Benjamin Netanjahu (li.) sieht in Donald Trump den besten Freund, den Israel im Weißen Haus je hatte.

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Der "Deal des Jahrhunderts" des US-Präsidenten kommt in seiner 181-seitigen Ausarbeitung "Peace to Prosperity" rein optisch nüchterner und seriöser daher, als das Trump’sche Marktgeschrei dazu es erwarten ließe: Es sieht aus wie ein Dokument, in das eine Menge Arbeit geflossen ist, ein Visionspapier eines Thinktanks namens US-Regierung. Ein analytisches Resümee, eine Interpretation der Kernaussagen, wenn man sie ernst nimmt, lässt einen jedoch eher ratlos zurück. Da passt einiges nicht zusammen.

In der Praxis gibt es diesen einen großen inhaltlichen Widerspruch: Das Konzept der Zweistaatenlösung, wie sie der Oslo-Friedensprozess 1993 angestoßen hat, mit der Waffenstillstandslinie von 1949 (de facto Grenze bis 1967) als Verhandlungsgrundlage zwischen Israel und Palästinensern, ist tot. Diese Basis "Land für Frieden", die im Prinzip schon vorher, aber seit Oslo explizit für drei US-Präsidenten gegolten hat – Bill Clinton, George W. Bush, Barack Obama –, ist abgeschafft.

Ein Begriffswandel

Und das ist gleichzeitig der große Erfolg, mit dem sich Premier Benjamin Netanjahu brüsten kann. Der Weg von "besetzt" über "umstritten" bis zu "israelische Souveränität" über Teile des Westjordanlands ist aus Sicht Israels und der USA vollzogen. Wenn von den Palästinensern heute verlangt wird, dass sie Israel als jüdischen Staat anerkennen, dann gehört etwa ein Drittel des Westjordanlands dazu. Das steht nicht mehr für Verhandlungen offen, das ist kein "Vorschlag", wie es die US-Regierung nennt.

Womit jedoch in dieser Form kaum jemand gerechnet hat, ist, dass die US-Regierung gleichzeitig darauf besteht, etwas für die Palästinenser schaffen zu wollen, das sich Staat nennt. Es ist das Konzept eines Staates sui generis, eines Staates, der später kommen soll, und dann auch noch mit eingeschränkter Souveränität, unter israelischer Kontrolle. So etwas heißt gemeinhin Autonomie – und das haben die Palästinenser jetzt schon.

Das Wort "Palästinenserstaat" war für diese US-Regierung jedoch lange überhaupt ein Unwort, deshalb war es nicht a priori zu erwarten. Für die israelische Rechte ist es noch immer inakzeptabel, genauso wie die Idee, die Palästinenser könnten in Ostjerusalem – auch wenn es in einem Vorort jenseits der Mauer ist –, jemals so etwas wie eine nominelle Hauptstadt haben. Und dazu kommt noch der Korridor, der den Gazastreifen und die Territorien im Westjordanland – "das Westjordanland" kann man dazu nicht mehr sagen – verbinden soll, plus viele andere notwendige Verbindungen zwischen den palästinensischen Landstücken. Ein ziemlicher Pallawatsch.

Trumps zukünftiger Palästinenserstaat, dessen Stunde null Benjamin Netanjahu mitzelebrierte, weil er weiß, dass nichts daraus wird: Die vom Weißen Haus gelieferte Karte zeigt ein palästinensisches Autonomiegebiet, das einen ausgefransten, löchrigen und fleckigen Teppich inmitten eines großen Zimmers (Israel) zeigt, von dem einige Teilchen völlig abgerissen sind und isoliert liegen. Ausgefranst ist jedoch auch das israelische Territorium, es hat eine Grenze wie eine Haut, die Blasen wirft und Ausbuchtungen hat – abgesehen von den souveränen Enklaven, die sich auf palästinensischem Territorium befinden.

Gudrun Harrer erklärt im Podcast, was wirklich hinter Trumps "Jahrhundert-Deal" steckt.

Unhaltbare Grenzen

Mit einem Wort: Das ist ein Flickwerk, das nicht für die Ewigkeit gemacht aussieht – und beide Seiten werden der Meinung sein, irgendwann könnte es noch zu ihren Gunsten korrigiert werden. Frieden bringt das mit Gewissheit nicht.

Donald Trump will seinen Plan als Verhandlungsgrundlage sehen, aber worüber verhandelt werden sollte, ist unklar: Denn schon jetzt werden ja Fakten geschaffen. Insofern ist es eher ein Diktat. Was bisher als fixe Bestandteile von Endstatusverhandlungen angesehen wurde – von der Flüchtlingsfrage bis zu Jerusalem –, wurde einfach über Bord geschmissen.

Die Palästinenser werden dem nicht zustimmen und demnach auch nicht die ihnen als territoriale Kompensation zugedachten Landflecken etwa an der Grenze zu Ägypten in Besitz nehmen. Oder – höchst problematisch – darüber nachdenken, ob sie von Arabern besiedelte Teile Kern-Israels an ihren Pseudostaat anschließen wollen.

In der Praxis, am Boden, ändert sich erst einmal gar nichts. Die israelischen Fahnen wehen längst dort, wo die Souveränität verkündet werden wird. Israel behandelt die Siedlungen längst als israelisches Territorium, das wird nun nur offiziell nachvollzogen. Wenn Netanjahu seine Ankündigung ernst meint, dürfte das schnell gehen, und die Siedlergebiete sowie der Großteil des Jordantals werden annektiert werden. Das heißt, ihr Status wird sich zumindest für Israel und die USA ändern.

Der Rest der internationalen Gemeinschaft wird damit genauso umgehen wie mit der US-Anerkennung der israelischen Souveränität über Ostjerusalem im Jahr 2017 und über den Golan 2019: Es wird, bis auf wenige Ausnahmen, ignoriert werden.

Eine höfliche diplomatische Sprachregelung – die man sogar von den Vereinigten Arabischen Emiraten hört (Saudi-Arabien ist etwas verhaltener) – lautet, dass der Trump-Plan als neuer Anstoß für Verhandlungen begrüßt wird. Wenn das jedoch ernst gemeint wäre, dann dürften – anders als Trumps Schwiegersohn und Nahost-Beauftragter Jared Kushner es am Mittwoch in CNN sagte –, es die USA zumindest nicht mittragen, dass Israel die von den USA vorgesehenen Annexionen sofort umsetzt.

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Alles gut für Israel?

Abzusehen sind Verhandlungen jedenfalls nicht und somit auch kein künftiger Pseudo-Palästinenserstaat. Jene rechten Kreise in Israel, die jedes – vermeintliche – Zugeständnis an die Palästinenser ablehnen, können demnach beruhigt sein.

Ob aus dieser Sicht alles perfekt für Israel läuft, könnte man aber dennoch hinterfragen: Der Konflikt bleibt im besten Fall – auch Eskalationsszenarien sind möglich – weiter eingefroren, und der Zug fährt in Richtung binationaler Staat. Einen Staat für zwei Nationen, das wollen auch immer mehr junge Palästinenser – natürlich mit den gleichen politischen Rechten für alle. Und bei der ex tremen Option, die Palästinenser irgendwie loszuwerden, zum Beispiel Richtung Jordanien: Da spielt nicht einmal ein Donald Trump mit. (Gudrun Harrer, 29.1.2020)