Alexander Mitteräcker (46) hat die Debatte 1999 eröffnet: Kommentare unter jeder Story, die Basis für die auch international beachtete größte und aktivste Community im deutschsprachigen Raum. Der STANDARD-Alleinvorstand würde der Community noch gerne mehr Raum für die Kommunikation untereinander geben, eventuell sogar unterstützt durch Bilder oder Videoformate, sagt der älteste Sohn von Gründer und Herausgeber Oscar Bronner im Zukunftsinterview. Und erklärt, wie die Finanzierung von Qualitätsjournalismus weiter funktionieren wird.

STANDARD: Wie wird DER STANDARD in 25 Jahren aussehen?

Mitteräcker: Auf den langen Zeitraum beschränkt sich meine Prognose darauf, dass die Marke STANDARD in Österreich und im deutschsprachigen Raum weiter an Bedeutung gewinnen wird. Wir werden den ursprünglichen Gründungsgedanken des STANDARD – eine mündige, unabhängige Tageszeitung zu schaffen, die niemand anderem als den Lesern und der Professionalität verpflichtet ist – auf die Möglichkeiten, die das Jahr 2045 bietet, umlegen. Wir haben schon bisher die Digitalisierung genutzt, um unsere Relevanz als Medienhaus massiv auszubauen. Bei der Gründung 1988 gab es noch kein Internet, keine Social Media, keine Möglichkeiten für Userinnen und User, sich abseits von Leserbriefen zu Wort zu melden, keine Smartphones und noch lange keine Spracheingabe, wie sie heute – um eine aktuelle Entwicklung zu nennen – Maus oder Daumen am Handy schon häufig ersetzt.

STANDARD: Bleiben wir gleich beim Hören: Was hat DER STANDARD da noch vor?

Mitteräcker: Ich freue mich über die große Nachfrage nach unserem täglichen Podcast "Thema des Tages". Und ich finde Rückmeldungen interessant, das würde nicht zu einer "Zeitung für Leser" passen, wie wir uns einmal genannt haben. Audio gewinnt sicher an Bedeutung, wir überlegen, wie wir dem Thema weiter Rechnung tragen. Aber bei Voice-Eingabe ist das eine Frage der Endgeräte. Ob die Userin oder der User ein Posting diktiert oder tippt, wissen wir nicht. Womöglich diktieren schon viele.

STANDARD: Einige Medienhäuser in Österreich betreiben TV-Kanäle, wohl auch, weil sie weit höher gefördert werden als Zeitungen. DER STANDARD hat ein Videoteam, kooperiert mit Puls 24, kommt da noch was?

Mitteräcker: Da hat ein Marktbegleiter mit großem Geschick beim Nutzen und Aufstocken von Förderungen, gepaart mit einer sehr interessanten Darstellung der erzielten Reichweiten, ein Produkt im Markt positioniert, welches wir so sicher nicht herausgeben würden. Dennoch: Video ist online ein sehr relevantes Thema, und viele Videobeiträge sind ja schon essenzieller Bestandteil unserer Berichterstattung. Wir überlegen natürlich weiter, was unsere User noch haben wollen. Die Frage ist: Was können wir hier Sinnvolles machen – und finanzieren?

STANDARD: Wie wird man den STANDARD des Jahres 2045 finanzieren, der seinen Gründungsgedanken weiterverfolgt?

Mitteräcker: Das beschäftigt uns natürlich sehr. Wir reden von Digitalisierung, erwarten Automatisierung, und tatsächlich brauchen wir immer mehr Mitarbeiter mit immer neuen Aufgabenfeldern. Und gleichzeitig gehen bestehende Einnahmequellen zurück, die es mit neuen Projekten zu kompensieren gilt.

STANDARD: Liegt dieser Rückgang an den Googles und Facebooks, die längst die weitaus größten Werbeumsätze weltweit machen?

Mitteräcker: Google und Facebook absorbieren sehr viele der Werbeausgaben – über jede Mediengattung hinweg. Umsätze aus Printinseraten sind bekanntermaßen seit Jahren nicht gestiegen, inzwischen treffen Rückgänge auch das lineare Fernsehen. Und selbst der Onlinewerbemarkt wächst großteils abseits der klassischen Medien.

STANDARD: Und das muss so bleiben?

Mitteräcker: Google vermittelt Werbetreibenden auf brillante Weise das Gefühl, dass der Erfolg ihrer dort getätigten Ad-Spendings nachvollziehbar ist. Inzwischen erkennen aber viele, dass sie häufig für die Akquise von Kunden Geld ausgeben, die sie ohnehin schon gewonnen hatten. Warum hat ein Kunde ein gewisses Keyword überhaupt eingegeben? Irgendwo ist ja das Bedürfnis entstanden, und da landet man oft wieder bei den sehr klassischen Grundprinzipien der Markenbildung, die das ermöglicht haben.

Die Kanäle haben sich verändert und sind digitaler geworden, die Methoden, wie beispielsweise positiver Imagetransfer durchs Umfeld, sind oft gleichgeblieben – sie werden allerdings gegenwärtig weniger honoriert, da alle darauf trainiert wurden, die Aufmerksamkeit auf die letzte messbare Etappe im Werbeprozess zu setzen. Ich denke, wir sind hier am Beginn einer gewissen Rückbesinnung. Zumal vieles, was die sogenannten Adtechs in den letzten Jahren ermöglicht haben, im Lichte des Datenschutzes fragwürdig erscheint. Brand-Safety ist hier der Fachbegriff. Die werbetreibende Wirtschaft setzt sich zunehmend damit auseinander, wo und warum ihre digitale Werbung ausgespielt wird. Das ist eine gute Entwicklung, auch für uns Medien.

STANDARD: Sinkende Umsätze kompensieren bedeutet aber vor allem in der Strategie vieler Medienhäuser: Reader-Revenue.

Mitteräcker: Ja, Userinnen und User sollen aus der Sicht vieler Medienhäuser für die erhaltene Leistung direkt bezahlen. Dahinter steht auch ein durchaus positives Prinzip: Nichts kann die redaktionelle Unabhängigkeit besser garantieren als die Finanzierung durch Leserinnen und Leser. Diese stehen in ihrem Medienkonsum allerdings ständig vor der Entscheidung, für neue Angebote zu bezahlen: Spotify, Netflix oder ihr liebgewonnenes Onlinemedium. Das ist sicher eine Herausforderung für jeden Haushalt.

Hass in der Gesellschaft sei das eigentliche Thema, sagt Alexander Mitteräcker: "Dieser Hass wird ja über das Netz nur artikuliert und dadurch sichtbar.
Foto: STANDARD, Corn

STANDARD: Wie erklärt man den Userinnen und Usern der STANDARD-Website, dass sie für etwas zahlen sollen, das sie 25 Jahre gratis bekommen haben?

Mitteräcker: Unsere Leserinnen und Leser sind ja schon mehr als 30 Jahre gewohnt, für die gedruckte Ausgabe zu zahlen. Haben sie dafür gezahlt, dass Papier bedruckt wird, dass dieses zugestellt wird – oder für den Inhalt? Für die digitale Nutzung zahlen sie einen Onlinezugang, Endgeräte, und die Inhalte gab es über diesen Distributionsweg lange gratis. Das hat im Internet wohl auch zur raschesten Verbreitung der Mediennutzung unter allen bisherigen Mediengattungen geführt. Aber selbst wenn Druck, Papier, Vertrieb und die diesbezüglichen Erlöse wegfallen, wollen wir die beste Redaktion des Landes haben, unser Produkt permanent weiterentwickeln und verbessern können, und dafür braucht man Menschen, die entsprechend entlohnt gehören. Ich gehe davon aus – und wir bekommen entsprechende Rückmeldungen –, dass unsere Leserinnen und Leser bereit sind, dazu auch online etwas beizutragen.

STANDARD: Selbst wenn Druck, Papier, Vertrieb wegfallen: Die Zeitung ist doch heute ein stabiler Einnahmenfaktor.

Mitteräcker: Die Zeitung erfreut sich extrem großer Beliebtheit. Der Produktionsprozess wird immer teurer, unsere Abonnentinnen und Abonnenten waren aber bisher bereit, diese Kostensteigerungen mitzutragen. Heute hat praktisch jeder und jede ein Smartphone, und über diese Geräte sind alle Titel abrufbar. Aber je mehr wir mit diesen Geräten verschmelzen, umso klarer auch der Wunsch dieser Zielgruppe, beim Medienkonsum mit der Zeitung zu einer Entschleunigung zu kommen.

STANDARD: Wie sollen Online-User zahlen? Wird es eine sogenannte Bezahlschranke geben, läuft das auf ein Unterstützungsmodell wie beim "Guardian" hinaus? Für das Forum gibt es solche Aufrufe ja schon.

Mitteräcker: Zuallererst haben wir Userinnen und Usern angeboten, mit dem Pur-Abo den STANDARD frei von Werbung und Third-Party-Tracking zu konsumieren. Das ist in seinen ersten zwei Jahren schon auf großes Interesse gestoßen. Das "Guardian"-Modell finden wir extrem spannend. Damit können die Userinnen und User selbst bewerten, ob und wie viel sie zu zahlen bereit sind. Wir testen ein solches Modell. Aber die Entwicklung hier ist sehr dynamisch. Es gibt durchaus Elemente, die man sich aus der Spielindustrie abschauen kann – also bestimmte Features kostenpflichtig macht. Dies könnte helfen, uns vom "One Size Fits All"-Prinzip zu verabschieden und unsere Angebote auch für kleiner Zielgruppen auszurichten.

STANDARD: Wenn man sich keine Gedanken über die Finanzierung machen müsste: Was steht denn auf der Wunschliste?

Mitteräcker: Wir hätten gerne mehr Ressourcen für investigativen Journalismus. Nach oben offen – es gibt eine Unmenge von Themen in diesem Land, denen man nachgehen sollte. Derzeit müssen wir mit unseren Ressourcen mitunter zu selektiv vorgehen.

Wünscht sich mehr Ressourcen für investigativen Journalismus: Alexander Mitteräcker.
Foto: STANDARD, Corn

STANDARD: Die neue Regierung hat sich in ihrem Programm vorgenommen, entschiedener gegen Hass im Netz vorzugehen. Ist das für den STANDARD ein Thema?

Mitteräcker: Das ist für uns ein Thema, seit wir 1999 Foren gestartet haben. Wir sind seit dem Tag eins damit beschäftigt, gegen Missbrauch vorzugehen. Dafür haben wir den von unseren Usern gelegentlich kritisierten Foromaten und ein Team von 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das sich ausschließlich damit beschäftigt, die Qualität unseres Forums laufend zu verbessern. Das ist ein permanenter Prozess. Auf der anderen Seite gibt es sehr viel Intelligenz, die Möglichkeiten, die wir bieten, zu missbrauchen, und vor allem sehr viel Hass. Dieser Hass wird ja über das Netz nur artikuliert und dadurch sichtbar. Wir müssen uns damit gesamthaft auseinandersetzen. Wir haben schon erlebt, dass Mitarbeiter bedroht wurden und wir erkennen mussten: Es gibt zu wenig Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.

STANDARD: Was fehlt?

Mitteräcker: Das ist eine Ressourcenfrage, vor allem bei Exekutive und Staatsanwaltschaft. Dieser Hass bleibt eine Bedrohung, ob für Mitarbeiter, ob für Politiker und die Gesellschaft, selbst wenn wir die Möglichkeiten einschränken, ihn zu artikulieren.

STANDARD: Kann man die STANDARD-Foren mit ihren bis zu 40.000 Postings pro Tag noch ausbauen?

Mitteräcker: Wir haben die Community bisher sehr auf Textbeiträge beschränkt. Aber Bild und Video sind definitiv nicht vom Tisch. Und unsere Community-Features sind noch immer sehr stark mit unserem journalistischen Content verknüpft. Wir wollen eine Plattform entwickeln, die mehr Möglichkeiten für die Kommunikation der Community untereinander bietet.

STANDARD: Ein STANDARD-Twitter?

Mitteräcker: Wir haben das intern einmal "Zwitschern" genannt. Ich finde das extrem spannend. Aber das Monitoring einer solchen Community könnte auch rasch wieder zur Ressourcenfrage werden. Auf einer Wunschliste ohne Rücksicht auf Finanzierung wäre das ein zweiter Punkt, mit dem wir uns sehr intensiv beschäftigen würden.

STANDARD: Wäre eine tatsächlich gut moderierte Social-Plattform nicht im öffentlichen Interesse und förderungswürdig?

Mitteräcker: Ich würde das absolut so sehen. Aber ich kenne gegenwärtig keinen Fördertopf, der das unterstützen würde. (Harald Fidler, 2.2.2020)