Schwarz ist keine Farbe, sondern ein Zustand. Die Physik lehrt nämlich: Schwarz ist die Abwesenheit von Licht. Dort, wo seine Wellen nicht reflektiert werden, herrscht Dunkelheit. Aber die eine Dunkelheit gibt es gar nicht: 2009 meldeten japanische Wissenschafter eine Sensation: Man hatte ein Schwarz gefunden, das noch schwärzer ist, als es die Menschheit bislang kannte. Es war gelungen, Nanoröhren aus Kohlenstoff auf einer Ebene so auszurichten, dass jegliche Lichtreflexion fast vollkommen verhindert wird.

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Das schwärzeste Schwarz: Im Alltag immer durch ein paar Lichter gestört.
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"Mit sehr langen und vertikal ausgerichteten Teilchen, die gleichzeitig eine hohe Absorption im ganzen Spektralbereich haben, hat das Licht an einer Oberfläche aus vertikalen Zylindern, die parallel ausgerichtet sind, keine Möglichkeit, wieder zurückzureflektieren", erklärt Thomas Pichler von Institut für Physik der Universität Wien das Prinzip. Daher kann auch das menschliche Auge angesichts dieser Dunkelheit eigentlich nicht einmal mehr die gewohnten drei Dimensionen wahrnehmen. Die maximale Lichtreflexion – der Spiegeleffekt – hat damit endgültig ihr Gegenstück gefunden.

Es kommt auf die richtige Anordnung an

Und dazu brauche man nicht einmal die besten Nanoröhren, verrät Pichler: Es komme vielmehr auf die richtige Anordnung und Morphologie der Teile an. Hergestellt werden diese Röhren, indem man einen Metallfilm oder ein Oxid auf einer Oberfläche anätzt. Von den dabei entstehenden Partikeln wachsen in einer chemischen Gasphasenabscheidung die Röhren vertikal weg – je nachdem, wie man sie modifiziert, lässt sich der Dunkelungsgrad verändern. Deshalb kann es offenbar immer noch etwas düsterer werden: Im Herbst vergangenen Jahres verkündeten Forscher des MIT in Boston, man habe das schwärzeste Schwarz noch etwas schwärzer gemacht: Publikumswirksam ließ man bei der Präsentation Laserstrahlen und Diamanten in fast absoluter Finsternis verschwinden. Mehr als 99,995 Prozent des Lichts schluckt das neue "Ultra-Black".

Ein großer Durchbruch sei diese Meldung aber nicht, meint Thomas Pichler. Bei der nochmaligen Steigerung handelt es sich nur um eine Abweichung um geringe Grade, die das menschliche Auge eigentlich nicht mehr wahrnehmen kann. Auch die besten Spektrometer werden diese feinen Unterschiede bald nicht mehr messen können. Somit ist das Forschungsergebnis des MIT lediglich die Weiterentwicklung einer Entdeckung, die es schon vor elf Jahren gab.

Ultraschwarz kommt daher auch längst zum Einsatz: Verwendet wird diese Innovation dort, wo man eine so starke Lichtabschirmung gebrauchen kann – etwa in der Fototechnologie. Somit wird das Material inzwischen auch für den Bau von Weltraumteleskopen verwendet. Dem MIT zufolge soll die neueste Fassung des Schwarz dafür sorgen, dass Blendungen minimiert und so umlaufende Exoplaneten identifiziert werden können. Denkbar ist auch der Einsatz im Bereich der Solarenergie. Pichler: "Bei allem, wo man empfindliche wissenschaftliche Geräte hat, die ein starkes Signal wie etwa einen Laserstrahl abschatten sollen, kann man das verwenden." Der Experte für Materialphysik räumt zwar ein, dass es dafür kostengünstigere Alternativen gibt, wie etwa eloxiertes Aluminium, das man im Labor häufig verwendet. Dabei komme es aber immer noch zu einer kleinen Reflexion. Ultrablack habe aber den Vorteil, dass es bei hohen Leistungsdichten in allen Wellenlängen gleich gut funktioniere und man damit dort, wo es notwendig ist, große Lichtquellen unterdrücken kann.

Exklusivrecht eines Künstlers

Eingesetzt wurde diese Entdeckung zuletzt aber auch in der bildenden Kunst. Der indische Bildhauer Anish Kapoor etwa erregte 2016 in der Kunstwelt Aufsehen und Unmut, als er sich damals das Exklusivrecht für die seinerzeit schwärzeste erhältliche Farbe sicherte – das 2014 vom britischen Unternehmen Surrey Nano Systems entwickelte "Vantablack" ("Vanta" für "Vertically Aligned Nano Tube Array"). Andere Künstler, die diese Farbe ebenfalls nutzen wollten, waren empört über dieses Monopol. Kapoors Arbeit mit dem dunklen Material geriet mitunter auch schon recht schmerzhaft: In einer Ausstellung seines Werks in Portugal fiel 2018 ein Mann in ein ultraschwarz ausgekleidetes Loch im Boden, weil er es für eine aufgemalte Fläche gehalten hatte.

Im Design hielt die totale Finsternis ebenfalls immer wieder Einzug: BMW etwa präsentierte im vergangenen Jahr seinen X6-Wagen in ultraschwarzer Lackierung. Das Modell wird aber voraussichtlich ein Einzelstück bleiben. Schließlich sollte ein Auto, das so gut wie kein Licht reflektiert und die dreidimensionale Betrachtung behindert, vielleicht nicht unbedingt in Serie im Straßenverkehr unterwegs sein. "Ein unsichtbares Auto wollen vielleicht irgendwelche Spione haben, aber ich würde mich auf der Straße nicht so sicher fühlen", schmunzelt Pichler.

Ein Nebenprodukt der Forschung

Trotz solcher Auswüchse will er die Sinnhaftigkeit der Forschungsarbeit der Kollegen in den USA aber nicht in Abrede stellen und verweist darauf, dass dieses Ergebnis eigentlich nur ein Nebenprodukt der durchaus beachtlichen Nanopartikelforschung des MIT ist. Die Steigerung der Schwärze ist nämlich gar nicht das Ziel, sondern ein Zufallsfund gewesen: Die Wissenschafter tüftelten eigentlich daran, wie man Kohlenstoffnanoröhren auf elektrisch leitenden Materialien wachsen lässt. Die thermischen und elektrischen Eigenschaften von Aluminium beispielsweise sollten auf die Art verstärkt werden. Die tiefschwarze Farbe des entstandenen Materials machte die Forscher neugierig, eine Messung bestätigte ihre Vermutung: Der laut Guinness-Buch bisherige Rekordhalter in Sachen Dunkelheit – ein an der König-Abdullah-Universität für Wissenschaft und Technologie in Saudi-Arabien 2015 entdecktes Schwarz – war geschlagen.

Schließlich steht diese Forschung mit einer durchaus revolutionären Erfindung des MIT aus dem Vorjahr im Zusammenhang: RV16X-Nano. Das ist der Name eines aus 14.000 Nanoröhren-Transistoren bestehenden Mikrocomputers. Er ist der Erste seiner Art, der es mit der Leistung von Silizium-Chips aufnehmen kann, die zunehmend an ihre Grenzen stoßen. Auch wenn es also in der Nanowissenschaft immer schwärzer wird, geht noch lange nicht das Licht aus. (Johannes Lau, 3.2.2020)