Bild nicht mehr verfügbar.

Bald verabschieden sich die Briten aus der EU.

Foto: Reuters/YVES HERMAN

STANDARD-Korrespondent Sebastian Borger hat in Großbritannien unterschiedlichste Meinungen zum Freitagnacht anstehenden Brexit eingeholt:

"Bald gibt es ein böses Erwachen"

"Europa gehörte für mich ganz selbstverständlich dazu. Als es zum Referendum kam, habe ich mich mit den meisten meiner antieuropäischen Freunde überworfen. Sie entpuppten sich als engstirnige Rassisten und Ausländerfeinde, sie wurden von der Leave-Kampagne aber auch in die Irre geführt.

Jene, die uns den Brexit beschert haben, sind jetzt in der Regierung. Sie haben das Land in die Irre geführt, und bald gibt es ein böses Erwachen.

Für meine Dauerproteste habe ich einen Teil meiner Münzsammlung verkauft. Bisher haben wir täglich vor dem Parlament demonstriert. In Zukunft wollen wir jeden Mittwoch dort sein, wenn drinnen dem Premierminister Fragen gestellt werden. Und irgendwann werden wir der EU wieder angehören."

STEVE BRAY ist freiberuflicher Münzhändler aus Port Talbot in Wales. Der 50-Jährige wurde durch seine ständigen "Stop Brexit"-Rufe vor dem Unterhaus zu einer oftmals fotografierten Mini-Celebrity.
Foto: Sebastian Borger

"Müssen der Regierung genau auf die Finger schauen"

"Ich bin stets wählen gegangen, war aber nicht sonderlich politisch. Das Referendumsergebnis erwischte mich auf dem falschen Fuß. Danach begann ich mich zu engagieren, erst bei einer überparteilichen Gruppe, dann auch bei den Liberaldemokraten. Wir versuchten, den Brexit zu verhindern. Noch bis in den Oktober hinein war ich optimistisch. Aber dann kam die Wahlnacht, und ich wusste: Wir haben verloren.

Jetzt sorgen wir uns vor allem um die EU-Bürger in Bath, deren Status ungeklärt bleibt. Unser Krankenhaus hätte große Probleme ohne Ärztinnen und Pfleger vom Kontinent. Wir müssen der Regierung genau auf die Finger schauen und weiterhin für die größtmögliche Nähe zur EU kämpfen. Dann wird es einfacher, später wieder beizutreten."

JANE RIEKEMANN (64) gehört in der westenglischen Stadt Bath zur Gruppe "Bath for Europe". Der deutsche Ehemann der pensionierten Lehrerin ist mittlerweile Doppelstaatsbürger.
Foto: Sebastian Borger

"Es bleibt dennoch unser gemeinsames Europa"

"Als David Cameron im Jänner 2013 das EU-Referendum ankündigte, war ich gerade beim Skifahren. Zu meinem Reisegefährten sagte ich: 'Das war's dann: Diese Abstimmung wird sich um die Einwanderung drehen und so ausgehen wie jedes andere Plebiszit dieses Jahrhunderts: gegen die EU.'

Über diese Problematik schrieb ich schon 2014 ein Buch und warnte vor dem Brexit – aber das wollte damals niemand hören.

Was seit der Abstimmung passiert ist, ist Teil der langen Jahrhunderte in dem schwierigen Verhältnis unserer Insel zum Kontinent. Aber es bleibt dennoch unser gemeinsames Europa. Ich selbst fühle mich zu 100 Prozent als Engländer, habe aber eine irische Großmutter. Deshalb bekomme ich einen irischen EU-Pass."

DENIS MACSHANE (71), Sachbuchautor, war 18 Jahre lang Abgeordneter in der Labour-Fraktion und unter Premierminister Tony Blair von 2002 bis 2005 Europa-Staatssekretär.
Foto: Sebastian Borger

"Ich werde in aller Stille ein Glas trinken"

"Ich bin einigermaßen zufrieden, dass wir nun endlich austreten. Es sah ja im vergangenen Jahr lange Zeit danach aus, als würde das Establishment den Volkswillen noch untergraben. Die EU-Vereinbarung der früheren Premierministerin Theresa May war schockierend schlecht für uns – der jetzt verabschiedete Austrittsvertrag ist kaum besser.

Und ich traue Boris Johnson nicht so recht, dass er wirklich den echten Brexit durchsetzt. Wir sollten Freunde sein mit Europa, brauchen dazu keinen Freihandelsvertrag. Beim Referendum war ich an meinem Stammtisch der einzige Brexiteer und wurde heftig gescholten. Jetzt ist von dem Thema nicht mehr die Rede. Das ist mir ganz recht so. Am 31. Jänner werde ich vielleicht in aller Stille ein Glas trinken."

FRANK SILVER (65) ist Immobilienhändler in London. Er hält die EU bloß für eine Interessenvertretung des "Big Business". Der Euro sei über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt.
Foto: Sebastian Borger

(Sebastian Borger aus London, 29.1.2020)