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Eine Frau mit Gesichtsmaske vor dem Pariser Eiffelturm. Sie hatte Glück, denn die sind mittlerweile Mangelware.

Foto: REUTERS/Benoit Tessier

Das chinesische Viertel von Paris hatte sich bereits ausstaffiert: Rote Lampione knattern an diesem stürmischen Morgen im Wind, goldene Lettern wünschen auf Französisch und Chinesisch ein "gutes neues Jahr". Die große chinesische Neujahrsparade vom kommenden Wochenende – sie ist allerdings gestrichen. Bürgermeisterin Anne Hidalgo will kein Gesundheitsrisiko eingehen. In Paris befinden sich zwei dreißigjährige chinesische Touristen in der Quarantäneabteilung des Spitals Bichat. Wie ein frankochinesischer Weinhändler in Bordeaux sind sie kürzlich durch die Stadt Wuhan gereist und nun mit dem Coronavirus infiziert.

Dass die drei ersten europäischen Fälle in Frankreich aufgetaucht sind – mittlerweile gibt es auch einen Fall in Bayern –, ist kein Zufall: In Wuhan gibt es zahlreiche Weinhandelsfilialen und Fabriken französischer Automarken wie Renault und Peugeot-Citroën (PSA). Umgekehrt wird die chinesische Diaspora in Frankreich auf 700.000 Menschen geschätzt.

"Die Krankheit wird bald hierher kommen"

Ihr Herzstück ist die Pariser Chinatown im 13. Stadtbezirk, erkennbar durch ihre riesigen Wohntürme. Vor dem "Continental marché", dessen Eingang zwei hellblaue Löwen beschützen, deponiert ein Mann zwei Flaschen Altglas. "Natürlich bin ich in Sorge", bekennt Monsieur Liu. Er stamme nicht aus Wuhan, sondern aus Guangzhou, fast 1000 Kilometer südlich des Virenherdes. "Aber Sie werden sehen, die Krankheit wird bald auch hierher kommen", prophezeit der alte Chinese.

Eine Gesichtsmaske trägt er so wenig wie die übrigen Passanten. Weil die französische Gesundheitsministerin Agnès Buzyn am Wochenende erklärt hatte, ein solcher Atemschutz nütze nichts? Nein, sagt Herr Liu: Hier in der Umgebung finde man schlicht keine Schutzmasken mehr. Ein Apotheker in der Avenue d'Ivry bestätigt, die Anrainer hätten sich schon letzte Woche darauf gestürzt – allerdings nicht zum Selbstschutz, sondern, um die Masken nach China zu schicken, wo sie offenbar Mangelware sind.

Im Supermarkt der Gebrüder Tang hängen noch lange Neujahrsdrachen an der Decke. Zum Coronavirus will sich niemand äußern. Auch die Erdnussverkäuferin am Eingang lacht nur und wünscht ein gutes neues Jahr.

Misstrauen gegenüber Peking

Der Wirt im Bistro "Tabac des Olympiades" erklärt das damit, dass die Chinesen Angst hätten, gegenüber Fremden etwas Falsches zu sagen: "Sie glauben ihrer Regierung und den Beschwichtigungsversuchen kein Wort", meint der junge Mann aus Laos. "Aber als wohnten sie noch in China, trauen sie sich das nicht zu sagen."

Im Newsfernsehen an der Bistrowand läuft eine Morgensendung mit dem Titel "Coronavirus, muss man davor Angst haben?". An der Bar hören alle hin. Der Verband der französischen Reiseveranstalter kündigt gerade an, dass er fürs Erste auf weitere China-Reisen verzichtet.

Außenminister Jean-Yves Le Drian gibt bekannt, dass er Mitte dieser Woche dutzende, wenn nicht hunderte Landsleute auf dem Luftweg aus Wuhan schaffen will. Das erfordert eine tagelange Isolierung, wenn man von der bis zu zweiwöchigen Inkubationszeit ausgeht.

Nicht ins Krankenhaus fahren

Dann rät Ministerin Buzyn davon ab, bei Fieber- und anderen Virussymptomen ein Krankenhaus aufzusuchen. Besser sei es, zu Hause zu bleiben und die 15, die Rettung, zu wählen, um gegebenenfalls von einer Ambulanz abgeholt zu werden.

Der Wirt hat bald genug von den aufeinanderfolgenden Hiobsbotschaften und dreht den Fernseher ab. Schweigen im Raum. Bis sich einer an seinem Bier verschluckt und zu husten beginnt. "Ruf sofort die 15!", ruft ein anderer Gast, und alle lachen. (Stefan Brändle aus Paris, 28.1.2018)