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Die Hoyo-Negro-Höhle in the Sistema Sac Actun. Hier wurde 2007 das bisher älteste vollständige Skelett der Neuen Welt entdeckt. Die Gebeine gehörten zu einer jungen Frau, die vor annähernd 13.000 Jahren lebte.
Foto: AP/Mexico's National Institute of Anthropology and History

Nahe Tulum an der Nordostküste der mexikanischen Yucatán-Halbinsel erstreckt sich ein gewaltiges Karstlabyrinth aus Unterwasserhöhlen. Zahllose teilweise miteinander verbundene Kavernen erstrecken sich dort über eine Gesamtlänge von mehreren Hundert Kilometern. Forscher halten es für eines der größten unterirdischen Flusssysteme der Erde.

Entstanden ist das Naturwunder im Bundesstaat Quintana Roo während des Pleistozäns, als im Verlauf mehrerer aufeinanderfolgender Meeresanstiege das Kalkgestein allmählich unterminiert wurde. Damals lag das Höhlensystem über längere Perioden auch im Trockenen, was die ersten menschlichen Einwanderer Nordamerikas zu nutzen wussten.

Das ausgedehnte Höhlennetzwerk von Quintana Roo eröffnet Einblicke in die überraschend hohe menschliche Diversität in der Frühzeit Amerikas.
Illusttr.: Mark Hubbe, Alejandro Terrazas Mata et al./Plos One

Überflutetes Labyrinth

Am Ende der letzten Eiszeit vor 13.000 bis 7000 Jahren kam es schließlich erneut zu einem starken Ansteigen der Meere. Das ausgedehnte Labyrinth wurde wieder geflutet, und wertvolle Fundstätten konnten so für die Nachwelt konserviert werden – zur Freude von Archäologen und Anthropologen.

Zumindest an acht Stellen haben Wissenschafter in Tiefen von bis zu 40 Metern unter der Oberfläche menschliche Überreste aus der Übergangszeit vom Pleistozän zum Holozän entdeckt, häufig tief im Inneren der Höhlen und weit entfernt vom nächsten Zugang. Diese Gebeine sind für die Forschung vor allem deshalb so kostbar, weil sie als wichtige Mosaiksteine das nach wie vor lückenhafte Bild über die Ursprünge der frühesten Menschen der Neuen Welt wesentlich ergänzen.

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Auch Relikte aus der Ära der Maya wurden in dem Höhlensystem gefunden.
Foto: AP/INAH

So haben etwa menschliche Überreste aus Südamerika bisher den Anschein vergleichsweise weniger morphologischer Unterschiede innerhalb der damaligen Bevölkerung erweckt. Die früheren Arbeiten wiesen dabei vor allem übereinstimmende Ähnlichkeiten mit modernen australisch-melanesischen und afrikanischen Gruppen auf, sowie mit Individuen aus dem späten Pleistozän in Europa und Asien. Für Nordamerika ging man aufgrund dieser Befunde von einer ähnlich geringen Vielfalt aus.

Unterschiedliche Merkmale

Doch dieser Eindruck täuscht offenbar, wie nun ein Team um Mark Hubbe (Ohio State University, USA) und Alejandro Terrazas Mata (Nationale Autonome Universität von Mexiko) festgestellt hat. Die Anthropologen haben vier gut erhaltene Schädel aus unterschiedlichen Fundorten des Höhlennetzwerks von Quintana Roo neu datiert, gescannt und mit einem Referenzdatensatz moderner menschlicher Populationen aus der ganzen Welt verglichen. Das überraschende Resultat: Die Analysen der Schädelknochen deuten für die Zeit vor 13.000 bis 9000 Jahren auf eine große morphologische Vielfalt unter den ersten Amerikanern hin.

Menschliche Gebeine aus der Höhle von Muknal im unterirdischen Flusssystem von Ox Bel Ha.
Foto: Jerónimo Avilés

Während laut der im Fachjournal "Plos One" veröffentlichten Studie der älteste Schädel auf enge Verbindungen zu modernen Nordamerikanern in Grönland und Alaska hinwies, zeigte der zweitälteste Parallelen zu heutigen europäischen Populationen. Einer der beiden verbliebenen Schädeln schien Übereinstimmungen mit asiatischen und nordamerikanischen indigenen Merkmalen aufzuweisen, der andere besaß Charakteristika, die bei arktischen sowie modernen südamerikanischen Gruppen zu finden sind.

Schwindende Vielfalt

"Die ersten Amerikaner waren demnach viel komplexer und deutlich vielfältiger, als wir bisher dachten", sagt Hubbe. Die Ergebnisse legen nach Meinung der Wissenschafter die Vermutung nahe, dass die ersten Populationen, die sich von Asien nach Nordamerika wagten, ein hohes Maß an biologischer Diversität aufwiesen, so Hubbe weiter. Aus irgendeinem Grund habe sich diese Vielfalt verringert, als sich die Menschen in Südamerika ausbreiteten. "Wir sind immer davon ausgegangen, dass das, was in Südamerika geschah, auch für Nordamerika gilt. Diese Ansicht müssen wir nun wohl revidieren", erklärt der Wissenschafter.

Die Daten müssten laut Hubbe damit auch als Warnung vor allzu einfachen Modellen über die Migration von Menschen gelten, insbesondere in Amerika: "Was immer wir bislang über die Besiedlung Amerikas dachten, es ist sehr wahrscheinlich nicht die ganze Geschichte." (Thomas Bergmayr, 30.1.2020)