Die meiste Zeit im Jahr liegen die monumentalen Grabhügel der späteisen- und wikingerzeitlichen Fundstelle Borre im norwegischen Vestfold ungestört in der malerischen Küstenlandschaft. Direkt am Oslofjord gelegen, ist der Großteil der Fundstelle heute ein Nationalpark und für die Allgemeinheit öffentlich zugänglich. Das wird von den ortsansässigen Norwegern auch ausgiebig genützt: Hier trifft man auf Spaziergänger, Jogger, Radfahrer, Gassigeher, Kindergartengruppen, es wird Fußball und Frisbee gespielt, gepicknickt, fotografiert, gemalt und im Winter die schneebedeckten Grabhügel hinuntergerodelt (als Archäologin blutet einem da ob der erodierenden Kinder schon mal das Herz), kurz: Dieser Friedhof wird auch heute noch ausgiebig genutzt.

Jedes Jahr um das zweite Augustwochende ist es allerdings vorbei mit der Idylle, in Borre fließt dann Blut. Das kleine, aber feine und durchaus internationale Metalfestival Midgardsblot schlägt seine Zelte in der archäologischen Landschaft um Borre auf, und mit ihm kommen Metalfans aus aller Welt. Blot bedeutet übrigens nicht Blut, sondern Opferfest. Das Eidsivablot war zum Beispiel das Opferfest des Eidsivatings. Man könnte also sagen, Midgardsblot ist das Opferfest des Midgardstings – obwohl Midgard im Namen nur daher kommt, dass das Besucherzentrum von Borre so heißt. Folgt man dieser Logik, dann bedeutet der Name des Festivals eigentlich Opferfest des Besucherzentrums ...

Eingangsbereich zum Festivalgelände, die wikingerzeiltiche Hallenrekonstruktion im Hintergrund.
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Das Midgardsblot als temporärer Teil der archäologischen Fundstelle Borre.
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Reenactment-Gruppen zieht das Festival an.
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Mitten am Festival.
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Opfer zu Beginn

Gegründet von Runa Strindin, ist das Midgardsblot 2020 zum sechsten Mal zu Gast in Borre. Eigentlich ein Metalfestival, zieht es verschiedenen Subkulturen an, vom geschichtlich interessierten Wikingerfan bis zum Death-Metal-Anhänger. Das musikalische Programm ist darum auch breit gestreut, man kann norwegischer Folklore und Deicide am selben Abend lauschen. Jedes Midgardsblot wird übrigens mit einem tatsächlichem Blot eröffnet, also einem Opferritual, es gibt Ziegenblut zum Einschmieren, und man versichert sich gegenseitig der Freundschaft und der guten Zeit, die man in den nächsten drei Tagen auf dem Festival verbringen wird.

Dass ein Festival mitsamt Zeltlager auf einer archäologischen Fundstelle stattfinden darf, hat mich – auch aufgrund eigener Festivalerfahrung inklusive ausgiebigen Alkoholgenusses und daraus resultierender, nicht immer völlig durchdachter Handlungen – zunächst etwas verwundert. Fairerweise muss man sagen, dass Bühne und Zeltlager nicht direkt auf den Grabhügeln aufgebaut sind, sondern die sogenannte Gildehalle, die lebensgroße Rekonstruktion einer wikingerzeitlichen Halle, belagern.

Vom Archäologen zum Metaler

Was hat ein Metalfestival mit Archäologie zu tun, fragen Sie sich? Ich mich auch – bis ich gesehen habe, wie meine Archäologen- und Historikerkollegen (inklusive meines Chefs) reihenweise ihre Metal-Band-T-Shirts überziehen, um am Midgardsblot Vorträge über Archäologie zu halten und hinterher ein bisschen zu headbangen.

Das Midgardsblot wird, seit es in Borre stattfindet, finanziell von der Kultur- und Denkmalschutzabteilung des Fylkekommune Vestfold og Telemark unterstützt, und zwar zum einen als Musikveranstaltung (was ja nicht so ungewöhnlich ist), zum anderen für die dort stattfindende Wissensvermittlung – ein wichtiger Bestandteil unserer Aufgaben im Denkmalschutzmanagement.

Einige Bands spielen direkt in der rekonstruierten wikingerzeitlichen Halle, die besondere Atmosphäre ist da garantiert.
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In eigens errichteten Zelten und in Räumen des Besucherzentrums finden während des Festivals von 11 bis 16 Uhr Vorträge statt. Ein nicht unerheblicher Teil davon widmet sich historischen und archäologischen Themen und wird auf hohem Niveau von Wissenschaftern, Museumsmitarbeitern und Denkmalschützern gehalten. Am Midgardsblot 2020 werden unter anderen Unn Perdersen, Professorin für Archäologie an der Universität Oslo, über "Urban Viking Women: Life in Kaupang in Skiringssal", Anne Kalvig, Professorin für Religionsstudien an der Universität Stavanger, über "Back to Blood: Pursuing a Future from the Norse Past" und mein Chef Terje Gansum über "Halls, mounds and ships at Borre – new archaeological methods unveil a new understanding" sprechen.

Bummvoll ist der Saal während der Vorträge.
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Geht man während des Midgardsblot in Borre spazieren, trifft man mitunter auf merkwürdige Zeitgenossen.
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Auch gecampt wird in Borre.
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Festival des Wissens?

Wer jetzt denkt, dass da wohl keiner hingeht, irrt. Die Zelte sind so voll, dass die Festivalleitung für dieses Jahr neue Plätze organisieren muss; Führungen durch das Gräberfeld finden bei jedem Wetter statt, weil der Andrang so groß ist. Meine Kollegin Stine-Marie Schmedling, die von Vestfold-Seite aus für die Betreuung des Festivals zuständig ist, zeigt sich begeistert über das Publikum.

"Die Festivalbesucher sind extrem interessiert an Borre und seiner Geschichte, es wird untereinander, aber auch mit den Experten vor Ort diskutiert. Die Leute respektieren den Ort und freuen sich, ihn in einem so besonderen Setting erleben zu können. Man sieht das auch daran, dass es unglaublich sauber ist. Ich habe Fans gesehen, die auf dem Festivalgelände tagsüber Müll aufgesammelt haben, weil sich das in Borre einfach nicht gehört, dass Weggeworfenes auf dem Boden herumliegt."

Führung durch das Gräberfeld, schlechtes Wetter ist kein Hinderungsgrund.
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Für mich ist das Midgardsblot ein interessantes und gelungenes Beispiel dafür, dass man in der Wissensvermittlung verschiedene Wege gehen kann, auch solche, die auf den ersten Blick unorthodox erscheinen. Alles, was man braucht, sind interessierte Zuhörer und ein bisschen Fantasie. (Petra Schneidhofer, 30.1.2020)