht jetzt. Für Staaten Nordeuropas (wie Dänemark, Österreich, Deutschland) steht jetzt die Richtung fest. Realisten gewinnen Wahlen. Seit Hillary Clintons Wahlniederlage wissen das alle, die halbwegs klar im Kopf sind. Die Ideologen und Aktivisten haben trotzdem zuletzt das Ruder übernommen. Zuletzt fuhren sie in England so den Karren gegen die Wand. Doskozils historischer Sieg ist jetzt – hoffentlich – die reinigende Zäsur.

... realpolitisches Malochen

Wer hingegen jetzt immer noch weiter maßgeblich "bella figura" im gesellschaftspolitischen Haltungsballett machen will, der wird als Sozialdemokratie halt weiter Wahlen verlieren. Das versteht leider aber weder das neue SPD-Zentralkomitee um Kevin Kühnert und seine jungsozialistischen Twitter-Revolutionsgarden noch die linksliberale Primaballerina des Wiener Parketts Rendi-Wagner. Diese Haltungspolitiker versuchen eher mit einem Übermaß an Demonstranz eigener Haltung zu punkten und vergessen dabei, dass es eigentlich diese schwere Arbeit an den Themen, das Ackern an Lösungen, das Ringen um Verbesserungen ist, das die deutsche und österreichische Sozialdemokratie stets stark gemacht hat und zu Wahlsiegen trug.

Diese alten Sozialdemokraten waren realpolitische Malocher, wohingegen die neuen Sozialdemokraten oft nicht mehr sind als Sprechpuppen schöngeistiger Erhabenheit – was sie mit vielen Grünen gemeinsam haben. Doskozil ist einer vom alten Schlag. Ein Malocher. Ein Arbeiter. Ein Kämpfer. Von ihm und seinem historischen Sieg geht nun etwas aus. Der Sieg könnte die Blaupause sein für die Rückgewinnung eines "linken Realismus" und die Rückkehr der Realisten in die politische Arena nach Jahren nichtssagender postdemokratischer Sprechchörepolitik – vor allem aufseiten der Linken. Doskozil könnte so der Avantgardist eines neuen Realismus werden.

Die Führungsfrage in der österreichischen Sozialdemokratie wurde am Sonntag geklärt. Jetzt müssen sich die deutschen Genossen fragen: Wie lange muss es noch dauern, bis ein linker Realismus in Deutschland endlich als der richtige Weg für die Sozialdemokratie anerkannt wird? Wie tief muss die SPD noch fallen? Wie viele Wahlen muss sie noch verlieren? Bis sie endlich merkt: Nur ein linker Realismus ist der Weg in die Zukunft. (Nils Heisterhagen, 27.1.2020)