Anfang November gingen tausende Rumänen in Bukarest und anderen Städten auf die Straße, um für den Erhalt der Wälder zu protestieren.

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Tiberiu Bosutar kämpft mit Kameras gegen die Holzmafia.

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Er sitzt auf seinem Bett und kontrolliert dutzende Zettel mit Aufzeichnungen über Holztransporter, die durch sein Dorf Moldovita fahren. Tiberiu Bosutar hat die Wohnung extra gemietet, um die Kameras an dem Haus an der Hauptstraße anzubringen, die ihm die Bilder der Lastwagen liefern. Mittels einer App kontrolliert er nun, ob die Mengen an Holz, die für die Lastwagen offiziell angegeben sind, tatsächlich mit dem Ladegut übereinstimmen.

Tiberiu Bosutar ist ein Detektiv aus Überzeugung und ein Sheriff aus Not geworden. Der Mann mit den hellen Augen und den zurückgekämmten Locken, die ihm zuweilen in die Stirn fallen, fordert das Ende des organisierten Holzdiebstahls in Rumänien und einen Staat, der bei der Korruption nicht mitschneidet, sondern diese bekämpft.

Bosutar hat bereits viele illegale Holztransporte aufgedeckt und sich in seiner Heimat, der Region Moldau, einer weichen Landschaft, deren Hügel bis hinunter in die Weiler mit Nadelhölzern – meist Fichten – bedeckt sind, ziemlich unbeliebt gemacht. Dafür ist Bosutar nun ein freier Mensch. Er hatte sich selbst als schwach und angreifbar empfunden, als er noch bei den dubiosen Holzgeschäften mitmachte.

Offizieller und inoffizieller Deal

Er begann offen über die illegalen Praktiken zu reden und sie zu dokumentieren. Dem STANDARD erklärt er das System folgendermaßen: Die Holzhändler machen zwei Deals: einen offiziellen und einen inoffiziellen. Der Preis beim offiziellen Deal, den der Holzhändler dem Waldbesitzer anbietet, sei aber viel zu hoch – etwa 85 bis 100 Euro pro Festmeter. Der Festmeterpreis für den illegalen Deal mache jedoch nur etwa 45 Euro pro Kubikmeter aus. Wenn man den Mittelwert beider Deals ausrechne, komme man zum tatsächlichen Holzpreis.

In den Bilanzen scheinen aber nur der offizielle Deal, das offizielle Geld und die offiziell gefällten Bäume auf. Das andere Holz werde illegalerweise geschlägert und bringe den Profit. Der Wald jedoch – meist öffentliches Gut – verschwindet dadurch immer mehr. Es ist ein System aus Betrug, Bilanzfälschung und Bestechung, das Bosutar beschreibt. Anderen Aussagen von Beteiligten zufolge fließt das inoffiziell verdiente Geld auch in Parteikassen. Wichtige Posten im staatlichen Forstbetrieb Romsilva werden mit Leuten aus den beiden wichtigsten Parteien besetzt.

Die einfachen Holzarbeiter profitieren meist gar nicht. Sie verdienen im Monat etwa 500 Euro. Aber es gibt solche, die mehrere Häuser und viele Autos besitzen und deren Kinder im Ausland studieren. "Woher kommt das Geld?", fragt Herr Bosutar, und weil er so viele Fragen stellt und immer wieder die Polizei anruft, wenn er einen illegalen Holztransport aufdeckt, musste er auch schon Strafe zahlen. Die Begründung der Behörden lautete: Bosutar habe auf "missbräuchliche Art" die Notrufnummer 112 gewählt und sei unerlaubterweise auf Forststraßen gefahren. Der Robin Wood aus Moldovita reagierte darauf mit Witz und schrieb auf sein Auto groß und fett "Waldinspektorat" 112.

Alle schweigen, alle profitieren

Bosutar lehnt sich gegen das gesellschaftliche Übereinkommen auf, das da heißt: Alle schweigen, alle profitieren. Mittlerweile haben die Leute Angst vor seinen Kameras. Sie bedrohen und beschimpfen ihn und beschuldigen ihn, dass er ihnen das Geschäft verderbe. Aber nicht nur Bosutar ist in Gefahr. In den vergangenen Jahren wurden sechs Waldarbeiter getötet, voriges Jahr waren es innerhalb nur dreier Monate zwei Männer. Raducu Gorcioaia wurde im September mit tödlichen Kopfverletzungen in seinem Auto gefunden. Liviu Pavel Pop wurde im Oktober in Maramures erschossen. Man geht davon aus, dass sich beide "zu sehr" gegen die illegalen Praktiken aufgelehnt hatten.

Ein Bericht der rumänischen Nationalen Forstwirtschaftsinventur (IFN) für die Jahre 2013 bis 2018 zeigt, dass jährlich etwa 38 Millionen Kubikmeter Holz geschlägert werden – lauf den offiziellen Statistiken sind es aber nur 18 Millionen Kubikmeter. Das bedeutet, dass jedes Jahr etwa 20 Millionen Kubikmeter Holz illegal abgeholzt und verkauft werden. Der Schaden ist enorm: Geht man von einem Kubikmeterpreis von 50 Euro aus, so geht es um eine Milliarde Euro jährlich. Offiziell besagen die Inspektionen der Polizei und Forstwächter, dass jährlich 200.000 Kubikmeter illegal abgeholzt würden.

Demonstrationen

Seit die IFN die Daten trotz Widerstands veröffentlichte, ist ein Ruck durch die rumänische Gesellschaft und Politik gegangen. Anfang November vergangenen Jahres demonstrierten tausende Rumänen gegen die illegale Abholzung. "Rettet die rumänischen Urwälder" stand auf Transparenten. Viele fordern ein Referendum, um die Abholzung ganz zu stoppen.

"Du bist schön, mein Wald, wenn der Schatten noch selten ist und unter den Zweigen nur knapp ein Frühlingswind", beschrieb der Dichter George Topîrceanu die Liebe der Rumänen zu ihren Wäldern. "Wenn sie unter schwerem Tau leuchten, volle Sonnenwege. Du bist wunderschön, mein Wald. Und allein wie ich." Die Wälder gehören zum rumänischen Selbstbewusstsein, sie sind Teil der Identität der Bürger des grünen osteuropäischen Landes.

Einer der Organisatoren des Protests, Ciprian Galusca von Greenpeace, verweist darauf, dass es in Rumänien 130.000 Hektar an unberührten Wäldern gibt – 60 Prozent des Gesamtbestands des Kontinents. Sie seien für die Biodiversität ganz Europas wichtig, weil sie eine Selbstverteidigung gegen den Klimawandel darstellen. In diesen Urwäldern wachsen seltene Pflanzen, leben tausende Bären und gefleckte Luchse mit ihren spitzen Ohren sowie elegante Wölfe.

Angesichts der illegalen Abholzung plädiert Galusca dafür, dass alle Holztransporter mit GPS verbunden werden. Die Holzhändler sollten nicht mehr in die Wälder gehen, weil sie dann versuchen würden, das beste Holz zu ergattern. Das Holz sollte nur noch vom Lager aus verkauft werden. Zusätzlich müsse man die Forstwächter stärken. "20 Millionen Kubikmeter Holz können ja nicht einfach so verschwinden, ohne dass dies die Behörden merken", so Galusca zum STANDARD.

Satelliten gegen Holzschlag

Greenpeace setzt aber vor allem auf Technologie statt auf menschliches Unrechtsbewusstsein. "Der Systemwechsel passiert sicher nicht mit Leuten, die davon profitieren", meint Galusca. Deshalb müsse schnell und flächendeckend das "Nationale System zur Rückverfolgbarkeit von Holz" – kurz Sumal – eingesetzt werden. Es handelt sich um ein elektronisches Datenverarbeitungssystem, das mittels Satellitenbildern den Holzschlag verfolgen kann.

Auch der neue Umweltminister Costel Alexe will das Trackingsystem Sumal – "als Hauptwaffe des Staates" – ausbauen und ist einer der ersten Politiker in Rumänien, die die Augen nicht mehr verschließen. "Alle verlieren: Wir verlieren den Wald, wir verlieren als Bürger, und das Budget verliert eine Menge Geld", resümierte er kürzlich.

Beim größten Waldbesitzer in Rumänien, Romsilva, der staatlichen Forstwirtschaft, ist man weniger aufgeschlossen. Romsilva verwaltet über drei Millionen Hektar – in Rumänien gehören 48 Prozent aller Wälder dem Staat. Der Generaldirektor von Romsilva, Gheorghe Mihailescu, schreibt in einem ausführlichen Brief an den STANDARD, dass unklare Besitzverhältnisse zu illegaler Ausbeutung geführt hätten. Er findet aber, dass die Strafen hoch genug seien – sie machen das Fünffache des Marktpreises des Holzes aus. Weiters betont er: "Romsilva holzt kein illegales Holz ab und transportiert es auch nicht." Zu den Erkenntnissen zur illegalen Abholzung der Forstwirtschaftsinventur meint er: "Wir wissen nicht, wie diese Ergebnisse entstanden sind und welche Bedeutung sie haben."

Legal gibt es nur ein Minusgeschäft

Wenn einer wie Bosutar dies hört, wächst sein Kampfgeist nur noch stärker. Neben seinem Haus in Moldovita hat er ein paar nach Harz duftende Fichtenstämme in einem kleinen Sägewerk gestapelt. "Ich habe versucht, alles legal zu kaufen, aber dann nur ein Minusgeschäft gemacht", erklärt er, weshalb das Werk nun stillsteht. In kommunistischer Zeit habe es in Moldovita ein großes Sägewerk gegeben, in dem 800 Leute beschäftigt waren, erzählt er. Nun wird nur noch Rohmaterial aus dem Wald geschleppt, es gibt keine verarbeitende Industrie mehr. "Früher waren alle in der Holzindustrie beschäftigt, jetzt sind es nur noch zehn Prozent", erklärt Bosutar die sozialen Konsequenzen der Ausbeutung.

Rumänien dürfe nicht nur ein billiger Rohstofflieferant sein und vor allem dürfe die Landschaft nicht zerstört werden, meint er, während er auf die abgeholzten Berghänge und die Holzlager neben der Straße zeigt. Die braunen Stellen auf den Hügeln wirken tatsächlich wie Wunden in der sonst so grünen, lieblichen Landschaft. Hier wachsen oft nur noch Sträucher. Dabei können Bäume nur gedeihen, wenn die Baumkronen um das Licht wetteifern und die fruchtbare Erde nicht abrutscht. Eigentlich würde Tiberiu Bosutar nun gern mit dem Motorrad durch Europa fahren. "Aber das da", sagt der Robin Wood von Moldovita und weist auf die abgeholzten Hügel, "ist der Grund, weshalb ich weiterkämpfe."(Adelheid Wölfl aus Moldovita, 30.1.2020)