Melbourne – Was war das für eine Partie? Dominic Thiem hat am Mittwoch bei seinem 25. Grand-Slam-Turnier wieder einen Meilenstein in seiner Karriere gesetzt. Der 26-jährige Niederösterreicher rang den Weltranglisten-Ersten Rafael Nadal in seinem ersten Viertelfinale bei den Australian Open in 4:10 Stunden mit 7:6 (3), 7:6 (4), 4:6, 7:6 (6) nieder und steht als zweiter Österreicher nach Thomas Muster im Halbfinale des Turniers in Melbourne. In diesem trifft er am Freitag auf den Deutschen Alexander Zverev, der zuvor Stan Wawrinka (SUI) ebenfalls in vier Sätzen 1:6, 6:3, 6:4, 6:2 bezwang.

Ganz großes Tennis von Dominic Thiem.
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Es war ein besonders wichtiger Sieg für Thiem, hat er doch Nadal erstmals bei einem Major bezwungen. "Das Match war die ganze Zeit auf Messers Schneide. Ein, zwei Bälle mehr oder weniger, und wir wären jetzt im fünften Satz. Aber so ist das, wenn man gegen einen der größten Spieler aller Zeiten spielt. Unglaublich, dass es im Tiebreak im vierten reicht", sagte Thiem unmittelbar danach im Servus-TV-Interview.

Für Thiem ist es die erste Vorschlussrunde bei einem Major-Turnier abseits der French Open (zuletzt viermal en suite) und das insgesamt fünfte Grand-Slam-Semifinale. Thiem feierte zudem den vierten Sieg über eine aktuelle Nummer eins der Welt und den fünften Erfolg im 14. Duell mit Nadal. Der Schützling von Nicolas Massu hat Nadal im sechsten Duell auf Grand-Slam-Ebene erstmals bezwungen.

Erster Sieg gegen Nadal bei einem Grand-Slam

"Es fühlt sich unglaublich an. Es ist natürlich das Halbfinale, aber es ist auch ein Sieg über Rafa bei einem Grand-Slam-Turnier, mein erster", erklärte Thiem. "Nach einem sehr guten Match, nach 4:10 Stunden, nach einigen schwierigen Situationen auch und vor allem im vierten Satz ... Ich bin echt froh, dass ich das Tiebreak dann gewonnen habe. Es ist unglaublich für mich."

Thiem wusste freilich, dass er in den ersten beiden Sätzen schon jeweils mit einem Break zurückgelegen war. "Er hat auf den ersten Satz serviert, wo ich genau zum richtigen Moment zurückgebreakt habe. Im zweiten war er früh Break vorne. Das kriegt man nicht oft gegen ihn, dass man sich zweimal zurückkämpft. Die Tiebreaks habe ich wirklich gut gespielt", erklärte der Weltranglisten-Fünfte. Für ihn war es "keine Überraschung", dass Nadal dranbleibt und "von seiner Intensität her null nachlässt. Das war mir klar."

Der erste Durchgang bot Powertennis von Beginn weg. Nach zwei Aufschlagspielen zu null für Thiem fand dieser im fünften Game bei 2:2 den ersten Breakball im Match vor, doch Nadal wehrte ab. Bei 4:3 für Nadal gab es neue Bälle, und Aufschläger Thiem musste sein Service nach einigen Fehlern zu null zum 3:5 abgeben. Ein Rückstand, der normalerweise bei Nadal schon fatal sein kann. Nach 35 Minuten hatte Nadal auch schon einen Satzball zum 6:3, aber Thiem zog den Kopf aus der Schlinge. Er nutzte seinen dritten Breakball zum 4:5 und egalisierte auf 5:5. Der Satz ging ins Tiebreak, in dem Thiem ein 0:2 nach 67 Minuten mit dem ersten Satzball noch in ein 7:3 verwandelte.

2:0-Satzführung für Thiem

Auch im zweiten Satz musste Thiem kurioserweise wieder als Aufschläger mit neuen Bällen das Break zu null und zum 2:3 hinnehmen. Doch auch diesmal ließ sich Nadal diesen Vorteil nehmen. Bei 4:3 unterlief dem 19-fachen Major-Sieger ein schwaches Aufschlaggame, das er gar mit einem Doppelfehler abgab. Thiem war neuerlich zurück im Satz, drehte ein 2:4 zum 5:4. Bei 30 beide war Thiem nur zwei Punkte vom zweiten Satzgewinn entfernt. Beim Stand von 6:5 hatte Thiem Satzball, doch nach 2:06 Stunden ging es ins zweite Tiebreak. Thiem vergab eine 4:0-Führung, erarbeitete sich bei 6:4 aber zwei weitere Satzbälle. Nach 2:15 Stunden stellte der Österreicher auf 2:0 Sätze.

Thiem packte immer wieder optimale Schläge aus.
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Im dritten Durchgang ging es bis ins zehnte Game ohne Break. Diesmal machte Nadal neuerlich das erste, allerdings diesmal entscheidend nach 2:57 Stunden zum 6:4. Nadal war unter dem Jubel der Zuschauer "on fire".

Doch der Spanier ließ im vierten Satz drei Breakbälle zum 2:0 liegen und Thiem schaffte nach dem 1:1 dann selbst ein Break. Bei 5:4 hatte der Niederösterreicher die Chance auszuservieren, doch mit neuen Bällen beging er neuerlich Fehler, Nadal gelang das Rebreak im letzten Moment. "Es ist eine spezielle Situation gewesen, auf das erste Halbfinale hier aufschlagen, meinen ersten Sieg gegen Rafa bei einem Grand Slam", erklärte Thiem seinen Aussetzer.

Dritten Matchball verwertet

Nadal stellte von 3:5 auf 6:5. Thiem erspielte sich nach 3:55 Stunden schon das dritte Tiebreak. "Das war wieder extrem eng. Heute war auch das Netzband schwer auf meiner Seite", lachte er. Bei 6:4 hatte Thiem seine ersten beiden Matchbälle, doch Nadal wehrte beide ab. Nach 4:10 Stunden verwertete Thiem aber den dritten zum 8:6. "Zum Glück hat er die Vorhand dann verschlagen bei 7:6."

Nadal haderte mit einigen vergebenen Chancen, war aber mit seiner Leistung nicht unzufrieden. "Das war ein sehr gutes Match, er hat sehr gut gespielt. Er hat aggressive, großartige Schläge gezeigt, sogar aus sehr schwierigen Positionen", lobte er. Was er hätte besser machen können? "Ja, eines der Tiebreaks gewinnen. Ich hatte auch eine große Chance im ersten Satz bei 5:3 mit einem Satzball, das war ein sehr wichtiger Moment", erklärte Nadal. "Ich habe aber wirklich kein schlechtes Match gespielt. Ich wünsche ihm das Allerbeste für den Rest des Turniers."

Der Spanier wehrte sich nach Kräften, musste sich aber nach 4:10 Stunden geschlagen geben.
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Thiem trat in die Fußstapfen von Muster, der 1989 und zuletzt 1997 im Halbfinale des ersten Grand-Slam-Turniers des Jahres gestanden war. Er überbot den Steirer allerdings mit nunmehr fünf Major-Semifinali (Muster vier). Der 16-fache Turniersieger spielt gegen Zverev um sein drittes Major-Endspiel nach zuletzt zwei French-Open-Finali 2018 und 2019. Für das Halbfinale kassierte Thiem 1,04 Millionen australische Dollar (640.00000 Euro) brutto und 720 ATP-Punkte.

Neuntes Duell mit Zverev

Zum neunten Duell mit Zverev sagte Thiem: "Das erste Mal, dass ich in einem Grand-Slam-Halbfinale gegen einen Jüngeren spiele. Das ist eine neue Situation für mich." Aber man kenne sich sehr gut. "Wir haben acht Matches schon auf allen Ebenen gespielt, darunter bei den London ATP Finals, zweimal bei den French Open."

Thiem ist laut Papier, sowohl von der Weltrangliste her, als auch vom Head-to-Head (6:2) gegen Zverev Favorit. Er selbst sieht das trotz seines Sieges über Nadal aber nicht so. "So wie er jetzt auch bei dem Turnier spielt, würde ich mich nicht als Favorit sehen", sagte Thiem, der ab Montag zumindest Nummer 4 im ATP-Ranking sein wird. Selbst bei einem ersten Grand-Slam-Titel könnte er aber maximal Dritter werden. "Das ist eine sehr offene Partie, in der wir beide sehr gute Chancen haben werden. Ich freue mich darauf."

Der Sieger des Duells am Freitag (9.30 Uhr MEZ, live Servus TV) bekommt es im Endspiel am Sonntag mit dem Gewinner des Krachers Novak Djokovic (SRB-1) gegen Roger Federer (SUI-3) am Donnerstag zu tun.

Thiems imposante Bilanz gegen Nadal, Djokovic und Roger Federer innerhalb der vergangenen zwölf Monate: gegen Federer 3:0, gegen Nadal und Djokovic jeweils 2:1. (APA, red, 29.1.2020)