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Die Unzufriedenheit der Briten mit der Northern Line ist so groß, dass die Regierung die Stopptaste drückt.

Fotos: Reuters / Phil Noble

London – Der britische Verkehrsminister Grant Shapps macht Ernst mit seiner Ankündigung von Anfang Jänner: Per 1. März wird Arriva, einer Tochter der Deutschen Bahn (DB), die Lizenz zum Fahren entzogen. Die Northern Rail zwischen Manchster und Leeds wird unter staatliche Kontrolle gestellt, kündigte Shapps am Mittwoch an.

Der Schienenpersonenverkehr wird per 1. März einem öffentlichen Betreiber übertragen, teilte das Ministerium in einer Aussendung mit, in der Shapps "so bald wie möglich" spürbare Verbesserungen für die Fahrgäste in Aussicht stellt. Der Vertrag zum Betrieb von Northern läuft eigentlich bis 2025, aber die Performance des Betreibers steht dermaßen in der Kritik, dass DB den wichtigen Auftrag in Nordengland nicht halten konnte.

Der Schritt kommt nicht überraschend. Bereits Anfang Jänner hatte Shapps die Services der Northern als "komplett inakzeptabel" gegeißelt. Zuletzt wurde Northern auch noch in der alle zwei Jahre durchgeführten Passagierumfrage abgestraft.

"Eiserne Reserve"

Für die Deutschen in die Bresche springen und statt Arriva die Verkehrsdienstleistungen erbringen könnte LNER, die "eiserne Reserve" des Vereinigten Königreichs, schreibt der "Guardian": Die London North Eastern Railway betreibt seit 25. Juni 2018 den Intercity-Verkehr entlang der East Coast Main Line. Sie hatte das Rollmaterial von der Stagecoach-Tochter Virgin Trains East Coast übernommen, nachdem Stagecoach in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. LNER ist nach East Coast die zweite Gesellschaft, die nicht in privaten Händen liegt, sondern dem britischen Staat gehört.

Mehr als 6.500 Kilometer Schienennetz wurden in Großbritannien seit den 1960er-Jahren stillgelegt. Von der Northern Rail soll die staatliche London North Eastern Railway übernehmen.

Der Lizenzentzug der Northern ist bereits die zweite Verstaatlichung unter einer Tory-Regierung binnen zwei Jahren – und eine weitere Kehrtwende in dem in den 1990er-Jahren unter Premierministerin Margaret Thatcher unter massiven Protesten privatisierten Bahnsystem. Für das Schienennetz ist die staatliche Network Rail verantwortlich, den Personenverkehr erbringen Privatunternehmen, die sich um Lizenzen bewerben, meist für zehn Jahre.

Netz abgewirtschaftet

In Großbritannien wurden seit den 1960er-Jahren mehr als 6.500 Kilometer Schienennetz stillgelegt, das ist rund ein Drittel. Als Manko der britischen Bahnliberalisierung gilt seit jeher die unzureichende Verpflichtung der Betreiber, zumindest einen Teil der erwirtschafteten Gewinne zu reinvestieren. Die Folge ist ein heruntergekommenes Schienennetz, schlechtes Wagenmaterial, Verspätungen und Zugausfälle. Der Staat musste eingreifen.

Der Verkehrsminister stellt auch eine Reform des Konzessionssystems und die Reaktivierung stillgelegter Zugverbindungen in Aussicht. Ein Bericht zur Revision des gesamten Eisenbahnsystems wird unter Führung des früheren British-Airways-Chefs Keith Williams ausgearbeitet und soll in den nächsten Wochen vorliegen.

Bahninfrastruktur veraltet

Die Deutsche Bahn hatte die Probleme bei Northern unter anderem damit erklärt, dass Arriva bei Northern Rail mit großen Herausforderungen konfrontiert gewesen sei, die teilweise außerhalb der direkten Kontrolle von Northern lagen – und spielte damit auf die verspätete Modernisierung der Bahninfrastruktur (veraltete Schienen und Elektrik) sowie Streiks der Gewerkschaften an.

Ein Rechtsstreit mit den Briten scheint somit programmiert, denn die Deutschen werden das Feld wohl nicht kampflos räumen. (Luise Ungerboeck, 29.1.2020)