Der Grand Ethiopian Renaissance Dam soll Teil des größten Wasserkraftwerks Afrikas werden. Vor allem die Ägypter befürchten, dass Äthiopien ihnen im wahrsten Sinn des Wortes das Wasser abgräbt.

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Es ist das größte Bauwerk Afrikas, ein zehn Millionen Tonnen schweres Betonmonster. Die Mauer des "Großen Äthiopischen Renaissance-Damms" ist 1.870 Meter lang, 145 Meter hoch und soll bald 74 Milliarden Kubikmeter Wasser halten – die Last des aufgestauten Blauen Nils, die dem ostafrikanischen Staat einen beispiellosen Entwicklungsschub verschaffen soll.

Die 16 Turbinen des Staudamms werden einmal für 6.400 Megawattstunden Elektrizität sorgen: fast das Doppelte dessen, was der zweitbevölkerungsreichste Staat Afrikas heute verbraucht. Der Stromstoß soll sowohl die Industrialisierung des Wachstumslands ankurbeln als auch – exportiert – für dringend benötigte Devisen sorgen. Eine Quelle preiswerter Energie, die nur einen Nachteil hat: Sie droht zu einem Krieg zwischen Äthiopien und Ägypten zu führen. Um das zu vermeiden, sitzen sich am Dienstag in Washington ägyptische und äthiopische Minister unter US-amerikanischer Vermittlung gegenüber.

Kein Blick stromaufwärts

Als Äthiopien vor zehn Jahren mit dem Bau des Staudamms begann, fragte die Regierung in Addis Abeba in Kairo und Khartum erst gar nicht um Erlaubnis: Die Äthiopier hatten es satt, dass immer nur Ägypten und der Sudan über das Nilwasser bestimmten. Die beiden arabischen Staaten hatten 1959 eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach der Sudan jährlich 18,5 Milliarden und Ägypten 55,5 Milliarden Kubikmeter Wasser aus dem Fluss entnehmen darf. Auf die Idee, dass ihnen die stromaufwärts liegenden afrikanischen Anrainerstaaten einen Strich durch die Rechnung machen und ihnen das Wasser abgraben könnten, kamen die Araber damals nicht.

Umso größer die Entrüstung, als diese Möglichkeit real wurde. Gleich mehrere ägyptische Regierungen drohten Addis Abeba im vergangenen Jahrzehnt mit der Bombardierung des Staudamms: Dort stellte der kürzlich zum Friedensnobelpreisträger gekürte Präsident Abiy Ahmed klar, dass "keine Macht" der Welt sein Land an der Fertigstellung des Projekts hindern könne. "Millionen äthiopischer Soldaten" würden dafür schon sorgen.

Heikle Etappe steht bevor

Solange sich der Staudamm in seiner Konstruktionsphase befand, hatte Ägypten nichts zu befürchten. Doch jetzt zeichnet sich ein Ende der Bauarbeiten ab. Schon im Sommer dieses Jahres könnte Äthiopien mit dem Auffüllen des Damms beginnen – eine Etappe, die wegen der dem Fluss entnommenen Wassermassen besonders heikel zu werden verspricht. Kairo will, dass sich Addis Abeba damit zehn bis zwanzig Jahre Zeit nimmt: eine Vorstellung, die Äthiopien für unzumutbar hält. Dort will man den Damm in vier, spätestens in sieben Jahren füllen, um so schnell wie möglich vom Strom- und Devisensegen profitieren zu können.

Seit der Eskalation des Streits im Oktober vergangenen Jahres sind sich beide Seiten etwas nähergekommen. Äthiopien ist damit einverstanden, dass dem Blauen Nil vor allem während der großen Regenzeit zwischen Juli und August Wasser entnommen wird und dass im Falle von Dürren eine Sonderregelung gelten muss. Wie diese aussieht und wie lange es dauern wird, bis sich schließlich alle 16 Turbinen drehen können, ist noch immer heftig umstritten.

Für Ägyptens Regierung ist es ein Streit über "Leben oder Tod": Schließlich bezieht das Land 90 Prozent seines Wasserbedarfs aus dem Nil. Elf Milliarden Kubikmeter für den Konsum der (wachsenden) Bevölkerung, acht Milliarden für die Industrie: Der mit weitem Abstand größte Teil wird für die Bewässerung in der Landwirtschaft abgezweigt. Auch seinen Strom verdankt das Land zum Teil dem Nil: Am Assuan-Staudamm wird ein Zehntel des ägyptischen Elektrizitätsbedarfs produziert.

"Kolonialistische Attitüde"

Um den Strom brauche sich Ägypten schon gar keine Sorgen zu machen, wenden Äthiopiens Unterhändler ein: Den könne Kairo künftig aus dem Renaissance-Damm beziehen. Überhaupt bringe dieser nur Vorteile für die Anrainerstaaten stromabwärts: Die Regulierung der Wassermassen sorge dafür, dass Überschwemmungen und Trockenphasen des Nils der Geschichte angehörten.

Unter äthiopischen Diplomaten ist von Kairos "kolonialistischer Attitüde" die Rede: Dort halte man stur an Vereinbarungen fest, die vor vielen Jahrzehnten ohne afrikanische Beteiligung getroffen wurden. Doch inzwischen sind sich die Nil-Anwohner stromaufwärts ihrer Macht bewusst: Selbst wenn jetzt eine Einigung mit Ägypten gefunden würde, sagt Äthiopiens Wasserminister Seleshi Bekele: "Das Recht, weitere Dämme in unserem Land zu bauen, lassen wir uns nicht nehmen." (Johannes Dieterich, 28.1.2020)